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# taz.de -- Schimpfwörter in der Geschichte: Mit dem Schimpfen begann die Kult…
> Von „Übelkrähe“ bis „Elpentrötsch“: Für das psychische Wohlbefind…
> Schimpfen so unverzichtbar wie für das körperliche die Verdauung.
Bild: „Arrghh“ – zweifelslos war Schimpfen noch vor dem Nachahmen von Tie…
Die Urform der menschlichen Sprache, das können wir heutzutage mit
Sicherheit und auch dank ihrer Entwicklung sagen, reicht mindestens 1,8
Millionen Jahre zurück. Doch noch bevor die Urmenschen Tierlaute nachgeahmt
haben und so den „Uhu“, den „Wauwau“ und den „Kuckuck“ erschufen, e…
ihnen Empfindungslaute des Schmerzes, der Wut und der Aggression. Das erste
Wort, das jemals ein Mensch ausgestoßen hat, war deshalb zweifellos ein
„Arrrrrgh!“ oder „Pshaw!“, in der Gegenwart auch bekannt als „Cazzo!�…
„Fuck!“ oder „Scheiße!“.
Die menschliche Sprache begann also mit einem kräftigen Schimpfwort. Und
die Kultur setzte ein, als sich zum ersten Mal zwei Kontrahenten mit
originellen Schimpfwörtern anblafften, anstatt sich Steine auf die Köpfe zu
schlagen.
Seit Erfindung der Schrift wurde dann nicht mehr nur mündlich, sondern auch
schriftlich geflucht. Wo sie sich erhalten haben und man sie entziffern
kann, findet man Beschimpfungen als gemeißelte Hieroglyphen, auf Papyrus
und Papier, bei den alten Ägyptern und Griechen, Chinesen und Inkas. Noch
nirgends wurde eine Primitiv- oder Hochkultur entdeckt, die auf
Beschimpfungen und Flüche verzichtet hätte.
Schon im Alten Testament wird in den sogenannten „Fluchpsalmen“ mit
blutigem Ernst geschimpft: „Die Gottlosen sind verkeret von Mutter leib an
/ Die Lügner jrren von Mutter leib an. / Jr wüten ist gleich wie das wüten
einer Schlangen / Wie eine taub Otter / die jr ohr zustopfft.“
Die Römer erfanden für Beschimpfungen eine eigene Literaturgattung, die
Satiren, die mit heutigen satirischen Schriften nur den Namen gemein haben.
Ihr Schöpfer Gaius Lucilius beschimpfte Persönlichkeiten und
gesellschaftliche Missstände, scherzhaft und angriffslustig.
## Buhlknabe und Hurenbock
Im ältesten Gesetzbuch, der „Lex Salica“ der salischen Franken aus dem 6.
Jahrhundert, ist in einem Kapitel „De conviciis“, also von Schimpfworten
die Rede: „Wenn einer ein freies Weib, sei’s Mann oder Weib, eine andere
Hure schilt und es nicht nachweisen kann, werde er zu 1800 Pfennigen,
gleich 45 Schillingen, verurteilt.“ Zum Vergleich: Es kostete nur 600
Pfennige, jemanden als Buhlknabe oder Hurenbock zu beschimpfen.
Ein großer Meister der ernsthaften Schimpfkunst war Martin Luther, der auch
die Fluchpsalmen in der Bibel übersetzte, vermutlich mit verdammt großem
Vergnügen. Für manche ist er deshalb ein Sprachferkel, dabei verdanken wir
ihm wunderbare Schimpfwörter wie „Memme“, „Hanswurst“ oder „Grobian�…
kräftige, bezaubernde Redewendungen, unter anderem „Hummeln im Arsch“ und
„Ihr sollt eure Perlen nicht vor die Säue werfen“.
Seiner Wichtigkeit und Sprachkraft war er sich bewusst, denn er schrieb:
„Wenn ich einen Furz lasse, soll man es bis Rom riechen.“ Seine gute Laune
verlor er trotz Schimpfkanonaden dennoch nie, denn „aus einem verzagten
Arsch fährt kein fröhlicher Furz“.
Mit der Demokratie wurde das Schimpfen schließlich zur Staatsform erhoben.
Nicht, weil Diktatoren, Kaiser und Könige weniger schimpfen als
Volksvertreter, sondern weil die Konflikte eher mittels Debatten und
Diskussionen ausgetragen werden und nicht durch Massenmorde und Kriege.
Demokratische Schimpftiraden können beeindruckend langweilig sein oder sehr
unterhaltsam. Und jede Demokratie hat ihre Meister im Schimpfen
hervorgebracht.
Herbert Wehner von der SPD war etwa der Schimpfkönig des westdeutschen
Parlaments. Wehner hatte sich schon in der Weimarer Republik über ein
Dutzend Ordnungsrufe eingehandelt, im Bundestag waren es nicht weniger als
77. Zum Erfolg einer guten Beschimpfung gehört der Moment der Überraschung.
So rief Wehner dem CDU-Abgeordneten Möller während dessen Parlamentsrede
zu: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus.“
Jürgen Todenhöfer von der CDU war für Wehner ein „Hodentöter“ und Schne…
ein „Ehrab-Schneider“. 1970 verblüffte er seinen Gegner Jürgen Wohlrabe v…
der CDU mit: „Sie sind eine Übelkrähe!“ und kurz danach mit: „Sie sind …
Schwein. Wissen Sie das?“
## Lackschuh-Panther und Möchtegern-Schimanski
Zu den relativ originellen, im Bundestag verwendeten Schimpfwörtern seit
1949 gehören in alphabetischer Ordnung: Beamtenkuh, Dampfnudel, Dösbaddel,
Dröhnbüdel, Eiertänzer, Erpressungsminister, Frühstücksverleumder,
Generalschwätzer, Gruselkomiker, Harzer Roller, Knallfrosch,
Lackschuh-Panther, Möchtegern-Schimanski, Nadelstreifen-Rocker, Naziflegel,
Ochsenfrosch, Obertünnes, Petersilien-Guru, Pistolero, Pöbelkönig,
Putzlumpen, Ratte, Rotzjunge, Sumpfblüte, Wollüstling, Wrack, Wühlratte und
Zuhälter.
Mein persönliches Lieblingsschimpfwort ist allerdings „Elpentrötsch“. Dam…
war ursprünglich ein linkischer und einfältiger Mensch gemeint, der ein
Opfer der Elfen oder der Geister der Elbe geworden ist. Heute kann man
„Elpentrötsch“ wunderbar anstelle von „Idiot!“ verwenden und wird nicht
einmal wegen Beleidigung belangt, weil niemand das Wort kennt.
Schimpfen ist und macht kreativ. Für das psychische Wohlbefinden ist es so
unverzichtbar wie für das körperliche die Verdauung, einschließlich
Flatulenz. Wir schützen uns damit vor Stress, bauen Spannungen ab und
erlangen unser Gleichgewicht zurück.
Das wird auch in ferner Zukunft noch der Fall sein. Wann der letzte Mensch
leben wird, ist offen, aber auch bei größtem Optimismus wird es in
spätestens drei Milliarden Jahren so weit sein. Wenn unser ganzes
Sonnensystem heißläuft, braucht sich der letzte Mensch jedenfalls keine
Sorgen mehr um die Nachwelt zu machen. Und er muss sich für sein letztes
Wort keinen Zwang auferlegen.
Denn niemand wird mehr berichten können, dass er im Angesicht der
Ausdehnung der Sonne nicht um „Mehr Licht!“ gebeten haben wird. Der letzte
Laut wird eine Symptominterjektion sein, also ein Empfindungswort. Das
Schimpfwort wird verblüffend ähnlich klingen wie das erste Wort der
Menschheit.
Und ist der letzte Mensch Deutscher, wird er „Scheiße!“ sagen.
Mit der Demokratie wurde das Schimpfen schließlich zur Staatsform erhoben.
24 Oct 2022
## AUTOREN
Falko Hennig
## TAGS
Fluchen
Beleidigung
Sprache
Kolumne Kinderspiel
Papagei
Meinungsfreiheit
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