# taz.de -- Proteste in Belarus: Mit 73 gegen Lukaschenko | |
> Nina Bahinskaya ging schon in Sowjetzeiten gegen die Mächtigen auf die | |
> Straße. Der belarussischen Polizei ist sie mehr als vetraut. | |
Bild: Die Geldstrafen zahlt sich nicht: Aktivistin Nina Bahinskaya | |
Kiew taz | Nina Bahinskaya trägt gerne einen leicht altmodischen Damenhut, | |
ihr Blick ist frech, und wenn sie auf eine Kundgebung geht, hat sie immer | |
eine weiß-rote Fahne dabei. Das ist die Fahne ihres Landes Belarus, die bis | |
zum [1][Machtantritt Alexander Lukaschenkos] offizielle Flagge war. | |
Besonders schön findet sie es, wenn ganz in Schwarz gekleidete uniformierte | |
[2][Polizisten der Sondereinheit Omon] im Hintergrund der rot-weißen Fahne | |
stehen. Und das kommt oft vor. Man kennt sich, und man schätzt sich. Denn | |
wenn die 73-Jährige bei einer Aktion wieder einmal festgenommen wird, wird | |
sie sehr behutsam von Polizisten in den wartenden Polizeiwagen | |
komplimentiert. | |
Belarus gehörte noch zur Sowjetunion, als Nina Bahinskaya das erste Mal | |
öffentlich protestierte. Das war 1988. Damals war öffentlich geworden, dass | |
in dem Waldstück Kurapaty unweit der Hauptstadt Minsk zwischen 1937 und | |
1940 vom sowjetischen Geheimdienst 30.000 bis 250.000 Menschen erschossen | |
worden waren. | |
Als am 30. Oktober 1988 belarussische AktivistInnen der „Todesstraße von | |
Kurapaty“ gedenken wollten, war auch Nina Bahinskaya mit dabei. Doch das | |
geplante Requiem für die Opfer von Stalins Schergen wurde mit Tränengas, | |
Wasserwerfern und Gummiknüppeln unterbunden. | |
## Lieber Till Eulenspiegel als Komsomol | |
Schon als Kind fehlte Nina Bahinskaya der Sinn für Obrigkeitsgläubigkeit. | |
Radsport fand sie interessanter als den kommunistischen Jugendverband | |
Komsomol. Die Helden ihrer Kindheit waren Till Eulenspiegel und Spartakus. | |
Seit 1988 ging sie immer wieder mit der rot-weißen Fahne gegen | |
Inhaftierungen und Wahlfälschungen sowie für den [3][Rücktritt von | |
Präsident Lukaschenko] und Neuwahlen auf die Straße. | |
Oft hatte ihr Protest mit der „Todesstraße von Kurapaty“ zu tun: So | |
demonstrierte sie gegen den Bau eines Restaurants auf dem Gelände der | |
ehemaligen Hinrichtungsstätte und beobachtete mit MitstreiterInnen den | |
Parkplatz des Restaurants, um zu sehen, wer dort aufkreuzte. Selbstredend | |
wurde Bahinskaya unzählige Male festgenommen und zu Geldstrafen verurteilt. | |
Bezahlt hat sie nie. Sie verbot sogar ihren MitstreiterInnen, ihr Geld zum | |
Bezahlen dieser Strafen zu geben. Man dürfe doch nicht die Kassen dieses | |
ungerechten Systems füllen, argumentiert sie. | |
Natürlich hat der Staat diese Zahlungsverweigerung der kämpferischen Frau | |
nicht einfach ignoriert. Zwei kleine Datschen, eine Waschmaschine, ein | |
Mikrowellenherd und 50 Prozent ihrer Rente wurden der pensionierten | |
Geologin gepfändet. Doch ein Leben in Armut ist für Bahinskaya keine | |
Abschreckung. Sie habe sich schon als Kind keine Ananas oder Banane leisten | |
können und könne auch jetzt darauf verzichten, sagt sie in einem Interview | |
lachend. | |
Auch wegen dieses Humors wird Bahinskaya von ihren MitstreiterInnen | |
geschätzt. Vor allem aber, weil sie mutig ist – und ihr jeglicher | |
missionarische Eifer fehlt. Auf die Frage, wie viel Geld sie dem | |
belarussischen Staat schon schulde, antwortet sie lapidar, sie habe bei | |
15.000 Euro aufgehört zu zählen. | |
27 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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