# taz.de -- Prozess nach Attacke auf Linke: Polizei sah Pick-Up-Fahrer als Opfer | |
> Im Prozess wegen der Auto-Attacke in Henstedt-Ulzburg sagte ein Polizist | |
> am Donnerstag aus. Er nahm vor allem „unfriedliche“ Linke wahr. | |
Bild: Unfall oder Attentat? Für AfD-Gegner:innen ist die Sache klar | |
KIEL taz | War es ein Unfall oder ein Attentat, als [1][ein 19-Jähriger mit | |
einem Pick-up am Rand einer AfD-Veranstaltung in eine Gegendemonstration | |
fuhr] und mehrere Personen verletzte? Die Polizei ordnete den Vorfall, der | |
sich vor rund drei Jahren in Henstedt-Ulzburg ereignete, anfangs als | |
Verkehrsunglück ein. Beim Prozess gegen den Fahrer vor dem Landgericht in | |
Kiel trat am Donnerstag ein Polizist auf, der damals am Tatort war. | |
Die Lage stellte sich unübersichtlich dar, als Polizeioberkommissar Z. | |
eintraf. „Fußgänger verletzt, Rettung ist unterwegs“, habe die Information | |
der Leitstelle gelautet, berichtete der 53-Jährige. Er war durchaus nicht | |
der erste Beamte vor Ort: Wegen der AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus und der | |
angemeldeten Gegendemonstration war ein Spezialeinsatzkommando im Einsatz. | |
Als Z. die Straße erreichte, in der Melvin S. mit dem 3,5 Tonnen schweren | |
Pick-up seiner Mutter fast 100 Meter weit über den Gehweg gefahren war, | |
drängten sich dort zahlreiche Menschen. | |
Die Stimmung sei gereizt gewesen, erinnert sich Z. Sogar ein Warnschuss war | |
abgefeuert worden, weil sich „unfriedliche Personen am Fahrzeug“ | |
aufgehalten hätten und die wenigen Polizist*innen, die sich schützend um | |
den Wagen stellten, einer größeren Gruppe gegenüberstanden. Z. sagte über | |
die Gegendemonstrant*innen: „Man steckt ja Leute nicht in Schubladen, aber | |
die hätte ich eher links eingeordnet.“ | |
An dem Tag sprach der damalige Bundessprecher der AfD, Jörg Meuthen, im | |
Bürgerhaus der Gemeinde in Schleswig-Holstein. An den Gegenprotesten seien | |
neben friedlich Demonstrierenden auch „Personen aus dem sogenannten linken | |
Spektrum aus der Region Hamburg dabei gewesen, die etwas ruppiger gegen | |
Polizeikräfte vorgegangen sind“, so berichtete es Z. im schönen | |
Beamten-Sprech auf die Nachfragen von Richterin Maja Borrmann, die mit | |
detaillierten Fragen und im ruhigen Ton durch das Verfahren führt. | |
## Fahrer wollte „Zecken glotzen“ | |
Vor Ort hatte Z. für das Revier Henstedt-Ulzburg zwar „den Hut auf“, aber | |
ein Gutteil der Beobachtungen, die er schließlich zu einer Anzeige | |
zusammenfasste, stammt von den Mitgliedern des Sonderkommandos. Ob | |
allerdings alle beteiligten Beamt*innen ihre Beobachtungen | |
niedergeschrieben hätten, wusste Z. nicht, kontrolliert habe er das nicht. | |
Aus den zusammengetragenen Aussagen ging hervor, dass Melvin S. „in Streit | |
mit Teilnehmern der Demo“ geraten sei. Er und seine Begleiter seien | |
angegriffen und geschlagen worden – für Z. passte das ganz gut zu dem, was | |
seine Kolleg*innen über das „unfriedliche Herantreten an den Wagen“ nach | |
der Tat berichtet hatten. | |
Melvin S. „beabsichtigte, seinen Freunden zu helfen“, steht in der Anzeige. | |
Das deckt sich in etwa mit dem, was der heute 22-Jährige selbst am ersten | |
Prozesstag geschildert hatte. In die polizeiliche Anzeige ist auch eine | |
Online-Anzeige eingeflossen, in der es um die vermeintlichen Angriffe auf | |
S. und seine Begleiter ging. Dass Melvin S. zu diesem Zeitpunkt Mitglied | |
der AfD war und dass er – das hat der Prozess inzwischen ergeben – mit | |
seinen Freunden dort war, um „Zecken zu glotzen“, findet sich in der | |
Anzeige nicht wieder. | |
Seinen Bericht verfasste der Polizist am Ende seiner Nachtschicht. Er | |
sprach sich mit der Staatsanwaltschaft ab, aber nicht mit der Pressestelle | |
der Polizei. Die hatte in einer rasch veröffentlichten Meldung davon | |
gesprochen, dass Linke und Rechte aneinandergerieten und „dabei [2][im | |
Rahmen eines Verkehrsunfalls] eine Person der linken Szene schwer verletzt“ | |
wurde. Auch von „Aggressionsdelikten gegenüber Beteiligten und | |
Polizeibeamten“ war in der Mitteilung die Rede. | |
## Keine Flucht- oder Wiederholungsgefahr | |
„Man kann dem einzelnen Beamten vor Ort gar keinen Vorwurf machen“, | |
bilanzierte Rechtsanwalt Björn Elberling, der mehrere der Verletzten bei | |
der Nebenklage vertritt. Er sieht aber kritisch, dass die | |
Staatsanwaltschaft anfangs nur wegen Gefährdung im Straßenverkehr ermitteln | |
habe. Denn Polizeioberkommissar Z. hatte schon am Tattag mit Betroffenen | |
gesprochen. | |
Nach deren Schilderungen ist für Elberling die angebliche Notwehr, auf die | |
S. sich beruft, vom Tisch. Die entscheidenden Punkte – etwa, wie S. den | |
Wagen gezielt auf die Betroffenen zugefahren habe – habe die Polizei und | |
damit die Staatsanwalt direkt nach der Tat erfahren. „Man hätte daher | |
durchaus überlegen können, ob es sich um ein anderes Delikt handelt“, sagte | |
der Anwalt der taz. | |
[3][Beim Verdacht auf eine versuchte Tötung], um die es vor Gericht geht, | |
wäre auch eine Untersuchungshaft möglich gewesen. So wurde Melvin S. kurz | |
nach der Tat von der Polizei nach Hause gefahren. Aus Sicht des Polizisten | |
Z. habe nichts dagegen gesprochen: „Es gab keine Flucht- oder | |
Wiederholungsgefahr.“ | |
3 Aug 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Prozess-um-Attacke-auf-AfD-GegnerInnen/!5941761 | |
[2] /Nicht-erst-seit-Henstedt-Ulzburg/!5941975 | |
[3] /Prozessbeginn-am-Montag-in-Kiel/!5940342 | |
## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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