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# taz.de -- Morddrohungen gegen britischen Tory: Mike Freer gibt auf
> Nach einem Brandanschlag und Gewaltandrohungen will der Tory nicht mehr
> fürs Unterhaus kandidieren. Das hat auch mit seiner Haltung zu Israel zu
> tun.
Bild: Mike Freer, vor jubelden Anhänger:innen, nach dem Gewinn seines Wahlkrei…
Vincenzo findet kaum die richtigen Worte. Der Inhaber eines Feinkostladens
im nördlichen London erzählt, wie ihn die Nachricht mitgenommen habe, dass
der Parlamentarier Mike Freer aus dem Wahlbezirk Finchley and Golders Green
bei den bevorstehenden britischen Unterhauswahlen nicht mehr antreten
wolle. Der 63-jährige Freer hat sein Abgeordnetenbüro genau gegenüber von
Vincenzos Laden. „Er ist ein netter Mann“, urteilt Vincenzo.
## Brandanschlag und Mordversuch
Aber Freer und seine Familie fühlen sich nicht mehr sicher. Erst
Weihnachten vergangenen Jahres wurde sein Abgeordnetenbüro in Brand
gesetzt. Ganz generell kann Freer sich glücklich schätzen, überhaupt noch
am Leben zu sein. Diese Woche gab er bekannt, dass der IS-Unterstützer Ali
Harbi Ali, [1][der im Oktober 2021 den konservativen Abgeordneten Sir David
Ames ermordet hatte], es kurz zuvor auch auf ihn abgesehen hatte. Eine
unvorhergesehene Terminänderung rettete Mike Freer damals das Leben
Freer sprach in den britischen Medien von permanenten Angriffen auf seine
Person. Seine Unterstützung Israels und [2][der jüdischen Bevölkerung, die
in einigen Teilen des Stadtteils Golders Green die Hälfte der Bevölkerung
stellt], sei der Grund dafür, meint er. Mehrmals sei er sogar schon von der
verbotenen radikal-islamischen Gruppe „Muslims against Crusades“ (Muslime
gegen Kreuzzüge) kontaktiert worden. Ständig müsse er auf der Hut vor neuen
Gefahren sein. Irgendwann hätten solche Angriffe auch Auswirkungen auf die
Familie. Dieser Zeitpunkt sei jetzt gekommen und darum sei es jetzt einfach
genug.
Mike Freer ist seit 2010 konservativer Abgeordneter im britischen
Unterhaus. Seitdem hat er sich immer wieder sowohl gegen rechtsradikale
Bedrohungen als auch gegen [3][den Antisemitismus in der Labour-Partei]
ausgesprochen. 2021 verurteilte er einen Autokorso in seinem Stadtteil,
dessen Teilnehmer:innen jüdischen Passant:innen offen antisemitische
Hassparolen entgegenriefen. Nach dem 7. Oktober letzten Jahres setzte sich
Freer für die jüdische Bevölkerung in Großbritannien und für Israel ein.
## Balance im Nahost-Konflikt
In der Nachbarschaft von Freers Büro sind viele der Meinung, dass in Sachen
Israel und Gaza eine Balance gewahrt werden müsse. So wie der 38-jährige
Allaa, der aus Marokko stammt. Der derzeit arbeitslose IT-Ausbilder findet,
Abgeordnete müssten sich vor allem für den Frieden einsetzen.
Gewaltanwendung oder Morddrohungen gegen sie lehnt er absolut ab.
Ein aus Indien stammender 70-Jähriger glaubt hingegen, dass in
Großbritannien zu wenige für die Palästinenser:innen sprechen würden.
Freer sei da keine Ausnahme. Ein etwa 20-jähriger Vollbartträger im blauen
Pulli bricht sichtbar erregt das Gespräch ab: „Was, er unterstützt Israel?
Fuck him!“
Ganz anders an einer der Hauptstraßen in Golders Green. Hier gibt es
koschere Metzger, jüdische Bäckereien und Supermärkte. Die 23-jährige
Sarah, die in einem koscheren Imbiss arbeitet, erklärt: „Es ist traurig,
dass jemand, der sich hinter die jüdische Gemeinschaft stellt, jetzt
aufgibt.“
## „Wir lieben, ihr hasst“
Judy und Victor, beide jüdisch und im Rentenalter, glauben allerdings, dass
Freer kein effizienter Abgeordneter war. „Ich habe ihn einmal wegen einer
Sache angeschrieben, sein Einsatz war enttäuschend“, so Victor. Beide
verurteilen die Gewalt gegen Freer. Sie hoffen aber, dass die jüdische
Labourkandidatin Sarah Sackman, die bereits 2015 angetreten war, aber
damals noch 11,3 Prozent hinter Freer lag, diesmal bessere Chancen hat.
Neben dem Supermarkt Kosher Kingdom in Golders Green hängen [4][Plakate von
den israelischen Geiseln in Gaza]. Die gleichen hingen auch in der Umgebung
von Freers Büro – an einer alten Telefonzelle, einst Symbol für Gespräche
über räumliche Distanz. Dort wurden sie jedoch heruntergerissen. „Wie krank
und böse muss derjenige sein, der das herunterriss. Wir lieben, ihr
hasst!“, hat jemand auf die Fetzen geschrieben.
Manchmal bleibt es nicht beim Herunterreißen von Plakaten. Erst Anfang der
Woche hatte ein 34-Jähriger Angestellte und Kund:innen in einem der
kleineren koscheren Supermärkte in Golders Green mit einem Küchenmesser
bedroht, bevor er von einem Mitglied des jüdischen Sicherheitsdienstes
Shomrin und der Londoner Polizei überwältigt werden konnten. Nach
Augenzeugenberichten wollte der Mann wissen, auf welcher Seite die Menschen
im Supermarkt im Nahost-Konflikt stünden.
3 Feb 2024
## LINKS
[1] /Toedlicher-Angriff-auf-David-Amess/!5808322
[2] /Kindertherapeutin-ueber-Zukunftangst/!5944676
[3] /Britische-Labour-Partei-vor-Wahlen-2024/!5921595
[4] /Israelische-Hamas-Geiseln/!5975077
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski
## TAGS
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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