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# taz.de -- Plädoyer für Weißrussland-Reisen: Auf nach Belarus!
> Nur wenige Westeuropäer besuchen Weißrussland. Dabei würde ein intensiver
> Dialog zwischen den Menschen das autoritäre Regime Lukaschenkos weiter
> unter Druck setzen.
Bild: Gelebte Tradition: Weißrussen in einem Dorf bei Minsk.
Auf nach Belarus? Jan weiß noch immer nicht, ob er in den Westen soll oder
bleiben. In Weißrussland. Dem Land, in dem Alexander Lukaschenko seine
Macht gerade erst mit Knüppeln verteidigt hat.
Eigentlich wollte Jan* seinem Land eine Chance geben. Nach dem
Germanistikstudium in Deutschland ist er nach Grodno an der Memel
zurückgekehrt. Seitdem arbeitet er als Aushilfe in einem Architekturbüro.
Für 420 Euro im Monat. Gut für Grodnoer Verhältnisse, sagt er. Doch die
eigene Wohnung, die er mit einem Kumpel bewohnte, musste Jan kündigen. Sie
kostete 200 Dollar. Im Haus seiner Mutter ist auch Platz.
So schrumpft die Zukunft von Jan zusammen auf ein paar Quadratmeter und die
Hoffnung auf ausländische Investoren. "Ich bin gut ausgebildet, spreche
fließend Englisch und Deutsch, doch einem belarussischen Unternehmen ist
das egal." Die Chance, die Jan seinem Land gibt, ist deshalb auch ein
Ultimatum. "Wenn nicht bald Arbeitgeber aus dem Ausland kommen, die wissen,
was sie an mir haben, muss ich dorthin, wo man mich braucht." Eine düstere
Perspektive.
Im Land des Alexander Lukaschenko grüßt nicht nur Lenin noch immer von den
Plätzen. Auch der Anteil der staatlichen Betriebe und Kolchosen beträgt
mehr als 80 Prozent. Olga wollte nicht auf Investoren warten. Um nicht
länger arbeitslos zu sein, wollte sie einen Coffee-Shop eröffnen - und
erlebte eine Reise durch die postsowjetische Bürokratie. "Zuerst sagte man
mir, dass es Coffee-Shops in Weißrussland nicht gibt. Es gibt entweder
Restaurants oder Cafés. Von der jeweiligen Kategorie hängt ab, wie viele
Leute du einstellen musst. Auch den Namen für dein Geschäft kannst du dir
nicht aussuchen. Das Gleiche gilt für die Preisgestaltung, die Gewinnspanne
ist staatlich verordnet."
Doch das sei nicht alles, sagt Olga. "Mietverträge kannst du immer nur für
ein Jahr abschließen, da lohnt sich keine Investition. Selbst wenn du eine
Immobilie kaufst, gibt es die Konzession immer nur für ein Jahr." Auf einen
Job in einem staatlichen Betrieb macht sich Olga keine Hoffnung. Sie hat
vor einem Jahr eine Tierschutzinitiative gegründet. Seitdem ist sie bei den
Behörden registriert. "Nun wissen sie, dass ich mich einmische." Das ist
zwar gut für die Zivilgesellschaft, aber schlecht für eine berufliche
Perspektive.
Weißrussland, heißt es, sei noch immer ein weißer Fleck auf der
europäischen Landkarte. Dabei kann jeder nach Grodno in den Westen des
Landes fahren, in die Hauptstadt Minsk oder nach Gomel an der Grenze zur
Ukraine. Die Visaformalitäten sind im Vergleich zu Russland einfach, die
belarussische Airline Belavia fliegt mehrmals in der Woche von
Berlin-Schönefeld nach Minsk, die Menschen sind gastfreundlich,
Kriminalität ist ein Fremdwort.
Vor allem aber ist Belarus reich an europäischem Kulturerbe. Die
Adelspaläste in Mir und Njaswisch oder die Altstadt von Grodno sind Teil
einer präsowjetischen Geschichte, in der das Land als Teil des
Großfürstentums Litauen oder in der polnisch-litauischen Adelsrepublik ein
Teil Europas war.
Wer also sagt, Weißrussland liege noch immer hinter einem Eisernen Vorhang,
müsste ehrlicherweise sagen, dass das auch an denen liegt, die diesen
Vorhang nicht beiseiteschieben. Jan und Olga würden sich jedenfalls freuen,
wenn sie in den Cafés in Grodno Touristen aus dem Westen treffen würden.
"Je mehr man in Deutschland über Belarus weiß, desto mehr steht das Regime
unter Beobachtung", sagt Jan. Andere würden es "Dialog mit der
Zivilgesellschaft" nennen.
Europäisches Kulturerbe
Der Kunstpalast in Minsk ist nicht weit entfernt vom Oktoberplatz, auf dem
nach den Wahlen am 19. Dezember die Sicherheitskräfte auf die Demonstranten
einschlugen. Im Kunstpalast hat Jaugen Schunejka, ein emeritierter
Kunsthistoriker, vor einiger Zeit ein Konzert zum Gedenken an Czeslaw
Niemen organisiert, der polnischen Rocklegende, die in Weißrussland geboren
wurde. Der Kunstpalast, ein 70er-Jahre-Bau, hat mit staatlichem Pomp wenig
gemein. Schon die Plakate und Graffiti an der Eingangstür signalisieren:
Dies ist ein studentischer Ort, wie man ihn auch aus Berlin kennt.
Das Gleiche gilt für das Publikum: Die meisten Besucher kommen mit Parka,
langen Haaren, schwarzem Rollkragenpullover. "Niemen ist auch in Belarus
populär", erklärt Schunejka den Andrang. "Die meisten jungen Leute in Minsk
waren schon in Polen oder Litauen. Sie vergleichen ihre Stadt nicht mit
Moskau oder Kiew, sondern mit Warschau und Wilna." Der Dialog mit dem
Regime in Minsk, den die EU mit der Aussetzung der Sanktionen begonnen hat,
ist gescheitert. Der Dialog mit den Menschen zwischen Memel und Dnjepr
steht erst am Anfang. Voraussetzung dafür ist Reisefreiheit.
Kurz nach den Ereignissen am Wahlabend des 19. Dezember hat Polen seine
Visagebühren für weißrussische Staatsbürger abgeschafft. Wenn den anderen
Schengenstaaten tatsächlich etwas am Dialog liegt, sollten sie dem Beispiel
Warschaus folgen. Auf nach Belarus, das gilt für den Westen. Grenzen auf,
das ist die Einladung zum Gegenbesuch. Jan aus Grodno weiß, wie wichtig es
für junge Belarussen ist, im Westen gewesen zu sein.
"Das Studium in Deutschland war nicht leicht, aber es war eine
Herausforderung", erinnert er sich an seine Zeit als Stipendiat des
Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) in Osnabrück. "Es war ganz
anders als in Weißrussland, mehr Verantwortung, mehr Selbstständigkeit.
Alles hing von mir ab, das war eine große Motivation." Als Jan nach dem
Studium nach Grodno zurückkehrte, sagt er, "war das ein richtiger
Kulturschock".
Olga hat sich inzwischen entschieden - gegen den ständigen Kulturschock und
gegen Weißrussland. Vor einigen Jahren hat sie einen Deutschen geheiratet
und mit ihm in Belarus gelebt. Nun geht es in die andere Richtung, auch
wenn sie noch nicht weiß, was sie in Deutschland erwartet. Wie wichtig es
ist, frei reisen zu können, hat sie in den Jahren zuvor selbst erlebt. Nach
den absurden Behördengängen in Grodno ist sie - dank eines Jahresvisums für
den Schengenraum - immer mal ins benachbarte Druskininkai gefahren. Der
litauische Kurort an der Memel hat zwar nur ein Zehntel der Einwohner von
Grodno. "Doch dafür", lacht Olga, "hat Druskininkai zehnmal so viele
Cafés."
*Namen geändert
26 Jan 2011
## AUTOREN
Uwe Rada
Uwe Rada
## TAGS
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
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