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# taz.de -- Whistleblowing in Unternehmen: Bitte schweigen Sie jetzt
> Wollen Whistleblower Missstände intern melden, haben sie dazu kaum
> Gelegenheit. Dies stellt eine Untersuchung in vier europäischen Ländern
> fest.
Bild: Konspiratives Treffen (Symbolfoto)
Berlin taz | Einfache und anonyme Kanäle, auf denen Whistleblower:innen auf
Missstände in Unternehmen hinweisen können? Das ist einer am Mittwoch
veröffentlichten Studie zufolge noch die Ausnahme. Laut dem
„Whistleblowing Report 2019“ verfügt in Deutschland nur gut die Hälfte der
Unternehmen über spezielle Meldewege für Missstände – etwa eine dafür
vorgesehene Hotline, eine Post- oder E-Mail-Adresse oder ein Web-Formular.
Und nur in knapp zwei Drittel dieser Fälle können Hinweisgeber:innen
anonym ihr Wissen kommunizieren.
Für den Report untersuchten Wissenschaftler:innen die Situation in vier
europäischen Ländern: Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der
Schweiz. Aus jedem Land waren dabei Befragte von im Schnitt 350 Unternehmen
ab 20 Mitarbeitenden dabei. Das entspricht 12 Prozent der angefragten
Unternehmen aus einer repräsentativen Stichprobe, eine bei
Unternehmensumfragen durchaus übliche Rücklaufquote. Laut Projektleiter
Christian Hauser, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft,
HTW Chur, sind die Aussagen dennoch verallgemeinerbar. Neben der Schweizer
Hochschule war das Münchner Unternehmen EQS Group an der Untersuchung
beteiligt, das selbst Meldesysteme für Firmen vertreibt.
Grundsätzlich kommt die Untersuchung zu dem Schluss: Im vergangenen Jahr
stellten knapp 40 Prozent der Unternehmen Missstände fest, beispielsweise
Steuerbetrug oder Geldwäsche. Deutschland schnitt dabei mit 43 Prozent am
schlechtesten ab. Verfehlungen traten häufiger in Großunternehmen – ab 250
Mitarbeitenden – als in kleineren und mittelständischen Firmen auf. Und:
Die Unternehmen, die im vergangenen Jahr einen finanziellen Schaden
aufgrund von Missständen erlitten haben, gaben an, dass sie zumindest einen
Teil davon deshalb aufdecken konnten, weil entsprechende Hinweise
eingegangen waren. Dabei galt: Je mehr Menschen die Meldemöglichkeiten
nutzen dürfen – also beispielsweise nicht nur Mitarbeitende, sondern auch
Geschäftskunden oder Lieferanten – desto höher des Anteil des aufgedeckten
Schadens.
## Image statt Aufklärung
Im Schnitt ging laut der Studie über ein Meldesystem jede Woche ein Hinweis
ein. Die Hälfte davon war demzufolge relevant. Hinweise darauf, dass es bei
anonymen Kanälen häufiger zu missbräuchlichen Meldungen kommt, fand die
Untersuchung nicht.
Für deutsche Unternehmen scheint es dabei jedoch eher um das Image als um
tatsächliche Aufklärung zu gehen: Gefragt, warum ein Meldekanal für
Hinweisgeber:innen eingeführt wurde, landete auf Platz eins der Antworten:
Man wolle damit das „Image als ethisches und integeres Unternehmen“
stärken. Dass es einen echten Nutzen gebe oder sich Schäden vermeiden
ließen, landete erst auf den Plätzen zwei und drei. Hauptargument dagegen:
Es gebe ja keine Pflicht zur Einführung. Anders sieht das etwa in
Frankreich aus: Hier gaben die Unternehmen vor allem an, mit dem Einführen
von Meldemöglichkeiten finanzielle Schäden vermeiden zu wollen.
Dennoch: „Wenn die Unternehmenskultur das nicht trägt, dann helfen auch
technische Hilfsmittel nichts“, sagt Projektleiter Hauser. Eine
Unternehmensleitung müsse kommunizieren und selbst auch leben, welche
Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht. Und zwar nicht ein
einziges Mal, genauso wenig wie es ausreiche, beim Einrichten einer
Whistleblower-Mailbox einmal darauf hinzuweisen, dass man so etwas nun
bereitstelle. Sondern permanent.
Dazu zählten subtile Botschaften: Wer den Mitarbeitenden unrealistische
Ziele stecke und andeute, dass es vor allem darauf ankomme, ob und nicht
wie diese erreicht würden, könne Verfehlungen begünstigen. „Meldestellen
sind ein wichtiger Mosaikstein wenn es um Compliance geht, aber eben nur
ein Mosaikstein.“ Compliance bedeutet Regeltreue.
## Als Denunziant:innen vorbelastet
Als Konsequenz fordern die Autor:innen in der Studie vor allem eigene
Schutzgesetze für Whistleblower:innen. Zwar hat die Bundesregierung deren
Situation kürzlich [1][im Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen etwas
verbessert], doch ein eigenes Gesetz zum Schutz von Hinweisgeber:innen
fehlt bislang. Das wird sich in den kommenden zwei Jahren ändern müssen: So
lange haben die EU-Mitgliedstaaten Zeit, eine entsprechende Richtlinie
umzusetzen, die das EU-Parlament im April verabschiedet hatte. Darüber
hinaus fordern die Autor:innen einen kulturellen Wandel: Wer mit Hinweisen
zum Aufdecken von Missständen beitragen will, dürfe nicht, wie das derzeit
häufig der Fall ist, [2][als Denunziant:in gewertet werden.]
Was helfen könnte, das zu ändern: „Fälle von Whistleblowing müssen bekannt
werden, so dass man den Nutzen für das Gemeinwohl sehen kann“, sagt
Annegret Falter, Vorsitzendes des Whistleblower-Netzwerks und nicht an der
Studie beteiligt. Darüber hinaus müsse sich der Umgang der Gerichte mit dem
Thema ändern: Derzeit gingen Richter:innen häufig und zu Unrecht davon aus,
dass Hinweisgeber:innen Unternehmen schaden wollten.
15 May 2019
## LINKS
[1] /Gesetze-zum-Schutz-von-Whistleblowern/!5581453
[2] /Politologin-ueber-Whistleblower/!5585059
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Steuerbetrug
Unternehmen
Whistleblower
Menschenrechte
Whistleblower
Whistleblower
Luxemburg Leaks
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