| # taz.de -- Porträt des Modemachers Jean Gritsfeldt: Mit Blumen- und mit Tarnm… | |
| > Der ukrainische Modedesigner Jean Gritsfeldt lebt in Berlin. Seine an | |
| > Botschaften reiche Mode zeigt er auf der Fashion Week. | |
| Bild: Der Mix von Jean Gritsfeldt | |
| Berlin taz | Er trägt Lippenstift und ein nasses Hemd. Auf seinen | |
| offiziellen Fotos posiert der ukrainische Modedesigner Jean Gritsfeldt wie | |
| ein Model. Mit seinen langen, dunklen Haaren und seiner blassen Haut sticht | |
| er heraus. Gritsfeldts Image entspricht dem aktuellen Zeitgeist des | |
| Umbruchs und spiegelt diesen auch in seiner Kollektion „Born In Kyiv. | |
| Sculptor of Love“ wider. | |
| Als er 2012 seine erste Kollektion „The Black Unicorn“ präsentierte, kam | |
| darin seine klassische und elegante Ader zum Ausdruck. Heute gilt er als | |
| einer der prägenden ukrainischen Modedesigner, der während der Berliner | |
| Fashion Week in den Reinbeckhallen nun seine Mode vorstellen wird. | |
| Zur [1][Fashion Week 2022 konnte zwar eine Kollektion von ihm präsentiert] | |
| werden, er selbst aber konnte nicht kommen und war nur per Videobotschaft | |
| zugeschaltet. Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hatten sich auch | |
| die Lebensumstände des Designers drastisch verändert. | |
| ## Hommage an sein Heimatland | |
| „Die Flucht in meine neue Heimat Berlin war eine Flucht ins Unbekannte“, | |
| erzählt er. Er habe seine Gewohnheiten loslassen müssen. Seiner neuen | |
| Umgebung habe er sein lebendiges Herz gezeigt. Er halte es offen und | |
| vertraue auf das Universum. | |
| In Berlin entwirft Gritsfeldt eine Statement-Kollektion als Hommage an sein | |
| Heimatland. Seine aktuelle Mode ist mutig, nie zu förmlich und voller | |
| Individualismus. „Meine Kollektion artikuliert eine spielerische Form der | |
| Protestkunst“, sagt er selbst über seine Kollektion. Sie sei ein Aufruf, | |
| der sich gegen den nicht enden wollenden Krieg in der Ukraine richte. | |
| Gritsfeldt will seine Gedanken und Träume über Liebe, Kampf und Freiheit im | |
| Medium der Mode artikulieren, und das gelingt: Die Looks scheinen fast | |
| anarchisch. Sie drücken das Chaos aus, welches aktuell in der Ukraine | |
| herrscht. | |
| ## Fröhlichkeit und Schutt und Asche | |
| Der Designer verwendet Materialien wie Cord, Leinen, Wolle, synthetisches | |
| Fell, Seide und Chiffon. Der Chiffon und die Seide bringen Leichtigkeit und | |
| Fröhlichkeit in seine Looks. Außerdem kombiniert er Blumenmuster mit | |
| Tarnmustern. Sie stehen für ein fröhliches und aufgewecktes Land, das jetzt | |
| in Schutt und Asche liegt. Dazu verbindet der Designer dicke Fransen mit | |
| Pailletten, Rüschen und Stickereien. | |
| Die Bilder seines Shootings wirken wie Momentaufnahmen. Sie stehen für das | |
| natürliche und ursprünglich schöne Leben. Seine Looks sind elegant-casual, | |
| und Gritsfeldt benutzt für seine Kollektion auch Symbole wie etwa ein Auge, | |
| welches das Fenster zur Seele symbolisiert. Augen lügen bekanntlich nie. | |
| Durch seine Schnitte verzerrt der Modedesigner klassische Silhouetten und | |
| er benutzt popkulturelle Bezüge, welche er dekonstruiert. „Die | |
| Vorstellungskraft kennt keine Limits.“ Davon ist Gritsfeldt überzeugt. Der | |
| Designer glaubt an die Freiheit, in seiner Mode spiegelt sich das | |
| grenzenlose Leben wider. Das wünscht er sich auch für seine Heimat. Seine | |
| Designs widme er der Energie des ukrainischen Volkes und dessen | |
| unzerbrechlichem Geist, sagt Gritsfeldt. Beide würden genährt von einer | |
| Kraft, die alles durchdringt: Liebe. | |
| „Meine Arbeit sollte die liebevollste Version von dir selbst erwecken. Dein | |
| innerer Superstar“, sagt Gritsfeldt. Deswegen habe es ihn nach Berlin | |
| gezogen: „Eine Stadt mit einem ganz eigenen Rhythmus, der jeden mitreißt.“ | |
| ## Zwei Städte | |
| Den Kontrast zwischen der Ukraine und Deutschland beschreibt er als | |
| kolossal. In Berlin herrsche ein strenges bürokratisches System, das mit | |
| einer Stimmung von ungezügeltem und endlosem Spaß einhergehe. In Kiew, sagt | |
| Gritsfeldt, gab es den Spaß ohne die Probleme. | |
| Doch im Moment lassen sich die beiden Städte schwer miteinander | |
| vergleichen. Die Ukraine werde nie wieder so sein wie vor dem Krieg. Es | |
| brauche Zeit, bis sich etwas Neues herauskristallisieren könne, sagt | |
| Gritsfeldt. Wenn er an eine zukünftige Ukraine denkt, in der Frieden | |
| herrscht, erscheint ihm das wie ein Traum. Er visualisiere dann etwas | |
| Leuchtendes und Starkes. In seiner Kollektion will er die „Wahrheit der | |
| Ukraine“ darstellen: das Schöne, Friedliche und Harmonische. | |
| Was wünscht er sich von der Modeindustrie? Man könne zwar keinen Schritt | |
| nach vorn gehen, ohne sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, meint | |
| er. Die Mode aber ist für ihn „Transformation der Jugend“. Damit will er | |
| sagen: die Jugend ist die Brücke in die Zukunft. Die Berliner Fashion Week | |
| schaffe es nicht immer, von internationalen Medien und den großen | |
| Modezeitschriften wahrgenommen zu werden. | |
| Gritsfeldt will das ändern: „Vielleicht klingt es gewagt, aber es ist | |
| unsere Chance als frisches Blut auf dem deutschen Markt, mehr | |
| Aufmerksamkeit für die hiesige Modeszene zu schaffen.“ Jungen, | |
| aufstrebenden Designern rät Jean Gritsfeldt, standhaft zu bleiben und ihre | |
| Ideale nicht zu verraten. Sie sollten daran denken, dass eine Karriere | |
| alleine innere Leere nicht vertreiben kann. | |
| 19 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Die-Fashion-Week-und-der-Krieg/!5839938 | |
| ## AUTOREN | |
| Sophie Munzinger | |
| Johanna Strathaus-Hoischen | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Mode | |
| Fashion Week | |
| Ukraine | |
| Porträt | |
| Mode | |
| Diversität | |
| Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
| Kosmetik | |
| elektronische Musik | |
| Ausstellung | |
| Literatur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berlin Fashion Positions: Taschen für das Zurückgelassene | |
| Die ukrainische Designerin Irina Dzhus verarbeitet in ihrer Mode Kriegs- | |
| und Fluchterfahrungen. „Thesaurus“ ist ihre neueste Kollektion. | |
| ARD-Doku „William Fan – In Between“: Vom Garn bis zum Laufsteg | |
| Eine Doku gibt Einblicke in das Leben des Berliner Modedesigners William | |
| Fan. Seine Arbeit kommt dabei leider etwas zu kurz. | |
| „Vogue“ in der Ukraine: Glamour im Terror | |
| „Der Weg der Unverwüstlichen“ lautet der Titel der wieder erscheinenden | |
| „Vogue“ Ukraine. Abgebildet wird nicht zuletzt der Freiheitskampf des | |
| Landes. | |
| Tests von Lippenstiften: „Es muss schon Knallrot sein“ | |
| Ökotest hat herausgefunden, dass viele Lippenstifte bedenkliche | |
| Inhaltsstoffe enthalten. Die Autorin spricht mit einer | |
| Lippenstift-Liebhaberin – ihrer Mutter. | |
| Musik für die Ukraine: Die Stille der Steppe hören | |
| Die ukrainische Technoproduzentin Kateryna Zavoloka lebt in Berlin. Mit | |
| einem Label setzt sie sich für Empathie mit ihrer geschundenen Heimat ein. | |
| Hamburger Ausstellung zum Ukraine-Krieg: „Die Kunst erzählt die Wahrheit“ | |
| In der Ausstellung „Sense of War“ im Frappant setzen sich die Kuratorin | |
| Olga Barashykova und ihr Team künstlerisch mit dem Ukraine-Krieg | |
| auseinander. | |
| Ukrainische Autorin über Russland: „Sprache ist verräterisch“ | |
| Die ukrainische Autorin Oksana Sabuschko spricht über ihre „längste | |
| Buchtour“ und Putins Ressourcenimperium. Die Opposition in Russland werde | |
| übersehen. |