| # taz.de -- RÄUMUNG IN DER KASTANIENALLEE: Polizisten als Zuschauer | |
| > Die Räumung des Umsonstladens in Prenzlauer Berg verläuft friedlich. Nach | |
| > Vermittlung durch Grüne und Linke ist der Eigentümer zu neuen Gesprächen | |
| > bereit. | |
| Michael Brauner steigt aus einem Mannschaftsbus der Polizei. "Ich fühle | |
| mich verarscht", sagt er, seine Hände zittern leicht. In Sichtweite steht | |
| sein Eigentum: ein ehemals besetztes Haus in der Kastanienallee in | |
| Prenzlauer Berg. An der Fassade steht in großen Lettern: "Kapitalismus | |
| normiert, zerstört, tötet". Es ist auch eine Anspielung der Bewohner auf | |
| ihren Konflikt mit Brauner. Seit er das Haus 2002 gekauft hat, schwelt der | |
| Streit. Der Eigentümer will das Haus sanieren, die Bewohner, organisiert | |
| als Kollektiv, sträuben sich dagegen. Sie fürchten steigende Mieten. | |
| Die erste Auseinandersetzung mit Brauner haben sie verloren. Am | |
| Dienstagmorgen werden die Geschäftsräume im Souterrain des Hauses geräumt. | |
| Rund 150 Polizisten haben die Kastanienallee gesperrt, sie begleiten den | |
| Gerichtsvollzieher. | |
| Vier Stufen führen nach unten ins Souterrain, wo sich der Umsonstladen | |
| befindet, den die Bewohner des linken Hausprojektes betreiben. An der Wand | |
| reihen sie die Bücher, einige Umzugskisten stehen in der Ecke. Alle Waren | |
| hier gibt es kostenlos, es sind Spenden. Der Laden ist auch ein Protest | |
| gegen die Spielregeln des Kapitalismus. Diesen Raum will Michael Brauner | |
| wieder in Besitz nehmen. Ein Räumungstitel liegt vor. Für Verhandlungen | |
| hätte es keinen Spielraum mehr gegeben: "Wir haben in der Vergangenheit | |
| genug geredet", erklärt Brauner seinen Weg vor Gericht. | |
| Rund 70 Menschen demonstrieren vor dem Haus gegen die Räumung, viele | |
| Bewohner, einige linke Sympathisanten. "Es besteht wenig Hoffnung, aber wir | |
| werden nicht einfach gehen", sagt einer. Unter den Demonstranten ragen | |
| einige Bewohner des "Tuntenhauses" heraus: Sie tragen Perücken, mal rosa, | |
| mal aus Lametta, und singen gegen die Räumung. An der Hauswand steht ein | |
| Plakat mit der Aufschrift: "Bunter statt Brauner". | |
| Eine Reihe von Polizisten hat sich auf der Straße vor den Demonstranten | |
| aufgebaut. Etwas abseits wartet Hausbesitzer Brauner. Ein letztes Gespräch | |
| hat der Gerichtsvollzieher den Hausbewohnern mit Brauner vermittelt. Nicht | |
| nur die Justiz hofft noch auf eine Gesprächslösung. Auch Volker Ratzmann, | |
| Fraktionschef der Grünen im Abgeordnetenhaus, und der Bundestagsabgeordnete | |
| der Linkspartei Stefan Liebich sind gekommen. Sie versuchen die Situation | |
| zu entspannen. Ihr Angebot an Brauner: Er soll den Laden nicht räumen, | |
| dafür würden sie Verhandlungen moderieren. | |
| Der Arzt tut sich mit einer Einigung schwer, er fühlt sich hintergangen: | |
| Die Hausgemeinschaft hätte erst einen Mietvertrag akzeptiert, als durch die | |
| bevorstehende Räumung bereits eine "Drucksituation" entstanden sei. "Durch | |
| die Kellerräume habe Sie noch lange keinen Zugang zum Haus", gibt Ratzmann | |
| zu bedenken. "Was bringt Ihnen das?" Eine Räumung durch die Polizei würde | |
| einen weiteren "Keil" zwischen ihn und die Hausgemeinschaft treiben. | |
| Brauners geplante energetische Sanierung und der Ausbau des Dachgeschosses | |
| seien so schwerer durchzusetzen, so Ratzmann. | |
| Der Eigentümer will von den Räumungsplänen nicht abweichen. Schließlich | |
| lässt er sich aber doch auf einen Kompromiss ein: Die Gegenstände aus dem | |
| Umsonstladen dürfen vorerst im Haus bleiben. Die Räume sollen versiegelt | |
| werden. Die Bewohner dürfen den Umsonstladen in Eigenregie räumen. Und er | |
| geht noch einen Schritt weiter: "Ich bin zu weiteren Gesprächen bereit", | |
| sagt Brauner und tauscht mit den Politikern Visitenkarten. An einem runden | |
| Tisch soll erneut über die Zukunft des Umsonstladens verhandelt werden. | |
| Die Hausbewohner verkünden durch ein Megafone kurz darauf, dass sie den | |
| Kompromiss annehmen. "Lasst uns die Räume friedlich übergeben", ruft eine | |
| Bewohnerin. Brauner und der Gerichtsvollzieher bahnen sich einen Weg durch | |
| die Demonstranten in das Kellergeschoss. Zwei Handwerker folgen, um die | |
| Türen zu sichern. Nach zehn Minuten verlässt Brauner das Gebäude wieder: | |
| "Es ist doch schade, dass erst eine Drohkulisse aufgebaut werden muss." Er | |
| ist mit dem Ergebnis zufrieden, zweifelt jedoch, ob die Gespräche | |
| erfolgreich seien werden. | |
| 31 Aug 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Caspar Schlenk | |
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