# taz.de -- Rechtspopulismus in Europa: Der Nutzen eines toten Teenagers | |
> In den Neunzigern orientierte sich der Osten am Westen. Heute werfen | |
> Politiker dem Westen Versagen vor. | |
Bild: Proteste in Frankreich: Polnische Regierungsvertreter äußern darüber u… | |
Als Teenager reisten wir nach Frankreich, England und Deutschland, um zu | |
arbeiten und um Sprachen zu lernen. Zu dieser Zeit fuhren die Bürger | |
Mittel- und Osteuropas, die nur wenig Geld zur Verfügung hatten, meist mit | |
dem Bus. Eine solche Reise dauerte viele Stunden inklusive eines langen, | |
erzwungenen Halts an der polnisch-deutschen Grenze. | |
Zu dieser Zeit war Polen weder Mitglied der EU noch des Schengenraums, | |
sodass man geduldig die Passkontrolle ertragen musste. Uns frustrierte es, | |
dass wir nicht Teil dieses Europas waren. Zugleich waren wir überzeugt, | |
dass es sich lohnt, an dieser Grenze zu warten. | |
Heute hingegen versuchen populistische Parteien zu beweisen, dass der | |
Westen bestenfalls verachtenswert sei. Dass er die Freiheit, die er | |
genießt, missverstehe. Mehr noch: Sogar die Gegner des Populismus | |
übernehmen diese Rhetorik, um die Aufmerksamkeit der Wähler zu gewinnen. | |
Die Frage ist, wie sich das auf die Gesellschaft auswirken wird. | |
Ein gutes Beispiel ist die [1][Antimigrationsrhetorik]. Nachdem in | |
Frankreich ein Teenager von der Polizei erschossen wurde und daraufhin | |
schwere Unruhen ausbrachen, reagierten die osteuropäischen Länder ziemlich | |
seltsam. Die Unruhen in den französischen Vorstädten haben in die polnische | |
Politik eingegriffen. Der demokratische Oppositionsführer Donald Tusk | |
erklärte in den sozialen Medien: „Wir sehen schockierende Szenen von den | |
gewalttätigen Unruhen in Frankreich.“ Und fügte hinzu, dass die Regierung | |
der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen eine Politik der | |
Masseneinwanderung betreibe, in deren Rahmen Bürger aus muslimischen | |
Ländern im vergangenen Jahr 135.000 Arbeitserlaubnisse erhalten hätten. | |
Unterdessen äußerten Vertreter der Regierungspartei unverhohlen Freude über | |
die Krise, die die Menschen in Frankreich gerade durchleben. Es sei ein | |
„unbestreitbares Fiasko der Migrationspolitik“, argumentierte Jan | |
Dziedziczak, der Bevollmächtigte der polnischen Regierung im Ausland. | |
„Frankreich steht in Flammen und leidet unter den Folgen einer | |
fehlgeleiteten Politik der offenen Tür“, schrieb Regierungssprecher Rafał | |
Bochenek. Es fällt schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass zumindest | |
einige dieser Äußerungen eine besondere Art von Schadenfreude | |
widerspiegeln. Hier ist endlich der Westen im Unrecht. Dieser große Westen, | |
den wir einst anstrebten, macht endlich auch mal Fehler und muss nun die | |
Konsequenzen tragen. | |
Es geht hier jedoch um etwas Tieferes. Niemand bezweifelt, dass Europa, | |
sowohl im Osten wie auch im Westen, heute mit [2][strukturellen Problemen] | |
konfrontiert ist, die den Wohnungsmarkt, den Arbeitsmarkt und verschiedene | |
Formen der Ungleichheit betreffen; und dass allgemein die Befürchtung | |
herrscht, dass wir nicht einer besseren, sondern einer schlechteren Zukunft | |
entgegengehen. | |
Das Problem ist, dass die Liberaldemokraten keine Lösungen für diese | |
Herausforderungen anbieten, und das gilt nicht nur in Frankreich. Die | |
Popularität des Rassemblement National, der Alternative für Deutschland | |
und der Partei Recht und Gerechtigkeit basiert jedenfalls auf ungelösten | |
strukturellen Problemen unserer Gesellschaften. Jedoch haben die Populisten | |
außer einprägsamen Slogans nichts zu bieten und keine Lösungen. | |
Polens Liberaldemokraten versuchen heute mit ähnlich [3][populistischen | |
Tricks] an Popularität zu gewinnen. Doch wenn darauf nicht die Bereitschaft | |
folgt, Lösungen nicht in einem populistischen, sondern in einem | |
demokratischen, offenen und klugen Stil vorzuschlagen, werden die | |
Populisten immer die Oberhand behalten. | |
9 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Jaroslaw Kuisz | |
Karolina Wigura | |
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