# taz.de -- Auto-Attacke von Henstedt-Ulzburg: Die politische Dimension der Tat | |
> Vor drei Jahren lenkte Melvin S. einen Pick-up in eine Gruppe, die gegen | |
> die AfD demonstrierte. Ein Bündnis begleitete den Prozess – mit einem | |
> Ziel. | |
Bild: Nach der Auto-Attacke in Henstedt-Ulzburg forderte ein Bündnis, den poli… | |
HAMBURG taz | Kein Prozesstag ohne Kundgebung, das haben sie bis zur | |
Urteilsverkündung durchgezogen: Am Donnerstag fanden sich rund 50 | |
Unterstützer vom „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“ neben dem Landgericht | |
Kiel ein, wo der [1][Prozess gegen Melvin S. mit einem Schuldspruch wegen | |
gefährlicher Körperverletzung] und schwerem Eingriff in den Straßenverkehr | |
zu Ende ging. Den Unterstützern ging es vor allem darum, dass die | |
politische Dimension der Tat nicht unter den Tisch fällt. | |
Mehr als drei Jahre ist es her, dass S. seinen Pick-up am Rande einer | |
AfD-Veranstaltung im schleswig-holsteinischen Henstedt-Ulzburg in die | |
Gegendemonstranten lenkte und vier Menschen verletzte. Genauso lang | |
organisierte der Unterstützerkreis regelmäßig Kundgebungen, recherchierte | |
die politischen Hintergründe des Attentäters, trat den Ermittlungsbehörden | |
auf die Füße, berichtete über den Prozess und stand den vier Betroffenen | |
bei. „Wir wollten sie nicht nur mit ihren körperlichen Schmerzen nicht | |
alleine lassen“, sagt Martin Meyer vom „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“. | |
Sie wollten sie auch dabei unterstützen, die politische Dimension der Tat | |
ans Licht zu bringen. | |
Denn kurz nach der [2][Tat am 17. Oktober 2020] war in einer | |
Pressemitteilung der Polizei nämlich zunächst von einem „Verkehrsunfall“ | |
und nicht von einem Angriff mit einem schweren Fahrzeug die Rede. Das stand | |
im Widerspruch zu den Aussagen der Zeugen, die von einem gezielten Angriff | |
sprachen. Zwei der bei dem Angriff verletzten Männer gingen an die | |
Öffentlichkeit, schilderten ihre Sicht in einem Gespräch mit der taz – die | |
Gefährlichkeit der Tat und der politische Hintergrund von Melvin S. waren | |
in der Welt und von einem „Verkehrsunfall“ konnte nicht mehr gesprochen | |
werden. | |
Die Betroffenen hatten sich den Schritt, an die Öffentlichkeit zu gehen und | |
damit auch die Polizei zu kritisieren, genau überlegt und sich auch mit | |
Mitgliedern des Unterstützerkreises besprochen. Sie befürchteten, dass der | |
politische Hintergrund der Tat ausgeblendet bliebe. Keine unbegründete | |
Sorge, immer wieder müssten Opfer von rechter Gewalt vor Gerichten den | |
politischen Hintergrund selbst thematisieren, sagt Meyer. | |
Die Mitglieder des Bündnisses recherchierten dann auch selbst die | |
politischen Hintergründe von Melvin S. – seine Mitgliedschaft in der AfD | |
und seine tiefe Verstrickung ins rechtsextreme Milieu wurden offenbar. Mit | |
ihren Recherchen untermauerten sie letztlich auch die Argumentation der | |
Staatsanwaltschaft im Strafverfahren und halfen den Betroffenen, ihr | |
Anliegen vor Gericht durchzusetzen. | |
## „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“ begleitete den Prozess | |
„Es ist uns wichtig, solidarisch an der Seite der Betroffenen zu stehen und | |
sie insbesondere bei ihren Aussagen nicht allein zu lassen“, sagt Sonja | |
Petersen vom „Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg“. Eine Gefahr, der sich | |
[3][antifaschistische Unterstützerkreise wie der in Henstedt-Ulzburg] bei | |
solchen Prozessbegleitungen allerdings immer aussetzen, ist, dass die | |
politische Intention die persönlichen Interessen der Betroffenen überlagern | |
und die Opfer selbst instrumentalisiert werden. „Ja, diese Gefahr besteht, | |
wir haben immer wieder alles genau besprochen, wer will und kann wie weit | |
gehen, welche Aktion, welche Kampagne wären möglich“, sagt Meyer. | |
Und sie organisierten viel, um an die Tat zu erinnern. Vor dem Bürgerhaus | |
in Henstedt-Ulzburg richteten sie eine Flugblattaktion aus, riefen zu | |
Solidaritätsbekundungen auf und berichteten bei antifaschistischen | |
Veranstaltungen über den Prozess, waren auch in Spanien und Frankreich, um | |
aufzuklären. In Pressemitteilungen wies das Bündnis aus ehrenamtlich | |
Engagierten auch auf die lange ausbleibende Anklage hin. Erst im Juni 2021 | |
legte die Staatsanwaltschaft die Anklage vor. Im Juli 2023 startet dann | |
erst der Prozess. | |
Die Bündnismitglieder informierten via sozialer Medien und | |
Pressemitteilungen über die Verhandlung. Bei dem Konzert des Rappers Danger | |
Dan vor der Hamburger Roten Flora sprach eine der Betroffenen darüber, dass | |
der Angriff sie in „erster Linie als Schwarze Frau und dann erst als | |
Antifaschistin getroffen“ habe. Dem Bündnis dürfte zu verdanken sein, dass | |
dieser rechtsextreme Angriff bundesweit als solch eine Tat publik wurde. | |
## Unterstützung für die Opfer rechter Gewalt | |
Felix Zimmermann vom Kieler Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) | |
lobte die Arbeit des Bündnisses als gutes Beispiel für die Unterstützung | |
von Opfern rechter Gewalt. „Die solidarische Prozessbegleitung und die | |
Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von | |
unschätzbarem Wert für die Betroffenen“, sagte er. | |
Und nun? „Wir kümmern uns weiter“, sagt Martin Meyer vom Bündnis und deut… | |
an, dass es möglicherweise darum gehen wird, die Kritik daran zu | |
intensivieren, dass die AfD weiterhin ständig das Bürgerhaus in | |
Henstedt-Ulzburg nutzt. | |
22 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Haftstrafe-fuer-Auto-Attacke/!5978052 | |
[2] /Prozess-wegen-Pick-Up-Angriff/!5959871 | |
[3] /Nach-Auto-Anschlag-durch-einen-AfDler/!5960685 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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