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# taz.de -- Propaganda mit Horrorbildern: Krieg der Köpfe
> Mit ihren Videos von Enthauptungen wollen sich die Dschihadisten des IS
> in die Tradition Mohammeds stellen – und zeigen: je brutaler, desto
> entschlossener.
Bild: Schweigemarsch zum Gedenken an den von IS-Milizen geköpften französisch…
Es sind die ultimativen Horrorbilder, und dieser Terror ist der Zweck ihrer
Verbreitung: Enthauptung des Journalisten James Wright Foley durch den IS,
Enthauptung von Steven Sotloff, jüngst die Enthauptung des britischen
Taxifahrers Alan Henning, der nach Syrien gereist war, um Hilfsgüter zu
liefern. Ist das Kopfabschlagen eine muslimische Marotte, die islamische
Tötungsart? Nun, die vielen Millionen Muslime, die nie auf die Idee kämen,
anderen Leuten den Kopf abzuschneiden, würden gegen diese Formulierung
sicher protestieren. Aber natürlich ist sie in einem gewissen Sinne die
islamische Tötungsart. Denn mit der Art, wie man jemanden tötet, senden
religiös oder weltanschaulich motivierte Killer immer auch eine Botschaft
mit.
Das ist ja, betrachtet man die Sache kühl, durchaus leicht einsehbar. Die
meisten Muslime töten überhaupt niemanden. Ein Mörder, der irgendjemanden
umbringen will und zufälligerweise auch Muslim ist, der wird sein Opfer
irgendwie umbringen – erwürgen, erschießen, was auch immer. Aber ein
muslimischer Mörder, der damit eine religiöse Botschaft senden will, der
sich selbst in die Tradition des Propheten stellen will, der wird sein
Opfer sehr häufig köpfen.
Dass die gewählte Tötungsart auf irgendeine Weise mit der Weltanschauung
des Tötenden kongruiert, ist ja an sich nichts spezifisch Muslimisches. Die
Tötungsart hat immer einen symbolischen Überschuss, vom Genickschuss in den
Folterkellern der sowjetischen GPU (kurz, emotionslos, technisch kühl) bis
zur Guillotine nach der Französischen Revolution, die selbst eine
Verkörperung von Rationalismus und Aufklärung sein wollte – das Töten mit
der Guillotine war daher effizient, und vor allem war die Tötungsapparatur
eine Maschine, was dem Geist der Zeit entsprach.
Das Enthaupten der Geiseln, westlicher wie einheimischer, wie es der IS
praktiziert, wird nicht nur mit der islamischen Dschihad-Tradition
legitimiert. Nein, mehr noch: Es ist ein ebenso brutaler wie symbolischer
Akt der Selbstlegitimation, um sich in diese Tradition zu stellen. Bereits
vor zehn Jahren formulierte der irakische Al-Qaida-Anführer Abu Musab
al-Sarkawi, also der Chef der IS-Vorläuferorganisation, anlässlich der
Enthauptung des amerikanischen Technikers Nicholas Berg: „Ist es nicht an
der Zeit für euch Muslime, den Pfad des Dschihad zu beschreiten und das
Schwert des Propheten aller Propheten in die Hand zu nehmen?“ Und weiter:
„Der Prophet, Gesegnet Sei Er, befahl, den Gefangenen in den Nacken zu
schlagen und sie zu töten. Er gab uns selbst ein gutes Beispiel.“
## Der Ursprung des Kopfabschlagens ist nicht religiös
Tatsächlich gibt es im Koran und in den Hadithen – den später verfertigten
Nachrichten über das Wirken des Propheten Mohammed – genügend Stellen, die
darüber berichten, dass der Begründer des Islams, der ja gleichzeitig ein
Reichsgründer und Heeresführer war, die Enthauptung seiner Feinde anordnete
und teilweise auch selbst ausführte. Exempel, die heute massenhaft
vervielfältigt bevorzugt auf islamistischen Homepages im Internet
kursieren.
So befahl Mohammed nach der Schlacht von Bakr die Enthauptung zweier
Kriegsgefangener, weil diese sich Kriegsverbrechen schuldig gemacht hätten.
In einer der berühmtesten unter den brutaleren Koranstellen wird
ausgeführt, wie der Prophet befahl, zwischen sechs- und neunhundert
jüdische Männer zu töten, weil die Juden Medinas mit den militärischen
Gegnern Mohammeds konspiriert hätten. Der „schreckliche Verrat“ wurde mit
Köpfen gesühnt – eine Passage, die in der islamistischen Lesart des Korans
übrigens auch deshalb besonders gerne hervorgehoben wird, weil sie die
Feindschaft Mohammeds zu den Juden belegen soll. Ein anderes Mal hat der
Prophet nach einem Hadithen-Bericht selbst den Kopf eines Mannes gepackt,
der gegen Gottes Gebote verstoßen habe, und seinen Begleitern zugerufen:
„Erfüllt eure Aufgabe!“
Von seinem Ursprung her hat dieses Kopfabschlagen nichts speziell
Religiöses, sondern war wohl eher eine übliche Praxis unter den nomadischen
Wüstenkriegern Arabiens im siebenten Jahrhundert. Es ging dann aber, eben
weil es von Mohammed und seinen Heerführern praktiziert wurde, in die
koranische Tradition ein. So habe Gott, ist an einer Stelle zu lesen,
Mohammed von den Engeln sagen lassen: „Ich werde in die Herzen derer, die
ungläubig sind, Schrecken einjagen. So schlagt oberhalb des Nackens und
schlagt von ihnen jeden Finger.“ An anderer Stelle heißt es: „Und wenn ihr
die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel
unter ihnen angerichtet habt“ (47,4).
## Hauptamtlicher Kopfabschneider
Das Köpfen blieb über die Jahrhunderte eine beliebte muslimische Praxis,
sowohl gegenüber Nichtmuslimen als auch gegen innere Feinde, in
Machtkämpfen und im religiösen Richtungsstreit. So wurde der
Propheten-Enkel Hussein bin Ali, den die schiitische Minderheit im Islam
seither als ihren größten Heiligen verehrt, 680 in Kerbala von den Soldaten
des Kalifen enthauptet und sein Kopf auf einer silbernen Schale nach
Damaskus gebracht. Die Geschichte des Islams ist voll von abgeschlagenen
Köpfen, die auf Lanzen gespießt zur Abschreckung der Gegner ausgestellt
wurden.
Noch in den frühen 1990er Jahren sandten die iranischen Mullahs ihre
Todesschwadronen aus, um den früheren Ministerpräsidenten Schapur Bakhtiar
im Pariser Exil zu ermorden. Auch er wurde geköpft. Die algerische
Dschihad-Truppe „Islamische bewaffnete Gruppe“ hielt sich in den 90ern
sogar einen hauptamtlichen Kopfabschneider. Momo le Nain – „Mohammed der
Zwerg“ – soll allein in einer Nacht 86 Köpfe abgeschlagen haben. Im
wahabitischen Saudi-Arabien ist die Enthauptung ohnedies die gängige
Hinrichtungsart.
Der IS hat das zweifelhafte Verdienst, die Enthauptung als medialen Akt
perfektioniert zu haben. Die Enthauptung des Reporters Daniel Pearl in
Pakistan oder die von Nicholas Berg war roh, grobkörnig und in der vollen
Brutalität praktisch nicht anzusehen. Der IS versucht nun, wie der
Schriftsteller Clemens J. Setz zuletzt in der Zeit ausführte, ihre
Enthauptungsvideos so „benutzerfreundlich“ und gleichzeitig „brutal“ wie
möglich zu machen. Man soll nicht alles sehen, nicht das abstoßende Knacken
hören, nicht das röchelnde Ausstoßen von Lungenvolumen. Das würde die
Verbreitung begrenzen. Und maximale Verbreitung ist das Ziel.
Es ist eine bizarre Kombination von prämoderner Handarbeit mit den Mitteln
modernster Kommunikationstechnologie. Die Brutalität wird als Werbemittel
eingesetzt. Guerilleros wie Che Guevara haben ihre Morde im Verborgenen
ausgeführt und waren sehr darauf bedacht, dass niemand von ihnen erfährt –
es wäre ihrem Image abträglich gewesen. Die IS-Killer dagegen sind der
Überzeugung, die zur Schau gestellte Brutalität würde ihnen nicht schaden,
sondern sogar nützen – und sie haben recht damit. Einerseits sind die
Bilder eine Botschaft an ihre Kriegsgegner, die diese in Angst und
Schrecken versetzen und damit lähmen sollen: Wann immer sie sich daran
machen, eine Stadt zu belagern und einzunehmen, wissen die Belagerten
schon, was ihnen blühen könnte – sie haben es ja bereits auf den Videos auf
ihren Smartphones gesehen. Sie werden in Panik davonrennen. Andererseits
sind die Videos eine Botschaft an potenzielle Sympathisanten, etwa junge
Muslime im Westen: Die Brutalität ist der Beweis, dass der IS es ernst
meint; dass er wirklich etwas tut. Je grausamer, desto entschlossener. Um
nicht zu sagen: je grausamer, desto frommer.
## Die Teenies haben Einiges gesehen
Diese Teenies, das darf man nicht vergessen, haben schon einiges gesehen.
Unzählige Bilder von Gräueltaten der syrischen Armee. Jedes tote Baby aus
dem Gazastreifen haben sie hundertmal per WhatsApp oder via andere Kanäle
zugeschickt bekommen. Sie kennen die Bilder von der Grausamkeit der
russischen Armee in Tschetschenien. Ihre emotionale Reaktion darauf ist:
„Da muss doch jemand etwas dagegen tun.“ Die Bilder von den Enthauptungen
(aber auch die vielen kursierenden Bilder von Massenhinrichtungen syrischer
Soldaten) sollen für die Betrachter mit dieser „Zusehergeschichte“ als
Dokumente endlicher Gegenwehr funktionieren.
Die Bilder haben aber noch einen anderen Effekt, von dem nicht klar ist, ob
er so intendiert war: Die Enthauptung etwa des US-Staatsbürgers James
Wright Foley hat eine bisher völlig indifferente amerikanische
Öffentlichkeit aufgerüttelt und die Militärintervention gegen den IS erst
ermöglicht, um nicht zu sagen: erzwungen.
Das Köpfen ist unter allen Todesarten seit jeher eine der
terrorisierendsten. Nicht zufällig handeln zwei zentrale Geschichten der
biblischen Tradition von abgetrennten Köpfen: die Geschichte von der
Enthauptung Holofernes’ durch Judith und Salomes Wunsch, man bringe ihr das
Haupt von Johannes dem Täufer. Das Köpfen terrorisiert durch die Zerstörung
jeder körperlichen Integrität. Der Geköpfte ist sozusagen toter als tot.
Vergessen ist längst, dass das Enthaupten früher vor allem eine praktische
Eigenart hatte: Es produzierte ein leicht transportables Beweisstück für
den Tod des Feindes. Aber dafür gibt es heute ja Videos.
5 Oct 2014
## AUTOREN
Robert Misik
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