# taz.de -- Rechte Polemik in der Öffentlichkeit: Gefährliches Zündeln | |
> Die Empörung gegen die Letzte Generation folgt polemischen Logiken. Sie | |
> fördert ein Klima, das rechte Hetze und Gewalt normalisiert. Ein | |
> Gastbeitrag. | |
Bild: Laut Konservativen und Rechten eine Bedrohung der Gesellschaft: Proteste … | |
„Du dreckiges Kommunistenschwein!“, rief Josef Bachmann, kurz bevor er am | |
11. April 1968 auf dem Berliner Kurfürstendamm auf Rudi Dutschke schoss. | |
Die Schüsse, die Dutschke elf Jahre später das Leben kosten sollten, | |
markierten einen dramatischen Höhepunkt der Eskalation von Konservativen, | |
Neonazis und bürgerlichen Medien gegen die aufbegehrenden Studierenden der | |
60er Jahre. | |
Zwar trieben Bachmann auch persönliche und ideologische Berührungspunkte | |
mit der extremen Rechten an, dennoch handelte er vor dem Hintergrund der | |
medialen Dämonisierung der Proteste und ihrer bekannten Gesichter. | |
„Unruhestifter unter Studenten ausmerzen“, hieß es etwa in der B.Z. – und | |
Bachmann handelte. | |
Rechter Terror stand schon immer in einem engen Verhältnis zur öffentlichen | |
Debatte, zur sogenannten gesellschaftlichen Mitte. Aus ihr bezieht er | |
Motive, Rechtfertigung und Ziele. Er bedroht diejenigen, die in Politik, | |
Medien und Alltag ausgegrenzt, diffamiert und zu Anderen gemacht werden. | |
Auch den rechten Anschlägen von Mölln und Solingen und den rassistischen | |
Ausschreitungen und Pogromen 1992 in Rostock-Lichtenhagen gingen | |
öffentliche Diskussionen und politische Entscheidungen mit Signalwirkung | |
voraus, die Ängste vor Zuwanderung schürten. Der Spiegel titelte zu dieser | |
Zeit [1][mit unverhohlen rassistischen Begriffen] und Bildern. In den | |
Anschlägen übersetzte sich diese Stimmungsmache in rechte Gewalt. | |
## Konservative Rückendeckung | |
Einige Jahre später explodierte an der Volkshochschule Saarbrücken, in der | |
zu diesem Zeitpunkt die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der | |
Wehrmacht 1941 bis 1944“ gezeigt wurde, ein Sprengsatz. Auch dieser – bis | |
heute nicht aufgeklärte – Anschlag geschah nicht unvermittelt. Er muss im | |
Zusammenhang mit der weitverbreiteten Erinnerungs- und Schuldabwehr | |
verstanden werden, die zu dieser Zeit offen geäußert wurde. | |
Eine CSU-Zeitung nannte die Ausstellung einen „moralischen | |
Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk“. Es war diese konservative | |
Rückendeckung, die im März 1997 den mit 5.000 Teilnehmenden bis dato | |
größten neonazistischen Aufmarsch in München gegen die Ausstellung möglich | |
machte – und die den Tätern von Saarbrücken signalisierte, dass ihr | |
Anschlag auf gesellschaftliche Zustimmung stoßen könnte. | |
Als der Attentäter von Hanau im Februar 2020 in einer Shishabar das Feuer | |
eröffnete, waren Shishabars von Politiker*innen und bestimmten Medien | |
zu symbolischen Orten vermeintlicher „Clankriminalität“ gemacht worden. | |
Ohne sie hätte der Täter diese Orte nicht als legitimes Anschlagsziel | |
ausgemacht. | |
So haben jene Politiker*innen und Medien eine Vorlage für rechten | |
Terror geboten. Sie haben dabei geholfen, rechte Meinungen in gewalttätige | |
Praxis zu übersetzen. Rechte Ideologie wurde zugespitzt, auf konkrete | |
Feindbilder und Orte fokussiert. | |
Im Fall der Letzten Generation ist dieser Ort der Zuspitzung: die | |
blockierte Straße. Dass Autos ohnehin enorm symbolisch aufgeladen sind, | |
verschärft die Lage. So werden – in der Regel weiße, mittelalte und | |
männliche – Autofahrer von Konservativen gerne als Leidtragende | |
ökologischer Politik präsentiert. | |
Die Bild [2][schrieb] nach der letzten Bundestagswahl: „SPRITPREIS, | |
TEMPOLIMIT, CO2-PREIS – Autofahrer sind die Wahl-Verlierer!“ Schon einige | |
Wochen vorher behauptete die AfD einen „ideologische[n] Feldzug gegen das | |
Auto“. | |
## Legitimierung terroristischer Gewalt | |
Die Autofahrer verkörpern in dieser Erzählung die vermeintlich „normalen | |
Leute“, die in der rechten Ideologie von „Gutmenschen“, „Cancel Culture… | |
oder der „Sprachpolizei“ bedroht werden. | |
Dieser Widerspruch ist wesentlich, denn die angebliche Bedrohung stiftet | |
Orientierung, Gemeinsamkeit und lässt vor allem Gewalt als Notwehr | |
gerechtfertigt erscheinen. In keiner Anschlagserklärung, in keinem der | |
sogenannten Manifeste der Attentäter fehlt dieser Aspekt: die Legitimierung | |
terroristischer Gewalt als notwendig im Angesicht einer historischen | |
Bedrohung. Die Markierung wehrloser Menschen – betende Gläubige, zeltende | |
Kinder, plaudernde Jugendliche – als Agent*innen dieser Bedrohung. | |
In der Praxis sind Autos bereits etablierte Tatmittel rechter Gewalt. Die | |
antifaschistische Zeitschrift Der Rechte Rand wies bereits 2017 darauf hin | |
und [3][stellte eine Liste] von Fällen zusammen. Insofern müssen auch | |
Autoaufkleber, die die ikonischen Zöpfe Greta Thunbergs zeigen, | |
augenscheinlich aus dem Kofferraum hängend, als Drohung verstanden werden. | |
Denn sie spielen auf die Entführung oder Ermordung der Aktivistin an. Ein | |
Mercedes-Fahrer in Oberbayern hatte wegen einer entsprechenden Darstellung | |
bereits eine vierstellige Strafe zahlen müssen – weil Zeugen eine | |
tatsächliche Entführung vermuteten und einen Großeinsatz der Polizei | |
auslösten. Doch nach wie vor werden die Aufkleber im Internet frei | |
verkauft. | |
Wenn nun Politiker wie Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im | |
Bundestag, Klimaakktivist*innen in einen [4][Zusammenhang mit | |
Terrorismus] bringen, sie in die Nähe des Nationalsozialismus rücken und | |
sich gegenseitig in Bestrafungs- und Verbotsfantasien überbieten – der | |
CSU-Bundestagsabgeordnete Scheuer forderte, man solle die | |
„Klima-Kriminellen“ einfach wegsperren –, tragen sie aktiv zu einer | |
Stimmung bei, in der nicht nur Grund- und Bürgerrechte gefährdet werden. | |
In Bayern wurden kürzlich 13 Aktivist*innen der Letzten Generation | |
[5][in Präventivhaft] genommen, um sie vom Begehen von Straftaten | |
abzuhalten. Das ist laut dem 2018 verschärften bayerischen | |
Polizeiaufgabengesetz zwar für bis zu zwei Monate legal, stellt aber | |
dennoch einen so massiven Grundrechtseingriff dar, dass Linke, Grüne und | |
FDP vor dem Bundesverfassungsgericht [6][eine Normenkontrollklage | |
einreichten]. | |
Gefährlich ist die Stimmungsmache, weil sie die Anwendung restriktiver | |
Gesetze begleitet. Sie lenkt aber auch von der Notwendigkeit grundlegender | |
sozialer und ökologischer Veränderung ab, indem sie die verhältnismäßig | |
harmlosen Methoden des zivilen Ungehorsams der Letzten Generation in den | |
Mittelpunkt stellt und die Aktivist*innen als Bedrohung darstellt. | |
Dieses Signal wird vor allem dort verstanden, wo es ohnehin eine | |
Bereitschaft dazu gibt, das vermeintliche Recht in die eigenen Hände zu | |
nehmen und Selbstjustiz zu üben: unter wutentbrannten Klimaskeptikern und | |
vor allem unter empörten Querdenkern und bewaffneten Rechten wie der [7][am | |
gestrigen Mittwoch entlarvten] terroristischen rechtsextremen Gruppe, die | |
einen Staatsstreich geplant haben soll. So ist es dann nur noch eine Frage | |
der Zeit, bis sie zur Tat schreiten. | |
8 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1990-36.html | |
[2] https://www.bild.de/politik/2021/politik/spritpreis-tempolimit-co2-preis-au… | |
[3] https://www.der-rechte-rand.de/archive/2521/autos_waffen/ | |
[4] /Verfassungsschutzchef-zu-Letzte-Generation/!5895968 | |
[5] /Praeventivhaft-fuer-Letzte-Generation/!5895079 | |
[6] https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/gemeinsame-abstrakte… | |
[7] /Razzia-gegen-Reichsbuerger/!5901832 | |
## AUTOREN | |
Martina Renner | |
Sebastian Wehrhahn | |
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