| # taz.de -- Pro-Palästina-Demo in London: Explosive Mischung | |
| > 300.000 pro-palästinensische Demonstrierende trafen am Samstag in London | |
| > auf 2.000 Hooligans. Interessant war, wie die Polizei damit umgeht. | |
| Bild: Keine willkommenen Gäste: 2000 Hooligans kreuzten am Samstag in London a… | |
| LONDON taz | Kränze werden in Andacht an die seit 1914 in Kriegen | |
| gefallenen britischen Soldaten am Cenotaph, dem britischen Kriegsdenkmal in | |
| Londons Whitehall, gelegt. So wie eigentlich jedes Jahr am Armistice Day, | |
| dem 11. November. Zwei Schweigeminuten folgen, dann Applaus, aus dem | |
| plötzlich Gegröle, wie aus einem Fußballstadion vordringt: „Inge-laaand“. | |
| Das Gejohle von außen drang akustisch durch, obwohl das gesamte Gebiet um | |
| das Cenotaph abgeriegelt geworden war. 2.000 Rechtsextreme, laut der | |
| Polizei vor allem Fußball-Hooligans, hatten sich in der Stadt versammelt. | |
| Dabei sollten die Absperrungen eigentlich Schutz bieten vor anderen | |
| Demonstrant:innen: Mehrere hunderttausend Menschen wollten, [1][wie | |
| bereits an den vergangenen drei Wochenenden], für einen Waffenstillstand in | |
| Gaza auf die Straße gehen. | |
| Die Debatte darum, ob dies auch an diesem Wochenende richtig oder falsch | |
| sei, begleite die britische Politik nahezu die ganze Woche. Eine Seite | |
| fürchtete die potenzielle Entehrung des Gedenktages, sollte es zu Chaos | |
| kommen – zumal die Pro-Palästina-Demos zuvor immer durch Whitehall und am | |
| Kriegsdenkmal vorbeigezogen waren. Andere glaubten, dass gerade der | |
| Armistice Day eine besondere Symbolkraft für die Solidaritätsproteste mit | |
| Gaza bereithielt. | |
| Obwohl die Marschroute der Demonstration geändert wurde und die Londoner | |
| Polizei angab, mit dem bisher größten Polizeiaufgebot an dem Gedenktag im | |
| Einsatz zu sein, quengelte vor allem die britische Innenministerin Suella | |
| Braverman. Ihr sei all das nicht ausreichend genug, die | |
| pro-palästinensischen Demonstrationen bezeichnete sie als Hassmärsche. | |
| ## Doppelmoral bei der britischen Polizei? | |
| Zu einem Höhepunkt [2][des Streits] kam es unter der Woche in der | |
| Tageszeitung The Times. Suella Braverman sagte dort, Teile der | |
| pro-palästinensischen Demonstrationen erinnere sie an die protestantischen | |
| Ulster Gruppen Nordirlands. Den starken und richtigen Einsatz der Polizei | |
| gegen Rechtsextremist:innen und Nationalist:innen könne sie bei | |
| dem sich „identisch benehmenden pro-palästinensischen Mob“ nicht erkennen. | |
| Deren Gesetzesverstöße würden von der Polizei sogar ignoriert, es herrsche | |
| eine Doppelmoral. Gegen Fußballfans würde ebenfalls mehr vorgegangen als | |
| gegen politische Minderheitsgruppen, welche Lieblinge der Linken seien. Und | |
| auch Lockdown-Gegner:innen seien während der Pandemie härter rangenommen | |
| worden als etwa Black-Lives-Matter-Protestant:innen. Auf deren | |
| Demonstrationen seien Beamt:innen sogar selbst auf die Knie gegangen. | |
| Viele Beobachter:innen glaubten, dass sich Braverman mit diesen Worten | |
| aus ihrem Amt katapultieren werde, denn mit Premierminister Sunak und der | |
| Downing Street waren die Sätze nicht abgesprochen. Doch Sunak gab sich | |
| ungerührt, Braverman genieße weiter sein Vertrauen. Finanzminister Jeremy | |
| Hunt gab zumindest zu verstehen, dass er die Worte der Innenministerin so | |
| nicht übernehmen würde. Erst eine Woche zuvor hatte Braverman mit der | |
| Bemerkung, dass Obdachlosigkeit und das Übernachten in Zelten auf der | |
| Straße „ein Lebensstil“ sei, für Aufregung gesorgt. | |
| Mindestens 300.000 Personen aus dem ganzen Land hatten sich schließlich der | |
| Pro-Palästina-Demo angeschlossen. Die Proteste blieben überwiegend | |
| friedlich, obwohl man durchaus zahlreiche Plakate sichten konnte, die gegen | |
| Israels Existenz gerichtet waren, Holocaust und Nazivergleiche schürten, | |
| oder behaupteten, dass Israel einen Genozid betreibe. | |
| Eine IS-ähnliche schwarze Fahne mit dem islamischen Glaubensbekenntnis und | |
| Verkleidungen, die an Hamaskämpfer erinnerten, wurden ebenfalls gesehen. | |
| Eine Gruppe zitierte Sprüche über das Massaker in Khaybar, einer jüdisch | |
| besiedelten Oase, im Jahr 628. Weit verbreitet und unüberhörbar wurde am | |
| ganzen Tag „From the River to the Sea, Palestine will be free“ skandiert. | |
| Der Spruch gilt als Negierung des Existenzrechts Israels. | |
| Die meisten forderten jedoch nur einen Waffenstillstand, für den sie einzig | |
| Israel in der Verantwortung sehen. Britischen Politikern gaben die | |
| Demonstrant:innen eine Mitschuld an den vielen Opfern in Gaza, sei es | |
| aufgrund britischer Waffenlieferungen oder weil diese sich nicht für einen | |
| Waffenstillstand einsetzen. Bisher haben die beiden Parteiführer nur eine | |
| humanitäre Pause gefordert, da ein Waffenstillstand der Hamas zugutekäme. | |
| Als Wohnungsminister Michael Gove am Samstag auf der Demonstration | |
| auftauchte, riefen die Protestierenden ihm „Schande“ entgegen. Gove wurde | |
| daraufhin mit einem Polizeidienstwagen in Sicherheit gebracht. | |
| ## Auseinandersetzungen mit Hooligans | |
| Probleme gab es dann vor allem vonseiten der Fußball-Hooligans, welche sich | |
| an verschiedenen Stellen in der Nähe des Cenotaphs und entlang der | |
| Marschroute der Demo mit Union- und St. Georgs- Fahnen verschanzten. Sie | |
| versuchten, sich der pro-palästinensischen Demo und dem Cenotaph zu nähern. | |
| Scotland Yard gab an, dass sie klar Unruhe stiften wollten, viele waren | |
| angetrunken, manche mit Schlagwaffen bewaffnet. | |
| Es waren klar Gruppen, von denen Suella Braverman in der Times als härter | |
| behandeltes Milieu sprach. Die Hooligans schienen von Bravermans Interview | |
| ermutigt worden zu sein. Auch Tommy Robinson, einer der bekannteren Namen | |
| im rechtsradikalen Milieu war anwesend. Bei Auseinandersetzungen mit diesen | |
| Gruppen in der Nähe des Cenotaphs wurden neun Beamt:innen verletzt. | |
| Am Ende des Tages versuchten sich auch vermummte Gruppen aus der | |
| pro-palästinensischen Demo heraus selbständig zu machen. Eine Gruppe von | |
| 150 Personen wurde laut der Polizei dabei gestoppt. Insgesamt wurden am | |
| Samstag von der Polizei 126 Personen festgenommen, viele davon aus dem | |
| rechtsextremen Milieu. Premierminister Sunak verurteilte noch am Samstag | |
| die Vorkommnisse. | |
| Die Frage für die kommende Woche bleibt, ob sich Suella Braverman halten | |
| kann. Die Labour-Partei wirft ihr vor, verschiedene Gruppen des Landes | |
| gegeneinander aufgewiegelt zu haben. Auch der Londoner Bürgermeister Sadiq | |
| Khan sah sie als verantwortlich für den Aufmarsch der rechtsradikalen | |
| Gruppen an. Nicht wenige suggerieren, Braverman versuche absichtlich zu | |
| provozieren, um sich als potenzielle konservative Parteiführerin der | |
| Zukunft einen Namen zu machen. | |
| Von Braverman wird man im Laufe der Woche so oder so mehr hören. Das | |
| Supreme Court des Vereinigten Königreichs will am Mittwoch sein Urteil über | |
| die Legalität [3][der von Braverman verteidigten Abschiebungen von | |
| Flüchtlingen nach Ruanda] verkünden. | |
| 12 Nov 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Juedische-Gemeinden-in-Grossbritannien/!5965150 | |
| [2] /Londons-Polizeiberater-in-der-Kritik/!5968208 | |
| [3] /Urteil-gegen-Grossbritanniens-Ruanda-Deal/!5940403 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
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