# taz.de -- Rechter Angriff in Mönchengladbach: „Wie findet Herr Scholz das?… | |
> Ein Stein mit rechter Botschaft flog in Mönchengladbach auf das Zuhause | |
> von Menschen mit Behinderung. Der Lebenshilfe-Leiter fordert mehr | |
> Solidarität. | |
Bild: Jemand hat die Scheibe mit einem Ziegelstein eingeschlagen | |
taz: Herr Kalkan, Sie sind Leiter der Lebenshilfe Mönchengladbach. Was ist | |
bei Ihnen in den letzten Tagen passiert? | |
Özgür Kalkan: Wir hatten schon am 20. Mai den ersten Sachschaden an unserer | |
Geschäftsstelle in Mönchengladbach. Jemand hat die Scheibe eingeschlagen, | |
wir sind zunächst von einem Einbruchsversuch ausgegangen. Dass der Schaden | |
durch einen Ziegelstein entstanden ist, wurde erst später festgestellt. | |
Was stand auf diesem Stein? | |
Da stand „Euthanasie ist die Lösung“. Mit genau so einem Stein, mit der | |
gleichen Aufschrift wurde dann am Montagmorgen eines unserer Wohnhäuser für | |
Menschen mit Behinderung in Mönchengladbach Rheydt beschädigt. Wir waren | |
unglaublich erschrocken zu diesem Zeitpunkt. 30 Bewohner leben in dem Haus, | |
die Mitarbeitenden, die Angehörigen – alle waren besorgt und entsetzt. Wir | |
müssen jetzt dafür sorgen, dass wieder ein Sicherheitsgefühl entsteht – | |
ohne dass wir die Freiheit der Bewohner einschränken. Wir werden zum | |
Beispiel unsere Nachtwachen unterstützen, die bisher oft allein vor Ort | |
sind. | |
Was erwarten Sie von der Polizei? | |
Wir hoffen natürlich, dass die Sicherheitsbehörden die Vorfälle gründlich | |
untersuchen. Auch der Staatsschutz ermittelt. Das ist ja nicht nur ein | |
Angriff auf eine Einrichtung der Behindertenhilfe oder der Lebenshilfe. Das | |
ist ein ganz klar rechtsextremer Angriff auf unsere Gemeinschaft, auf die | |
Demokratie. | |
Kamen die Taten für Sie überraschend? | |
Schauen wir uns die Entwicklungen der vergangenen Monate an: AfD-Politiker | |
[1][Björn Höcke stellt die Rechte behinderter Menschen infrage,] bei | |
Geheimtreffen werden Pläne zur Abschiebung von Menschen mit | |
Migrationshintergrund geschmiedet, auf Sylt grölen Leute rechte Parolen. Da | |
sieht man, dass die Kommunikation viel rauer wird. Aber dass aus den Worten | |
jetzt tatsächlich Taten folgen, gegen Menschen mit Behinderung – das hätte | |
ich nicht gedacht. Das sind neue Grenzen, die überschritten werden. | |
Wird dem Anschlag auf Ihre Einrichtung genug Aufmerksamkeit geschenkt? | |
Die schreckliche Situation auf Sylt hat zu Recht zu einem medialen | |
Aufschrei geführt, Politiker auf Landes- und Bundesebene haben ihr | |
Entsetzen ausgedrückt. Ich will gar nicht groß vergleichen. Aber ich fände | |
es schon wichtig, dass mehr Medien und Politiker der Bundesebene darauf | |
eingehen, dass ein Angriff auf eine Einrichtung der Behindertenhilfe, mit | |
einem Spruch, der klar in einen nationalsozialistischen Bereich geht, eine | |
weitere überschrittene Grenze ist. Unser Bundeskanzler [2][Olaf Scholz fand | |
es „eklig“, was auf Sylt passiert ist.] Mich würde schon interessieren, wie | |
Herr Scholz das findet, was bei uns geschehen ist. | |
Was lässt sich diesen negativen Entwicklungen entgegensetzen? | |
Wir gehen ja sehr offen mit diesen Vorfällen um. Das machen wir nicht, weil | |
wir unsere Einrichtung in den Fokus rücken wollen. Sondern um zu sagen: | |
Schaut, die Dynamik wird immer negativer! Es bleibt nicht nur bei | |
Rumgegröle. Jetzt fliegt ein Stein, und was ist der nächste Schritt?! Egal | |
ob Lebenshilfe, AWO oder DRK, ob Wohlfahrtsverbände, zivilgesellschaftliche | |
Organisationen oder Politik – Wir müssen jetzt noch enger zusammenstehen, | |
als wir es bisher schon tun. Hier werden immer mehr Grenzen überschritten, | |
und da müssen wir konsequent laut werden. Für die Solidarität zu jedem | |
Menschen, egal ob er eine Behinderung hat oder nicht, ob er einen | |
Migrationshintergrund hat oder nicht. | |
Ist wieder Zeit für große Demonstrationen? | |
Ich finde das den richtigen Weg, ja. Wir planen am 6. Juni in | |
Mönchengladbach Rheydt auf dem Marktplatz eine öffentliche Veranstaltung | |
zur Solidaritätsbekundung. Mit Redebeiträgen aus der Politik und der | |
Gesellschaft. Wenn wir uns mehr sichtbare Solidarität wünschen, dann ist | |
dieser Tag und dieser Ort eine gute Gelegenheit dafür. | |
Wäre es nicht auch wichtig, [3][die Inklusion endlich mehr voranzutreiben], | |
damit Menschen mit Behinderung nicht wie ein separater Teil der | |
Gesellschaft betrachtet werden? | |
Klar wünsche ich mir als Geschäftsführer einer Einrichtung der | |
Eingliederungshilfe mehr Mittel für die Inklusion. Wir leiden noch mehr als | |
andere unter Fachkräftemangel. Der Ausbildungsberuf des | |
Heilerziehungspflegers oder -pflegerin sollte viel mehr in den Fokus | |
genommen werden, damit wir als Träger noch mehr als bisher in der Lage | |
sind, Inklusion so umzusetzen, wie wir es gern würden. Wenn wir von | |
Inklusion reden, müssen Menschen mit Behinderung noch sichtbarer in der | |
Gesellschaft sein. Und zwar nicht temporär und durch solche Vorfälle wie | |
den rechtsextremen Angriff. Sondern dauerhaft und selbstverständlich. | |
30 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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