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# taz.de -- Rassistische Wissenschaft: Der Schreck sitzt in den Knochen
> Für die Erforschung der menschlichen „Rassen“ brachten Sammler einst
> Tausende Gebeine aus den Kolonien nach Berlin. Um den Umgang damit wird
> heute hart gerungen.
Bild: Einer von tausenden Totenschädeln aus der anthropologischen Sammlung der…
Ein besonders brisantes Erbstück der Kolonialzeit lagert in einem Depot in
Friedrichshagen. Hier werden die Gebeine von etwa 10.000 Menschen
konserviert. Diese „Human Remains“, so der Fachausdruck, sammelten
Wissenschaftler, Kaufleute, Abenteurer im 19. und frühen 20. Jahrhundert in
allen Teilen der Welt. Interessiert waren vor allem Forscher, die den in
Mode gekommenen „Rassen“ auf der Spur waren.
Auch die damals neuen Völkerkundemuseen in Europa hatte die Sammelwut
gepackt. So bat etwa der Leiter der Afrika- und Ozeanien-Abteilung des
Berliner Völkerkundemuseums, Felix von Luschan, 1908 einen Sammler gleich
um „größere Serien von Schädeln“. Um die Nachfrage zu stillen, gingen die
Sammler oft skrupellos vor: Sie plünderten Gräber, bezahlten
Auftragsmörder, beschafften Köpfe von Hingerichteten. In den meisten Fällen
ist die Herkunft der Knochen jedoch nicht bekannt.
Heute fordern immer mehr Herkunftsgesellschaften die Herausgabe der Gebeine
ihrer Vorfahren: Man will sie würdig bestatten, in eigenen Museen
ausstellen – auf jeden Fall selbst über sie bestimmen. Namibia, Australien
und Paraguay haben bereits einiges aus Berlin zurückbekommen. Dennoch
werfen Organisationen wie No Humboldt 21 und der Verein Berlin Postkolonial
den Verantwortlichen vor, die Bestände nicht transparent zu machen und ihre
Rückgabe nicht offensiv anzubieten.
Die Trägerin der Berliner Museen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz
(SPK), ist in der Sache nicht sehr gesprächig. Im Dezember baten das
Tansania-Netzwerk und Berlin Postkolonial die SPK um Aufklärung über
menschliche Überreste aus Tansania im Besitz der Museen. Die Antwort: In
den Sammlungen „befinden sich keine menschlichen Reste aus Tansania“.
Kenner der Materie hat die Antwort überrascht. „Natürlich hat Berlin
Knochen aus Ostafrika“, sagt etwa der Sozialwissenschaftler Heiko Wegmann.
Mindestens die mehr als 1.000 Schädel der Expedition des Herzogs Adolf
Friedrich zu Mecklenburg 1907/08 nach Deutsch-Ostafrika – heute Ruanda,
Burundi und Tansania – seien in den Berliner Beständen. Wegmann berichtet,
aus den Aufzeichnungen des Anthropologen Jan Czekanowski von dieser
Expedition gehe hervor, dass die Schädel teilweise bei Grabschändungen
gesammelt wurden. „Die Sammlung ist auf jeden Fall ethisch problematisch“,
so Wegmanns Urteil.
## Wer ist zuständig?
Die Frage bleibt: Wer ist für die Rückgabe zuständig? Die
Mecklenburg-Schädel sind Teil der Sammlung des ehemaligen
Völkerkundemuseums, die Knochen von rund 6.000 Menschen umfasst. Die
übernahm 2004 das Medizinhistorische Museum der Charité. Daneben gibt es
noch die Sammlung des berühmten Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow
für die Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und
Urgeschichte (BGAEU). Beide Sammlungen wurden bis 2011 in der Charité
aufbewahrt, dann kamen sie ins Friedrichshagener Depot der SPK. Die Charité
behielt Gebeine von etwa 250 Menschen aus Namibia und Australien, zu denen
es bereits Rückgabeforderungen gab. Um ihre Herkunft festzustellen, wurden
diese Schädel und Knochen und die Umstände ihrer Beschaffung im Human
Remains Project über drei Jahre erforscht. In den kommenden Monaten sollen
sie zurückgegeben werden. Die anderen Gebeine aus der Charité wechselten
den Besitzer – und gingen nach taz-Informationen per Schenkung an die SPK.
Dort heißt es, man „verwalte“ die Sammlung nur und suche nach einer anderen
„Einrichtung“, die sie künftig betreuen soll. Kritiker befürchten, dass
damit die private BGAEU gemeint ist – so wären Bund und Land, denen die SPK
gehört, ihre Verantwortung für das schwierige Erbe los. Gegenüber der taz
mochten SPK und BGAEU solche Gespräche nicht kommentieren.
Der Vorsitzende der BGAEU und Leiter des Fachreferates Südsee und
Australien im Ethnologischen Museum, Markus Schindlbeck, warnt vor einer
pauschalen Verurteilung der Sammlungen. Grabschändungen oder Auftragsmorde,
um an Knochen zu kommen, habe es zwar gegeben, „aber das war nicht der
Regelfall“. Manche Ethnien hätten mit den Sammlern zusammengearbeitet und
Schädel eingetauscht, andere hätten sich dem verweigert. „Man darf die
indigene Seite nicht pauschal als Opfer darstellen“, betont er.
## Wer hat die Bringschuld?
Gegen eine vorschnelle Abgabe ist auch die Anthropologin Barbara Teßmann,
die die Sammlung der BGAEU in Friedrichshagen betreut. Bislang seien die
Gebeine kaum erforscht, viele Museen oder Sammlungen seien aus
Personalmangel noch nicht dazu gekommen. Die meisten Knochen seien bis vor
Kurzem in ihrer Originalverpackung des einstigen Sammlers oder in Zeitungen
aus den 1940er Jahren verpackt gewesen. Für die Wissenschaft seien sie aber
heute sehr wichtig: „Es gibt Anfragen von Alzheimerforschern aus den USA“,
andere suchten in den Gebeinen nach Ursachen für Krankheitsresistenzen.
Dazu kämen historische Forschungen etwa zu den Ernährungsgewohnheiten einer
Gruppe.
Markus Schindlbeck plädiert für die sorgsame Begutachtung jedes
Einzelstücks, um herauszufinden, ob es in einem „Unrechtskontext“ beschafft
wurde – und zurückgegeben werden müsste. So sieht es auch der Deutsche
Museumsbund in seiner Empfehlung zum Umgang mit menschlichen Gebeinen vor,
die Schindlbeck mitformuliert hat.
Christian Kopp, Vorstandsmitglied von Berlin Postkolonial, ist das zu
wenig. Die Museen müssten aktiv werden, dazu seien sie laut den „Ethischen
Richtlinien für Museen“ des International Council of Museums verpflichtet.
„Außerdem wissen die Herkunftsländer ja meist gar nicht, wo genau die
Sachen liegen und wo sie anfragen sollen.“
Auch die Museen seien damit überfordert, die Erwerbsumstände aller Objekte
zu überprüfen, sagt Thomas Schnalke, Leiter des Human Remains Project. Er
schlägt vor, eine ständige Arbeitsgruppe einzurichten, die Anfragen
bearbeiten und „auch proaktiv wirken könnte“. Die Idee ist nicht neu: Die
SPK hat bereits eine Stelle zur Provenienzforschung – für geraubte Kunst.
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22 Feb 2014
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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Schädel
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