# taz.de -- Prozess wegen Pick-Up-Angriff: „Gemischte Gefühle“ nach Amokfa… | |
> Im Prozess gegen einen Mann, der in Henstedt-Ulzburg Linke attackierte, | |
> sagte am Mittwoch sein Begleiter aus. Er sieht die Tat als | |
> „Panikreaktion“. | |
Bild: Henstedt-Ulzburg: Auch vor zwei Wochen gab es hier wieder eine AfD-Verans… | |
KIEL taz | Sein „scheiß Pullover“ sei wohl schuld gewesen, dass „die uns | |
für Scheiß-Nazis hielten“, meint Finn-Ole P. Der heute 24-Jährige war einer | |
der Begleiter von Melvin S., der am 17. Oktober 2020 mit einem Pick-up in | |
eine Gruppe von Menschen fuhr, [1][die in Henstedt-Ulzburg gegen einen | |
AfD-Parteitag demonstrierten.] Seit Anfang Juli wird vor dem Kieler | |
Landgericht gegen S. wegen versuchten Totschlags verhandelt. | |
Die Polizei hatte die Tat, bei der mehrere Menschen verletzt wurden, | |
zunächst nur als Unfall eingeordnet und eine Schuld auf beiden Seiten | |
gesehen. Das lag auch an Finn-Ole P., der kurz nach der Tat Anzeige | |
erstattet hatte: Er sei geschlagen worden. Mit der Amokfahrt habe der | |
damals 19-jährigen Melvin S. in einer „Panikreaktion“ versucht, ihm zur | |
Hilfe zu kommen. | |
Im grünen Hoodie, die blonden Haare über der Halbglatze nach hinten gegelt, | |
erschien P. vor der Jugendstrafkammer. Wie schon an früheren Prozesstagen | |
gab es eine Kundgebung gegen rechte Gewalt vor dem Gebäude. Im Saal nahm | |
sich Richterin Maja Borrmann viel Zeit mit dem einsilbigen Zeugen, der sich | |
schwer tat, sich zu erinnern oder Dinge einzuordnen. | |
Kraftfahrer P., zum Tatzeitpunkt noch in der Lehre, gehörte wie S. einer | |
Gruppe namens „Ortskontrollfahrt“ an, die sich in der Coronazeit gegründet | |
hatte. Am Tag der Tat fuhr S. mit einem Bekannten zur AfD-Veranstaltung. S. | |
war damals Mitglied der Rechtspartei. Er wollte aber nicht ins Bürgerhaus, | |
wo die Versammlung stattfand, sondern – wie er in einem Chat geschrieben | |
hatte – „Zecken glotzen“. Von der Gegendemo aus schickten er und sein | |
Begleiter Posts in die Gruppe, darunter ein Foto, auf dem S. sogenannte | |
„Reichsbrause“ trank. | |
## Eine „blöde Idee“? | |
Finn-Ole P. sei aus Langeweile hingefahren, sagte er dem Gericht. Er traf | |
die übrigen am Parkstreifen, dem späteren Tatort. Von dort seien sie zur | |
Gegendemo gegangen. Dort habe eine Frau per Lautsprecher andere auf die | |
Vierergruppe aufmerksam gemacht. Wahrscheinlich wegen der Kleidung, meinte | |
P. Einen Lonsdale-Pullover, schwarz mit braunen Schulterstücken, habe er | |
getragen: „Ich hatte den geschenkt gekriegt und fand den schick.“ Über die | |
politische Bedeutung habe er zwar durch Bemerkungen eines Kollegen Bescheid | |
gewusst, sich aber keine weiteren Gedanken gemacht. | |
Mit solch auffälliger Kleidung und „Reichsbrause“ auf eine linke Demo gehen | |
– „Ist Ihnen nicht der Gedanke gekommen, dass das eine blöde Idee ist?“, | |
fragte Borrmann. | |
Finn-Ole P. atmete tief durch: „So im Nachhinein ja. Ich hab’ das | |
unterschätzt.“ Er habe die Aktion, auch das Bild mit der „Reichsbrause“, | |
für einen Witz gehalten, sagte er auf Nachfragen des Nebenkläger-Anwalts. | |
Unklar blieb, ob P. Aufkleber mit Parolen mitbrachte – in Chatverläufen war | |
davon die Rede, P. sagte, er könne sich nicht erinnern. | |
Die Gruppe sei dann zu den Wagen zurückgegangen. Dort sei P. von einem | |
halben Dutzend Personen eingeholt worden, einer habe ihn auf die Wange | |
geschlagen. Kurz darauf habe er Motorgeräusch gehört – Melvin S. hatte | |
[2][seinen Pick-up in Bewegung gesetzt.] P. habe sich an seinem eigenen | |
Wagen gedrängt: „Wenn man ein Auto hört, bewegt man sich, man ist kein | |
Reh.“ Gleich darauf habe er einen Luftzug gespürt und nach dem Umdrehen | |
Menschen am Boden liegen sehen. | |
## Links mit Gewalt gleichgesetzt | |
Für ihn war klar, dass Melvin S. „dazwischen gegangen“ sei, weil er | |
angegriffen wurde. Er bezeichnete S. als Freund, den er immer als ruhig | |
erlebt habe. „Darum war der Vorfall so eine Überraschung.“ Er habe heute | |
„gemischte Gefühle“ beim Gedanken an den Tag: „Melvin hat mir geholfen, | |
aber das war over the top.“ Er habe sich damals bei einem Opfer | |
entschuldigt. | |
Anders als Melvin S. sei er selbst nie in einer Partei gewesen, so P. „Ich | |
bin so Standard“, sagte er auf die Frage nach seiner politischen | |
Einstellung. „Komplett rechts ist scheiße, aber links, wenn Menschen | |
verletzt werden, ist auch scheiße.“ | |
Dieser Halbsatz, [3][der links mit Gewalt gleichsetzt,] passt allerdings zu | |
einer Aussage von Melvin S., der zum Prozessauftakt berichtete, er habe | |
sich in „Foren über die Taten von Linksextremen“ informiert. Damals hatte | |
er unter anderem an einen Kumpel geschrieben: „Ich hasse die Linken so | |
sehr, wie du die Kanaken hasst.“ | |
Melvin S. hatte den Angriff auf seinen Freund dramatisch dargestellt: | |
Angreifer hätten auf P. „eingeschlagen“. P. selbst berichtete von einem | |
Schlag, es habe nicht einmal einen blauen Fleck gegeben. | |
Weitere Termine sind noch bis Dezember vorgesehen. | |
27 Sep 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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