# taz.de -- Queere Institution in Prenzlauer Berg: Kastanienallee soll tuntig b… | |
> Nach einem Eigentümerwechsel droht dem legendären Tuntenhaus in | |
> Prenzlauer Berg das Aus. Die Bewohner*innen fordern das | |
> Vorkaufsrechts. | |
Bild: Klos auf halber Treppe und Ofenheizung: das Tuntenhaus an der Kastanienal… | |
BERLIN taz | Es ist eine Institution in Berlins queerer Szene, deren | |
Anfänge bis in die Wendezeit zurückreichen. „Kapitalismus normiert, | |
zerstört, tötet“, steht in großen weißen Lettern an der Fassade des Hause… | |
Seit Kurzem hängt daneben das Banner „Tuntenhaus retten“. Denn das | |
Wohnprojekt Tuntenhaus in der Kastanienallee 86 in Prenzlauer Berg ist | |
verkauft worden. | |
Nicht nur die Bewohner*innen drohen verdrängt zu werden. Berlin könnte | |
bald auch eine weitere seiner ohnehin schwindenden alternativen Adressen | |
verlieren. „Wir sind eines der letzten nicht durchsanierten Häuser auf der | |
Castingallee“, sagt Stefanie Gras, eine der Bewohner*innen, zur taz. Mit | |
Blick auf die aufgrund der vielen hippen Besucher*innen Castingallee | |
geschimpften Kastanienallee müsse man sich nur einmal auf | |
Immobilienplattformen die Kauf- oder Mietpreise für Wohnungen anschauen. | |
„Dann ist klar, was uns droht“, sagt Gras. | |
[1][Seit Mitte Februar liegt dem Bezirk Pankow der Kaufvertrag vor.] An wen | |
das Haus verkauft worden ist, darüber werden von offizieller Stelle keine | |
Angaben gemacht. Allen ist zugleich bewusst: Ein unsaniertes Haus in einer | |
attraktiven Lage wie dieser bietet erhebliche Renditemöglichkeiten, etwa | |
wenn im Zuge einer Sanierung und Aufteilung des Hauses Eigentumswohnungen | |
entstehen. | |
[2][„Wir sind eine queere, diverse 36-köpfige Gruppe, die auf dieses Haus | |
angewiesen ist,] weil wir uns weder hohe Mieten leisten können noch vor | |
Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sicher sind“, sagt Stefanie Gras. Sie | |
selbst wohne seit 20 Jahren im Tuntenhaus. Auch ihre Art des Zusammenlebens | |
als große Wohngemeinschaft stehe auf dem Spiel, falls aus dem Haus lauter | |
Ein- oder Zweizimmerwohnungen gemacht würden, befürchtet sie. | |
## Art des Zusammenlebens steht auf dem Spiel | |
Die Hausgemeinschaft fordert deshalb vom Bezirk, das Vorkaufsrecht für das | |
Haus auszuüben. Das würde bedeuten, dass ein gemeinwohlorientierter Dritter | |
wie eine Genossenschaft oder ein landeseigenes Wohnungsunternehmen anstelle | |
des eigentlichen Käufers in den Kaufvertrag eingesetzt wird. Dafür gibt es | |
keine Erfolgsgarantie. Ganz im Gegenteil müssen zunächst viele Hebel in | |
Bewegung gesetzt werden. Und die Zeit drängt. Mitte Mai läuft die Frist | |
aus. | |
Am vergangenen Mittwoch fand zusammen mit dem Bezirksamt bereits eine | |
Besichtigung des Hauses statt. Zwar werde bei jedem Grundstück | |
standardmäßig eine Prüfung durchgeführt: „Dem Bezirksamt Pankow ist die | |
Besonderheit des Hauses und seiner Bewohner*innen aber natürlich | |
bekannt und es wäre sicherlich wünschenswert, dieses Leuchtturmprojekt, das | |
in besonderem Maße für Berlin als einer Stadt der Vielfalt steht, erhalten | |
zu können“, teilt Pankows zuständiger Bezirksstadtrat Cornelius Bechtler | |
(Grüne) der taz mit. | |
Damit das Vorkaufsrecht überhaupt ausgeübt werden kann, muss das Haus einen | |
„städtebaulichen Missstand“ darstellen, konkreter formuliert: in einem | |
schlechten Zustand sein. Toiletten auf halber Treppe, Ofenheizung, fehlende | |
Bäder: Dass das Haus nicht die gängigen Wohnstandards erfüllt, liegt auf | |
der Hand. „Der bisherige Eigentümer hat bislang nichts in das Haus | |
investiert, deshalb gibt es einen erheblichen Sanierungsstau“, sagt | |
Stefanie Gras. | |
[3][Die Mängel werden aktuell im Bezirksamt ausgewertet. Auch wenn diese | |
Voraussetzung gegeben sein sollte,] ist der Vorkauf kein Selbstläufer. Eine | |
Hürde könnte das Finden eines sogenannten Drittkäufers darstellen, der in | |
der Lage ist, den Kaufpreis aufzubringen und „die gegebenenfalls | |
vorliegenden erheblichen baulichen Missstände unter Berücksichtigung der | |
Besonderheiten des Grundstücks und vor allem unter Berücksichtigung der | |
Interessen der Mieter*innen zu beseitigen“, so Grünen-Politiker Bechtler. | |
## Tunten mit langer Widerstandsgeschichte | |
Zwar ist über den Kaufpreis bislang nichts bekannt. Letztlich dürfte ein | |
Vorkauf, falls ein landeseigenes Wohnungsunternehmen zum Zug kommt, | |
wahrscheinlich nicht ohne Zuschüsse möglich sein. Die | |
Senatsfinanzverwaltung teilt auf taz-Anfrage gleichwohl aber bereits mit, | |
dass sämtliche Mittel, die für die Ausübung von Vorkaufsrechten zur | |
Verfügung standen, „vollständig verausgabt oder durch verbindliche Zusagen | |
bereits gebunden“ seien. | |
Es wäre nicht das erste Mal, dass das Tuntenhaus kurz vor dem Aus steht. | |
Die Anfänge des heutigen Tuntenhauses gehen zurück auf die Hausbesetzungen | |
in der Mainzer Straße nach der Wende 1990. Hausbesetzer*innen vor | |
allem aus Westberlin übernahmen damals im Osten der Stadt ein Dutzend | |
Häuser in dem Friedrichshainer Straßenzug. Das Tuntenhaus mit der | |
Hausnummer 4 war eines der ersten, das damals bewohnbar gemacht wurde, und | |
zugleich das Aushängeschild für die Hausbesetzer in der ganzen Straße. Auch | |
vor der Räumung der Mainzer Straße im November 1990, samt Straßenschlacht, | |
verhandelten Vertreter*innen des Senats mit den Besetzer*innen im | |
Tuntenhaus. Genutzt hatte es nichts. | |
## Jeden Samstagnachmittag Proteste | |
[4][Ein Teil der Bewohner*innen zog nach der Räumung in die | |
Kastanienallee 86]. Die Wohnverhältnisse wurden legalisiert. Durch die | |
Rückübertragungen in der DDR enteigneter Grundstücke und einen | |
anschließenden Verkauf landete das Haus schließlich bei einer | |
Eigentümergesellschaft. Auf Angebote der Bewohner*innen, das Haus für 2 | |
Millionen Euro selbst zu kaufen, ging der Eigentümer in den vergangenen | |
Jahren nicht ein. | |
„Wir sind immer noch eine Institution für einen großen Teil der Szene“, | |
sagt Stefanie Gras. Zusammen mit dem „Café Morgenrot“ und dem „Buchladen | |
zur schwankenden Weltkugel“ sei das Haus eine Anlaufstelle im Kiez. Bereits | |
am vergangenen Samstag hatten Gras und ihre Mitbewohner*innen vor dem | |
Haus mit einer Kundgebung protestiert. | |
Jeden Samstagnachmittag will man das jetzt wiederholen. Am 14. April wollen | |
die Tuntenhäusler*innen zudem mit einer Tanzdemonstration auf ihren | |
Fall aufmerksam machen. Denn das Beispiel des erfolgreichen Vorkaufs in der | |
Neuköllner Weichselstraße 52 im November vergangenes Jahr hatte gezeigt: Es | |
braucht Druck, um politische Unterstützung zu erhalten. | |
Das erste Kapitel Tuntenhaus endete in Berlin mit der vom Senat brutal | |
durchgezogenen Räumung. Damit das zweite Kapitel nicht mit den | |
Verwertungsinteressen eines Investors endet, wird es dieses Mal die | |
Unterstützung des Senats brauchen. | |
11 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Raeumung-der-Mainzer-Strasse-1990/!5248049 | |
[2] /RAeUMUNG-IN-DER-KASTANIENALLEE/!5136428 | |
[3] /Das-ist-unser-Haus/!406239/ | |
[4] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1144390.mainzer-strasse-die-avantgarde-tu… | |
## AUTOREN | |
Yannic Walther | |
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