| # taz.de -- Feldforschung zu Geschlechtern: Alles über Heteros | |
| > Man müsste mal ein Buch über Männer und Frauen schreiben: Martin Reichert | |
| > war als schwuler Blauhelmsoldat forschend zwischen den Fronten unterwegs. | |
| Bild: Romantik bei Sonnenuntergang: Noch ist der Krieg der Geschlechter in weit… | |
| Wenn man einmal ein Buch schreiben wollte, das noch nie jemand geschrieben | |
| hat, dann müsste dieses Buch „Heteros“ heißen. Man könnte auch ein Buch | |
| über Homosexuelle schreiben, aber das kauft keiner – es sei denn, es hieße, | |
| sagen wir, „Die schwule Republik“ und würde gemäß der Sarrazin-Logik | |
| irgendeiner Minderheit ordentlich eins auf die Fresse geben und auf dem | |
| Ressentiment-Klavier spielen: Schwule überall. In der Regierung | |
| (Westerwelle), in der Wirtschaft (Völklinger Kreis), in den Medien und | |
| bestimmt auch im Adel und im Militär. Zu viele auf jeden Fall, beängstigend | |
| irgendwie. „Überrepräsentiert“, so die akademische Angstformel. | |
| Nun ist es natürlich so, dass die allermeisten Bücher, die es auf dieser | |
| Welt gibt, von Heteros handeln. Die Bibel, Hanni & Nanni, Shades of Grey. | |
| Wenn man allerdings ein Buch „Heteros“ nennt, klingt das irgendwie schwul, | |
| und dann kauft es ja wieder keiner. Das ist so in Deutschland – zum einen, | |
| weil es hier einen eigenen kleinen homosexuellen Literaturbetrieb gibt, der | |
| noch immer parallellgesellschaftlich funktioniert und daher weitgehend | |
| unter dem Radar des Rezensionsfeuilletons durchsegelt; und zum anderen | |
| vielleicht deshalb, weil sich die Menschen in Deutschland derzeit nicht für | |
| das Andere, sondern vor allem für das Eigene interessieren. | |
| Weil Männer sich für Frauen interessieren und Frauen sich für Männer | |
| interessieren, werden also gern Bücher über Männer und Frauen gelesen. | |
| Meistens von Frauen allerdings, weil Männer nicht lesen. Aber egal: Wenn | |
| man ein Buch schreiben will, das noch niemand geschrieben hat, dann | |
| schreibt man am besten ein Buch über Männer und Frauen – aus schwuler | |
| Sicht. Es heißt nun also „Vertragt euch“. Der Autor, also ich, tritt als | |
| neutraler UN-Blauhelmsoldat auf, der unbewaffnet durch die Schützengräben | |
| des Geschlechterkrieges robbt. | |
| ## Tatort Vagina, Waffe Penis | |
| Denn glaubt man dem allgegenwärtigen medialen Diskurs, dann tobt da draußen | |
| ja ein Krieg, mitten in Deutschland. Frauen werden unterdrückt, Männer sind | |
| in der Krise. Frauen sollen mit Herdprämien an den Induktionsherd gekettet | |
| werden, die Männer sind zu Weicheiern mit Jutebeuteln mutiert. Sogar die | |
| Geschlechtsorgane von Männern und Frauen gelten manchen als klarer Fall für | |
| die Kriminalpolizei. Die Vagina – ein Tatort. Der Penis – eine Tatwaffe. | |
| Sollte es wirklich so schlimm zugehen da draußen, in der heterosexuellen | |
| Welt? Jahrelang hatte ich in dieser Zeitung eine Kolumne mit dem Namen | |
| „Landmänner“ geschrieben, in der es um das Alltagsleben eines schwulen | |
| Paars ging – sie handelte von mir selbst und meinem Partner und spielte in | |
| Brandenburg. Nach unserer Trennung hatte ich sowieso erst mal genug von | |
| schwulem Alltag, und ein wenig ratlos fühlte ich mich auch: Was ist | |
| eigentlich Liebe? Warum entscheiden sich zwei Menschen, ihr Leben | |
| miteinander zu verbringen? Kann man eine Partnerschaft auf Dauer erhalten, | |
| wenn man keine Kinder hat? | |
| Und im Anschluss stellte ich mir die Frage: Wie machen das eigentlich | |
| Heteros? Ein bisschen fremd waren sie mir geworden über die Jahre. Sie | |
| schienen mir anders, hatten andere Probleme, andere Ängste. Könnte ich bei | |
| ihnen Rat finden, Antworten? Ich beschloss, mir diese Spezies noch einmal | |
| ganz genau anzuschauen. Ich wollte mich auf sie einlassen – aber eben aus | |
| der Perspektive des „Nahen Fremden“ im Simmel’schen Sinne. Denn genauso | |
| hatte ich mich oft gefühlt in den letzten Jahren. Man ist ja eigentlich | |
| mittendrin – heterosexuelle KollegInnen, Freunde, die Familie – und doch | |
| wieder nicht so richtig. Zumindest habe ich das immer so empfunden. | |
| ## Alle kommen zum Ausheulen | |
| Und vielleicht war ich gerade deshalb immer als „neutraler Ratgeber“ | |
| gefragt. Viele schwule Männer kennen das: Frauen vertrauen sich einem an, | |
| weil sie zwar mit Männern zusammen sind, aber oft nicht mit ihnen reden | |
| können. Oder eher: glauben, nicht offen mit ihnen reden zu können. Und in | |
| den letzten Jahren kommen auch immer mehr heterosexuelle Männer, um sich | |
| bei schwulen Freunden „auszuheulen“. Das ist eher neu und dem wachsenden | |
| Selbstvertrauen dieser Hetero-Männer geschuldet. | |
| Über die Jahre wird man so zu einem erfahrenen Vermittler, aber reichen | |
| diese Erfahrungen, um ein Buch zu füllen? Ich begann mit der Recherche. | |
| Googeln. Das Stichwort „Geschlechterkrieg“ ergibt 64.000 Einträge. Könnte | |
| schlimmer sein. Männer: 139.000.000 Ergebnisse. Frauen: 223.000.000. Macht | |
| zusammen 362.064.000 und ergibt auch keinen Sinn. Geschlechtsverkehr: | |
| 2.370.000. Ficken: 39.300.000. Liebe: 54.700.000. Da wird es vielleicht | |
| interessanter? Wieso eigentlich Krieg der Geschlechter, wenn diese einander | |
| doch eher anziehen? Sich lieb haben? Sex haben? Kinder kriegen? Dann die | |
| Literatur: Hegemoniale Männlichkeit, Gender-Trouble, Mario Barth, | |
| Hirnforschung, „Warum Frauen nicht einparken können und Männer die Butter | |
| im Kühlschrank nicht finden“. Seufz. | |
| Mir wurde rasch klar: Es konnte weder darum gehen, Rat zu suchen, noch Rat | |
| zu geben. Es musste darum gehen, genau hinzuschauen und vor allem mit den | |
| Betroffenen zu sprechen. Ich bewaffnete mich mit Notizblock und Bandgerät. | |
| Und als Nächstes musste ich alle Hemmungen über Bord werfen und mich mitten | |
| hinein begeben in das Schlachtengetümmel. Ich bestellte mir einen | |
| Gesprächspartner über das Internet in mein Wohnzimmer. Ich sprach | |
| wildfremde Männer im Pornokino an. Ich interviewte einen | |
| Sexualwissenschaftler und fragte eine Business-Lady ganz unverschämt nach | |
| ihrem ersten Mal. | |
| ## Offenbarung des Innersten | |
| Niemand hat mir eine Ohrfeige gegeben – im Gegenteil war die beste | |
| Erfahrung beim Verfassen dieses Buchs die Offenheit der Menschen. Mit | |
| meiner absolut schlichten Fragestellung – „Wie ist das eigentlich bei | |
| EUCH?“ – hatte ich anscheinend ins Schwarze getroffen. Gleich ob Männer | |
| oder Frauen, alle waren bereit, über ihr Innerstes zu sprechen. Vor allem | |
| waren sie dankbar für die Perspektive: Wer würde sich nicht wünschen, sich | |
| selbst, das Eigene, mal als das Andere zu sehen? | |
| Das Buch heißt nun eben doch nicht „Heteros“, es handelt aber von ihnen. | |
| Und es ist eben auch schwul – denn es ist aus einer „schwulen Perspektive“ | |
| geschrieben. So leicht schräg vom Rand. Und am Ende wurde es sowieso etwas | |
| ganz anderes als geplant. Je intensivere Gespräche ich führte, desto mehr | |
| kristallisierte sich, endlich, eine These heraus: Sowohl Männer als auch | |
| Frauen sind längst schon viel weiter, als sie selbst begriffen haben. | |
| Sie haben sich in den letzten Jahrzehnten unglaublich emanzipiert. Im Falle | |
| der Frauen wird das häufig thematisiert. Im Falle der Männer gibt es noch | |
| ein Einordnungs- und Verständnisproblem: Auch sie haben sich emanzipiert. | |
| Sie haben sich Gefühlswelten, Sinnlichkeit und sogar ihren Körper | |
| zurückgeholt. Es gibt keinen Krieg der Geschlechter. Männer und Frauen | |
| haben sich weiterentwickelt, müssen sich aber jetzt erst mal auf den | |
| gegenseitigen Stand bringen. | |
| Grandios ist es natürlich, wenn man beim Schreiben eines Buchs, das | |
| womöglich unter der Rubrik „Ratgeber“ eingeordnet wird, selbst etwas lernt: | |
| Ich bin als schwuler Mann am Ende doch nicht so fremd in der Welt, wie ich | |
| mich oft gefühlt habe. Nach dieser sehr intensiven Besichtigung der Spezies | |
| „Heteros“ wurde mir endgültig klar, dass es da ja noch die Gattung „Mens… | |
| gibt. Willkommen im Club. Jetzt bin ich nur noch gespannt, wann der erste | |
| Hetero ein zugewandtes, interessiertes Buch über Homosexuelle schreibt. Und | |
| ob das jemand lesen will. | |
| 9 Oct 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Reichert | |
| ## TAGS | |
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