# taz.de -- Raum für Geflüchtete in Göttingen: Vom Hausbesetzer zum Hausbesi… | |
> Die Gruppe „Our House OM10“ hat ein ehemaliges Gewerkschaftsgebäude | |
> übernommen. Jetzt muss sie noch Geld für Kauf und Sanierung besorgen. | |
Bild: Das ehemalige DGB-Gebäude und künftige OM10-Haus in Göttingen | |
HAMBURG taz | Göttingen ist in diesen Tagen eher grau. Das trübe Wetter | |
färbt ab: auf Menschen, auf Häuser. Nur das vierstöckige Gebäude in der | |
Oberen Maschstraße 10, fünf Fußminuten vom Hauptbahnhof entfernt, hebt sich | |
wohltuend ab. Dort hängen Banner in allen möglichen Farben. Die | |
Kernbotschaft lautet: Refugees welcome. | |
Tatsächlich leben in der Oberen Maschstraße 15 geflüchtete Menschen. Dass | |
sie im Kerngebiet der 120.000-Einwohner-Stadt heimisch werden konnten, | |
liegt an der Gruppe „Our House OM10“. Sie prangerte den seit 2009 | |
herrschenden Leerstand in dem DGB-Gebäude an und rief zur Besetzung auf. 50 | |
AktivistInnen kamen am 5. November 2015 zusammen. | |
Seither erinnern nur noch zwei im Veranstaltungsraum stehende | |
Schwarz-Weiß-Aufsteller der 1.-Mai-Kundgebung von 1890 an den DGB. Einer | |
steht ganz links, der andere ganz rechts an der Wand. Dazwischen hängt eine | |
riesige Fahne. In Schwarz auf Rosa steht auch darauf: Refugees welcome. | |
Die Fahne wird nicht mehr heruntergenommen, das steht seit Freitag | |
endgültig fest. Die Hausbesetzer von OM10 dürfen sich nämlich bald | |
Hausbesitzer nennen. Eine sechsköpfige Verhandlungsgruppe hat sich mit | |
Vertretern der Berliner Vermögensverwaltungs- und Treuhand GmbH, einer | |
DGB-Tochtergesellschaft, auf einen Kaufvertrag geeinigt. Vorausgegangen war | |
eine siebenmonatige Verhandlungsphase. | |
Durch den Kauf ergeben sich für OM10 zwei Vorteile: Die BewohnerInnen | |
können offiziell bei der Stadt gemeldet werden, was für OM10 ein | |
Hauptantrieb für den Erwerb des Gebäudes gewesen ist. Und: Bei der Stadt | |
können künftig Subventionen beantragt werden. Zwar gibt es laut | |
Stadtpressestelle keinen „Subventionsautomatismus“, durch den Gebäudeerwerb | |
und den Schritt in die „Legalität“ schaffen sich die Besetzer aber neue | |
Optionen. | |
Das freut Tim Schreiber, der an sechs Gesprächsrunden mit den | |
Treuhand-Vertretern teilnahm. Er sagt: „Die Verhandlungen waren kein | |
Zuckerschlecken.“ Der 28-Jährige vertritt auch das OM10-Presseteam. Wie | |
hoch der Kaufpreis ist, darf er nicht verraten. Beide Parteien haben | |
Stillschweigen vereinbart. So viel sagt er trotzdem: „Die Summe orientiert | |
sich nicht am Marktpreis und kann als politischer Preis verstanden werden.“ | |
Das ist ein Erfolg für das Projekt, zumal der DGB noch im Februar | |
verhandlungsunwillig schien. Auch auf öffentlichen Druck hin änderten sich | |
die Vorzeichen. | |
Nun strebt OM10 ein direktes Finanzierungsmodell an. „Wir sind auf der | |
Suche nach Privatpersonen, die uns Geld leihen“, sagt Schreiber. Aktuell | |
fehlten etwa zwei Drittel. Im Notfall wolle man auch zur Bank gehen, damit | |
der Deal sicher abgewickelt werden könne. | |
Das Haus muss zudem saniert werden. Auch dafür sind finanzielle Mittel oder | |
Spenden nötig. „Wir konnten schon viel umsetzen, haben etwa eine Küche in | |
jede Etage eingebaut, Wände neu gestrichen und vieles renoviert“, sagt | |
Schreiber. „Unser Haus soll aber auch energetisch auf einen besseren Stand | |
gebracht werden, damit sich die Nebenkosten dauerhaft reduzieren.“ Denn | |
eines ist für ihn und seine Mitstreiter klar: „Das Projekt soll fest | |
etabliert werden.“ | |
Derzeit kommen die BewohnerInnen aus Syrien, Marokko und Pakistan. Es gibt | |
auch eine WG, die sich geflüchtete Frauen teilen. Genauso gut seien aber | |
auch Obdachlose oder Wohnbedürftige willkommen. Generell gebe es zu viel | |
Leerstand in Göttingen, kritisiert Schreiber und zeigt auf eine Stellwand | |
im kleinen OM10-Büro. Darauf sind etliche Stellen mit Pfeilen markiert, wo | |
teils schon lange leer stehende Objekte für geflüchtete Menschen als | |
Wohnung dienen könnten. | |
Bei OM10 plant man bereits den nächsten Schritt: „Perspektivisch gesehen | |
steht eine Aufnahme ins Mietshäusersyndikat im Mittelpunkt.“ Damit soll das | |
Gebäude in der Oberen Maschstraße 10 endgültig vom Immobilienmarkt gelöst | |
werden. | |
18 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
David Joram | |
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