# taz.de -- Politologin über Whistleblower: „Große Angst vor Denunziantentu… | |
> Nicht alle Whistleblower werden zum Staatsfeind Nummer eins wie Julian | |
> Assange, sagt Annegret Falter. Dennoch müssen sie negative Konsequenzen | |
> fürchten. | |
Bild: Public enemy number one: Julian Assange | |
taz: Frau Falter, diese Woche beschließt die EU einen besseren Schutz für | |
Whistleblower, auch die Bundesregierung hatte kürzlich Verbesserungen | |
verabschiedet. Warum haben auf einmal alle ihr Herz für Menschen entdeckt, | |
die auf Probleme hinweisen? | |
Annegret Falter: Whistleblower haben zur Aufdeckung von wirklich großen | |
Missständen beigetragen. Katastrophale Zustände in der Pflege zum Beispiel, | |
Steuerbetrug oder der Handel mit gepanschten Krebsmedikamenten. Und | |
gleichzeitig bemerkt die Gesellschaft, was wir ohne Whistleblower zu lange | |
nicht erfahren haben: Zum Beispiel, dass die Luft immer stärker mit | |
Stickoxiden belastet ist, was für Kinder, Alte und Kranke lebensgefährlich | |
sein kann. | |
Ein Whistleblower bei VW hätte also das Schlimmste verhindern können? | |
Wahrscheinlich. Wir wissen natürlich nicht, ob es nicht einen internen | |
Hinweisgeber gegeben hat. Aber das Problem bei internen Meldungen ist | |
bislang: Das Unternehmen kann sich entscheiden, ob es den Missstand | |
beseitigt oder den Whistleblower. | |
Und das soll sich künftig ändern? | |
Ja, und das war der größte Streitpunkt in den Verhandlungen bei der EU. | |
Bislang ist es in Deutschland so: Whistleblower müssen sich erst einmal | |
intern melden. Das führt nicht nur dazu, dass eine Behörde oder Firma einen | |
internen Kritiker einfach mal kündigen kann, wenn er zu unbequem wird. | |
Sondern auch dazu, dass sie Beiweise vernichten kann. Oder Zeugen | |
beeinflussen. Künftig sollen sich Whistleblower auch direkt an die | |
Staatsanwaltschaft wenden dürfen. Das ist schon mal extrem viel wert. Nur | |
der dritte Weg, an die Öffentlichkeit zu gehen, der ist weiterhin | |
eingeschränkt. Das ist nur erlaubt, wenn die Behörden nicht angemessen | |
reagieren oder ein vordringliches öffentliches Interesse an dem Problem | |
besteht. | |
Wie soll ein Hinweisgeber das einschätzen können? | |
Das wird schwierig. Sehr schwierig. Denn seit es Whistleblowing gibt, gibt | |
es auch die Gegenbewegung: Hinweisgeber sollen daran gehindert werden, | |
Dinge öffentlich zu machen. Daher gehen solche Menschen weiterhin ein | |
großes Risiko ein. Ihnen drohen Kündigungen, Schadenersatzklagen oder auch | |
Strafen und das schafft leider auch die Richtlinie nicht ganz ab. | |
Diese Gegenbewegung ist in Deutschland besonders stark. Die Politik | |
hierzulande hat in den vergangenen Jahren alles daran gesetzt, Regeln zum | |
Schutz von Whistleblowern nicht umzusetzen. Woher kommt dieser Widerstand? | |
Das liegt vor allem an der starken Lobbyarbeit der Wirtschaft. Die | |
Unternehmen haben ein großes Interesse daran, als Erstes auf entsprechende | |
Meldungen zuzugreifen. Für dieses Ziel ist es immens nützlich, | |
Whistleblowern generell eine Schädigungsabsicht zu unterstellen und genau | |
das macht diese Lobby. Aber empirisch gibt es überhaupt keine Belege dafür, | |
das Whistleblower Unternehmen schaden. In den USA ist es ja sogar | |
umgekehrt: Da gibt es ein Belohnungssystem für Menschen, die Missstände | |
melden – was aber auch zu Problemen führt. Klar, der finanzielle Anreiz | |
kann bewirken, dass Menschen einfach deshalb etwas melden, weil sie auf | |
Geld hoffen. Falschmeldungen lassen sich natürlich letztlich als solche | |
erkennen und sind strafbar, schaden aber natürlich erst einmal. | |
Aber den Wikileaks-Gründer Julian Assange haben die USA wegen Verschwörung | |
angeklagt, er wurde vor wenigen Tagen [1][in seinem Londoner Exil | |
festgenommen]. Warum ist in den USA die Diskrepanz bei der Behandlung von | |
politischen und wirtschaftlichen Whistleblowern so groß? | |
In der Politik gibt es schon immer ein generelles Geheimhaltungsinteresse – | |
in den USA wie auch in anderen Ländern werden in solchen Fällen häufig | |
Gründe der inneren oder äußeren Sicherheit vorgeschoben. Im Fall Manning, | |
Snowden und Assange geht es darum, potenzielle Nachahmer abzuschrecken. Was | |
hingegen Whistleblower in der Wirtschaft angeht, ist das anders: Da haben | |
die USA schon früh den Nutzen für das Gemeinwohl erkannt. | |
Wäre ein Belohnungssystem denn auch für Deutschland etwas? | |
Das wird es in Deutschland nicht geben, dafür ist die Angst vor | |
Denunziantentum hier viel zu groß. Das liegt in der spezifischen deutsche | |
Geschichte: Es gab die Gestapo und die Stasi, die beide von Denunzianten | |
profitierten. So erklärt sich ein Stück weit die große Furcht davor. | |
Wie grenzen Sie Whistleblower von Denunzianten ab? | |
Der Denunziant handelt im eigenen, der Whistleblower im öffentlichen | |
Interesse. Der Denunziant erhofft sich Vorteile, der Whistleblower geht ein | |
Risiko ein. Der Denunziant biedert sich an, der Whistleblower legt sich an. | |
Hinweisgeber und ihre Unterstützer sollen künftig Zugang zu rechtlicher, | |
finanzieller und psychologischer Unterstützung bekommen. Wie müsste so | |
etwas geregelt werden? | |
Ganz wichtig ist: Es darf nicht einfach eine zentrale staatliche Stelle | |
werden. Denn die kann unmöglich Ahnung von allen Bereichen – von | |
Chemikalien im Grundwasser über gepanschte Medikamente bis zu Risiken der | |
Atomtechnologie haben. | |
Was wäre besser? | |
Wenn die zuständigen Aufsichtsbehörden zuständig sind, das könnte | |
funktionieren. Also zum Beispiel die Landesdatenschutzbehörden oder die | |
Lebensmittelaufsicht. | |
Ein großes Problem von Whistleblowern, die an die Öffentlichkeit gegangen | |
sind, ist: Sie bekommen mindestens in der Branche keinen Job mehr. Wie | |
ließe sich das abfangen? | |
Man könnte zum Beispiel mit einem Fonds arbeiten. Wenn der Hinweis eines | |
Whistleblowers dazu führt, dass ein Unternehmen eine Strafe oder ein | |
Bußgeld zahlen muss oder der Staat Geld sparen kann, dann fließt ein fester | |
Prozentsatz in diesen Fonds. Und der könnte abhängig von der Bedürftigkeit | |
Gelder verteilen. Damit würde man vermeiden, dass Menschen, wie etwa die | |
Altenpflegerin Brigitte Heinisch, erst mal auf eigene Kosten vor den | |
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen müssen. | |
Könnte die Bundesregierung das bei der Umsetzung der Richtlinie noch mit | |
aufnehmen? | |
Das ginge. Denn die Richtlinie setzt nur Mindeststandards. Einen besseren | |
Schutz von Whistleblowern darf jeder EU-Mitgliedsstaat vorschreiben. | |
Momentan geht die Debatte aber in eine andere Richtung: Es sieht eher | |
danach aus, als würde die Bundesregierung den Schutz so gering wie irgend | |
möglich ausgestalten. | |
Das wäre in ein paar Punkten fatal. Zum Beispiel beschränkt sich die | |
Richtlinie auf EU-Recht. Whistleblower sind also nur dann geschützt, wenn | |
sie Verstöße gegen EU-Recht melden. | |
Was immerhin von Lebensmitteln über Privatsphäre bis Luftverschmutzung | |
einiges ist. | |
Ja, aber längst nicht alles. Das müssen die Mitgliedsstaaten unbedingt | |
erweitern, damit auch geschützt ist, wer Verstöße gegen nationales Recht | |
meldet. Ich befürchte, dass die Bundesregierung weiterhin verhindern will, | |
dass sich Whistleblower gleich an eine externe Stelle, wie etwa die | |
Staatsanwaltschaft wenden. | |
Immerhin: Der Bundestag hat Ende März das Gesetz zum Schutz von | |
Geschäftsgeheimnissen verabschiedet und damit den Schutz von | |
Whistleblowern schon mal etwas verbessert. Besteht also Hoffnung? | |
Ein bisschen. Aber auch nur, weil eine ganz tolle Koalition der | |
Zivilgesellschaft, von Gewerkschaften und NGOs und von einem Teil der | |
EU-Parlamentarier, sich für einen besseren Schutz starkgemacht hat. Das war | |
geradezu eine Sternstunde partizipativer europäischer Öffentlichkeit. Wir | |
müssen es schaffen, diesen Druck aufrechtzuerhalten. Damit es mehr | |
Menschen gibt, die sich trauen, Missstände zu sehen und aufzudecken. | |
15 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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