# taz.de -- Anthropologie: Mit gebrochenen Knien nach Wien | |
> Österreich hat es vorgemacht. Von „Rassenforschern“ in Afrika geraubte | |
> Gebeine werden in Würde wieder in ihre Heimat überführt. | |
Bild: Menschliche Überreste werden nicht immer mit dem nötigen Respekt behand… | |
BERLIN taz | Walter Sauers Publikationen zeugen nicht nur von Engagement | |
für die Erniedrigten, sondern auch von Humor. So heißt etwa eine seiner | |
Schriften über einen nach Wien importierten Brasilianer am Hofe Kaiser | |
Franz I.: „Waldhornblasender Gärtner“. | |
Sauer ist heute Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte | |
der Universität Wien, spezialisiert auf Afrika und die Afrikarezeption in | |
der österreichischen Kulturgeschichte. Schon 1993 gründete er mit | |
Gleichgesinnten die NGO South Africa Documentation and Cooperation Centre | |
(SADOCC). Sie ist ein Kind der Antiapartheidsbewegung und verbreitet | |
Informationen über Südafrika. | |
2007 verließ den Historiker dann vorübergehend der Humor. Er stieß auf das | |
Buch „Skeletons in the cupboard. South African Museums and the trade in | |
human remains 1907–1917“. Martin Legassick und Ciraj Rassool, zwei | |
südafrikanische Kollegen Sauers, spürten darin den Schicksalen menschlicher | |
Überreste im eigenen Lande nach. Dabei erwähnen sie auch den Knochensammler | |
Rudolf Pöch (1871 bis 1921). Den Mediziner hatte man in Österreich lange | |
Zeit als Pionier einer modernen Anthropologie gefeiert. | |
Legassick und Rassool zitieren Quellen für Pöchs Vorgehensweise in | |
Südafrika. So zum Beispiel bei der Stadt Kuruman, wo er 1909 die Leichname | |
des Ehepaars Klaas und Trooi Pienaar entwenden ließ. Beide waren aus der | |
Minderheit der San (populär: Buschmänner), kurz nacheinander an der Malaria | |
gestorben, geachtete Diener eines Farmers, der nach ihrem Tod ihre vier | |
Kinder aufnahm. | |
## Partner der deutschen Kolonialmacht | |
Der Mann protestierte wütend, als man die noch frischen Gräber der Pienaars | |
aufscharrte. Doch Pöchs Mitarbeiter brachen den Verstorbenen die Knie, | |
stopften sie in ein großes Fass voller Salz und führten sie gen Wien der | |
„Rassenforschung“ zu. Österreich hatte nicht an der Aufteilung Afrikas | |
teilgenommen, aber in dieser Frage arbeiteten Wiener Forscher eng mit denen | |
in Berlin zusammen, dem Zentrum der Kolonialmacht von | |
Deutsch-Südwestafrika. | |
Mit dem dritten Jahrtausend hatte allerdings in Wien eine kritische | |
Diskussion begonnen. Maria Teschler-Nicola, Direktorin der | |
Anthropologischen Abteilung des dortigen Naturhistorischen Museums, | |
initiierte 2008 eine internationale Konferenz über Pöchs Wüten. | |
Das SADOCC mit nun etwa 100 Mitgliedern verfügte schon über eine große | |
Bibliothek und gab die Vierteljahreszeitschrift Indaba heraus. Es setzte | |
sich mit den südafrikanischen Wissenschaftlern in Verbindung. Während beide | |
Seiten ab 2008 Wege der Zusammenarbeit erprobten, geschah ein Wunder: Zwei | |
Skelette – die einzigen unter rund 150 von Pöch im südlichen Afrika | |
requirierten – ließen sich zweifelsfrei identifizieren: als die des | |
Ehepaars Pienaar. | |
Nach vier weiteren Jahren gemeinsamen Ringens von NGO-AktivistInnen und | |
WissenschaftlerInnen mit den Bürokratien sowohl in Österreich als auch in | |
Südafrika, am 19. April 2012, wurden in einer Zeremonie in der Wiener | |
Botschaft Südafrikas feierlich die Überreste der Pienaars zurückgegeben. | |
## Särge statt Kisten | |
Im Saal anwesend waren außer einem traditionellen Heiler der San auch zwei | |
Nachfahren des Ehepaars, einer davon direkter Abkömmling eines ihrer | |
Kinder, die der Farmer damals aufnahm. Die Gebeine machten sich nicht in | |
Kisten auf dem Weg in ihre Heimat, sondern in ordentlichen Särgen. Klaas | |
und Trooi Pienaar hatten nicht nur ihre Namen wiederbekommen, sondern auch | |
ihre Menschenwürde. | |
Manchmal klappe eben in Österreich auch etwas ein bisschen leichter, | |
schmunzelt Walter Sauer und vergisst für einen Moment all die | |
vorangegangenen Anstrengungen des SADOCC. Dann fügt er hinzu: „Im Zuge | |
unserer Restituierung hat die österreichische Regierung eine ganz deutliche | |
Bitte um Verzeihung ausgesprochen – und zwar mehrmals. Und bei dem | |
Begräbnis in Südafrika hat der Präsident der Republik Südafrika diese | |
Verzeihung gewährt. Das scheint mir ganz wichtig in Bezug auf die | |
Situation, die Sie hier haben.“ | |
19 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Kerneck | |
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