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# taz.de -- Räumung von Lützerath: „Danke, dass du hier warst“
> Die Räumung von Lützerath ging in den ersten Tagen mit hunderten von
> Polizisten schneller als erwartet. Trotzdem hat der Widerstand etwas
> bewegt.
Bild: Am Abgrund: Ein Polizist mit Hund steht an der Abraumkante bei Lützerath
Szenen der Solidarität erlebten JournalistInnen und FotografInnen im
Inneren der Festung Lützerath in der vergangenen Woche: Wer von den
AktivistInnen abgeführt oder hinausgetragen wurde, bekam von anderen, die
noch auf Hausdächern und Holzgestängen ausharrten, oft Applaus und Zurufe.
„Danke, dass du bei uns warst.“ Oder: „Es war schön mit dir.“ Wieder a…
skandierten: „Du bist nicht allein.“
Seit Mittwoch wird Lützerath geräumt, mit der professionellen Effizienz
vieler Hundertschaften Polizei. Und [1][offenbar geht es schneller als
gedacht] – das ist die Meldung der Woche aus dem widerständischen Dorf am
Rand der verschwindenden Landschaft Garzweiler im rheinischen Kohlerevier.
Viele von denen, die von der Polizei aus Lützerath entfernt wurden, treffen
sich im Nachbarort Keyenberg wieder. Lange vorbereitet war dort ein Platz,
der „Unser aller Camp“ genannt wird. Hier bespricht man die Planung der
nächsten Tage, trifft sich aber auch zum gemeinsamen Ausheulen und für
psychologische Betreuung.
Die große Demo ist für Samstag angekündigt – erwartet werden mindestens
10.000 Menschen, auch Greta Thunberg will kommen. Möglicherweise ist
Lützerath selbst zum Zeitpunkt der Demo aber schon menschenleer. Man wollte
„möglichst viele Körper einsetzen“, hatte eine Sprecherin von „Lützera…
bleibt“ noch Anfang der Woche gesagt. Aber die geschätzt knapp tausend
AktivistInnen, teilweise raffiniert angekettet und versteckt, waren nicht
genug.
## Tunnel als letzte Zuflucht
Am Donnerstag wurde das riesige Symboltransparent „1,5 C heißt: Lützerath
bleibt!“ am zentralen Bauernhof abgerissen, das letzte Haus gestürmt. Nur
das raffinierte Tunnelsystem, in dem sich letzte Widerständler schwer
zugänglich versteckten, verhinderte das Anrollen der Abrissmaschinen.
In den Tagen vor der Räumung war viel über erwartete Gewalt debattiert
worden. Steinkatapulte habe man entdeckt, verkündete die Polizei. Jeder
herumliegende Stein schien plötzlich eine Waffe. Und ja, es gab auch
Gewalt: Keine Frage, jeder vereinzelt geworfene Stein oder Farbbeutel, erst
recht die Leuchtraketen schadeten dem Bild des ansonsten gewaltfreien
Widerstands.
Brennende Strohballen am ersten Tag waren ein beliebtes Motiv der
Pressefotografen: Hurra, Feuer, Gewalt, na siehste. Dass Polizeibeamte die
Feuer noch anfachten, nahm kaum wer wahr.
Und das Verbrechen am Klima? Kein Thema. Der Rechtsstaat sei durch die
Besetzung bedroht, warnte stattdessen der Heinsberger Landrat Stephan Pusch
(CDU). Die [2][Aachener Zeitung klärte auf], wer sich da eigentlich dem
Energiekonzern RWE in den Weg stellte: „Linksradikale und
Berufsdemonstranten“, ersatzweise „gewaltbereite Autonome“ oder
„erlebnisorientierte Klimaaktivisten“. Der Autor kannte auch ihr
fürchterliches Ziel: Sie wollten „einen deindustrialisierten
sozialistischen Staat“ schaffen.
## Lützerath als Chiffre
Die FAZ hingegen machte die Anti-AKW-Bewegung der 70er Jahre in direkter
Linie für die Eskalation im Braunkohlerevier verantwortlich. Hätten diese
langhaarigen Weltverbesserer die vorbildlich sauberen Meiler nur fleißig
weiter Atome spalten lassen, wären alle Energiefragen geklärt, jede
Braunkohledebatte unnötig und die Luft in Deutschland viel sauberer.
Ungewollt grotesk geriet eine Live-Schalte des WDR-Fernsehens am Dienstag
von der Informationsveranstaltung des Landrates Pusch in Erkelenz, zehn
Kilometer neben Lützerath. Die Diskussion, so beklagte eine Anwohnerin aus
dem Dorf Holzweiler, „artete aus, es ist nur über Klima diskutiert worden“.
Sie wollte doch nur wissen, ob diese Aktivisten, wenn sie bald aus
Lützerath verjagt wären, ihre heile Welt entern könnten. Ohnehin seien in
der Debatte „mehr Aktivisten als Bürger“ zu Wort gekommen. Die Reporterin
nickte und nickte. Und als Zuschauer fragte man sich: Inwieweit sind
eigentlich Aktivisten keine BürgerInnen?
Betrachtet man die Klimadebatte, muss man sagen: Den aktiven BürgerInnen
von Lützerath gebührt großer Dank. Ihr Mut hat die absurde deutsche
Energiepolitik weltweit an den Pranger gestellt. Lützerath, das winzige
Dorf im Irgendwo, ist zur Chiffre geworden. Das gelbe Kreuz als
wirkmächtiges Symbol, das jetzt auch die Leute der Letzten Generation beim
Festkleben bundesweit dabeihaben. Und [3][Symbole, die eine solche Kraft
entwickelt haben, kriegt keine Polizei aus den Köpfen geräumt].
## Selfies vor dem Monsterbagger
Die Ausharrenden in Lützerath haben auch viel Solidarität erfahren, an
großzügigen Geld- und Sachspenden und vor Ort. Bei der letzten Kundgebung
in Lützerath allerdings, am Sonntag vor einer Woche, blieb ein
zwiespältiges Gefühl: Gut 5.000 Menschen waren gekommen, unter anderem
[4][um dem beeindruckenden taz-Panterpreisträger Peter Donatus aus Nigeria
zu lauschen], der darüber sprach, wie die Klimakatastrophe durch
CO2-Emissionen schon heute unzählige Menschen in Afrika tötet.
Fast alle gingen auch mal direkt an den steilen Abgrund der Kohlegrube.
Gruselig, da hinunterzugucken – und dabei zu vergessen, wie nah sich die
Welt am Klimaabgrund bewegt. Reihenweise posierten die jungen BesucherInnen
vor einem der Monsterbagger. Sie posteten ihre Bilder in die Welt: Guck
mal, wie cool … ich in Lützerath … mega, oder …?
Dann spielte die Kultband [5][AnnenMayKantereit] aus Köln, auch ihr schönes
Schmählied auf den grünen Bundeswirtschaftsminister: „Habeck, Habeck, du
warst echt o. k., doch dann kam RWE …“ Wie viele wohl nur wegen dieses
kostenlosen Gigs gekommen waren? Ein Ticket für AnnenMayKantereit kostet
sonst 80 Euro. Die Demo in Lützerath war da ein Schnäppchen.
Um die Kohlemengen unter dem Weiler und um Energiesicherheit wird weiterhin
gestritten, mit widersprüchlichen Gutachten und Zukunftsspekulationen aller
Art. Sicher ist: Von der Freigabe größerer als vorab geplanter Fördermargen
bis 2030 profitiert der RWE-Konzern massiv, weil danach die CO2-Bepreisung
jede Verstromung immer unwirtschaftlicher macht.
Da lohnt es sich doch, mal schnell noch einen Ort wie Lützerath
wegzuhobeln.
13 Jan 2023
## LINKS
[1] /-Ticker-Raeumung-Luetzerath-/!5908609
[2] https://www.aachener-zeitung.de/lokales/heinsberg/was-die-raeumung-in-luetz…
[3] /Besetzung-gegen-Braunkohle/!5905130
[4] /Kurz-vor-der-Raeumung-des-Dorfs-fuer-Kohle/!5904818
[5] https://www.annenmaykantereit.com/
## AUTOREN
Bernd Müllender
## TAGS
Nordrhein-Westfalen
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Polizei.
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