# taz.de -- Weißrussischer Terror gegen Oppositionelle: Ungeahnte Brutalität | |
> Seit der Präsidentschaftswahl Mitte Dezember regiert Alexander | |
> Lukaschenko mit einer Terrorherrschaft in Weißrussland. Doch die EU ringt | |
> weiter um Sanktionen. | |
Bild: Warten: Angehörige von Verhafteten vor einem Gefängnis in Minsk. | |
"Ich erhebe meine Stimme für alle Frauen, die jeden Tag vor dem | |
KGB-Gefängnis in Minsk stehen und endlich etwas über das Schicksal ihrer | |
Angehörigen wissen wollen", sagt Ewa Nekljajewa. Derzeit reisen die Tochter | |
des inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Uladzimir Nekljajew und eine | |
Gruppe von Oppositionspolitikern durch Europa, um auf die Situation in | |
Weißrussland aufmerksam zu machen. | |
Dort herrscht seit dem 19. Dezember 2010, dem Tag der Präsidentenwahlen, | |
blanker Terror. Mit einer ungeahnten Brutalität hatte der autokratische | |
Staatspräsident Alexander Lukaschenko eine Demonstration mit mehreren | |
Tausend Oppositionellen am Wahlabend in Minsk zusammenknüppeln lassen. | |
Offiziellen Angaben zufolge erreichte Lukaschenko, der seit 1994 an der | |
Macht ist, im ersten Wahlgang knapp 80 Prozent der Stimmen. Rund 600 | |
Personen wurden festgenommen, 24 sind immer noch in Haft. Der Vorwurf | |
lautet auf Schüren von Massenunruhen. Im Falle einer Verurteilung drohen | |
den Betroffenen Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren. | |
Uladzimir Nekljajew ist seit dem 19. Dezember in Haft. Der 46-Jährige, | |
einer von neun Gegenkandidaten Lukaschenkos, war während der Kundgebung am | |
19. Dezember von Sicherheitskräften schwer verletzt und kurz darauf im | |
Krankenhaus festgenommen worden. Angaben seiner Tochter zufolge ist sein | |
Gesundheitszustand kritisch, genauere Informationen habe die Familie jedoch | |
nicht. Ein Anwalt habe Neklajew zum letzten Mal am 29. Dezember besuchen | |
dürfen. | |
Ebenfalls im Gefängnis sitzen Andrej Sannikow, ein weiterer | |
Präsidentschaftskandidat, sowie seine Frau Irina Chalip, Mitarbeiter der | |
oppositionellen Zeitung Nowaja Gazeta. Auch Sannikow war bei der | |
Demonstration schwer verletzt worden. Der dreijährige Sohn Danil wird | |
derzeit von der Großmutter betreut. Ende des Monats wollen die Behörden | |
darüber entscheiden, ob der Junge in ein staatliches Waisenhaus eingewiesen | |
wird. | |
Doch nicht nur an den Gefangenen will das Regime derzeit ein Exempel | |
statuieren. Anfang des Jahres wurde kurzerhand die Vertretung der OSZE, die | |
den Ablauf der Wahlen beanstandet hatte, in Minsk geschlossen. Die Mission | |
habe ihre Aufgabe erfüllt, hieß es zur Begründung. Razzien bei den wenigen | |
noch unabhängigen Medien sowie Menschenrechtsorganisationen inklusive der | |
Beschlagnahmung allen Materials sind an der Tagesordnung. Vor wenigen Tagen | |
wurde ein kritischer Journalist zusammengeschlagen. Anwälten, die die | |
politischen Gefangenen vertreten, wird mit dem Entzug ihrer Lizenz gedroht. | |
In einer Art von Verzweiflungsakt schlossen sich die Reste der Opposition | |
am vergangenen Wochenende zu einem landesweiten Koordinationsrat zusammen, | |
um den zunehmenden Repressionen etwas entgegenzusetzen. "Damit wenden wir | |
uns auch an das Ausland. Das ist ein Schrei um Hilfe", sagt Alexander | |
Kozulin. Er war bei den Präsidentschaftswahlen 2006 gegen Lukaschenko | |
angetreten, danach über zwei Jahre aus politischen Gründen inhaftiert und | |
kam erst wieder frei, nachdem die USA Wirtschaftssanktionen gegen Minsk | |
verhängt hatten. | |
Doch ob sich der Westen erneut zu einem derartigen Schritt durchringen | |
kann, ist fraglich. Am Mittwoch ist das weitere Vorgehen gegenüber | |
Weißrussland Thema im EU-Parlament. Während Großbritannien, Schweden, Polen | |
und Deutschland für eine härtere Gangart plädieren, tritt Italien auf die | |
Bremse. | |
Möglich wäre ein Reiseverbot gegen hochrangige Vertreter des Regimes. | |
Dieses war 2006 verhängt, danach aber zweimal ausgesetzt worden, da die EU | |
Anzeichen für eine vorsichtige Liberalisierung beim östlichen Nachbarn zu | |
erkennen glaubte. | |
"Die Aussetzung der Sanktionen war ein Fehler", sagt die grüne | |
Europaabgeordnete Elisabeth Schroedter. "Das hat die weißrussische | |
Opposition geschwächt." Sie fordert eine harte Reaktion aus Brüssel, das | |
Reiseverbot habe sich als wirkungsvolles Instrument erwiesen, um die | |
Machthaber in Minsk unter Druck zu setzen. Gleichzeitig müsse es für die | |
Menschen in Weißrussland jedoch Visaerleichterungen geben. "Die derzeit | |
einzige Möglichkeit, um die Zivilgesellschaft in Weißrussland zu | |
unterstützen, ist, den Weg in die EU zu öffnen", sagt Schroedter. | |
Polen hat "als Zeichen der Solidarität" bereits die Visagebühren für | |
Weißrussland abgeschafft. Für Februar plant Warschau eine Konferenz, auf | |
der beraten werden soll, wie die weißrussische Opposition wirkungsvoll | |
unterstützt werden kann. | |
Mitarbeit: n-ost, Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung | |
12 Jan 2011 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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