# taz.de -- Nach der Festnahme Julian Assanges: Warum sitzt Ola Bini in Haft? | |
> Die Festnahme des schwedischen Software-Entwicklers in Ecuador ist | |
> skurril. Internationale IT-Vereinigungen fordern die Freilassung Ola | |
> Binis. | |
Bild: Ola Binis Vater Dag Gustafsson bei einer Pressekonferenz in Quito am verg… | |
QUITO taz | Wenige Stunden nach der [1][Festnahme von Wikileaks-Gründer | |
Julian Assange in London] verkündet die ecuadorianische Innenministerin | |
María Paula Romo, im Land lebten zwei russische Hacker sowie eine Person | |
mit engen Verbindungen zu Wikileaks. Bald würden weitere Informationen an | |
die Staatsanwaltschaft übergeben werden. | |
Der 37-jährige schwedische Softwareentwickler Ola Bini, der seit einigen | |
Jahren in Ecuador lebt, verlinkt am selben Tag auf seinem | |
[2][Twitter-Account] den [3][entsprechenden Artikel] der ecuadorianischen | |
Tageszeitung El Universo. Im folgenden Eintrag schreibt er: „Sehr Besorgnis | |
erregende Nachrichten – für mich sieht das wie eine Hexenjagd aus.“ | |
Am Nachmittag wird Bini am Flughafen in der Nähe von Quito festgenommen. Er | |
war auf dem Weg nach Japan, um, wie ebenfalls auf Twitter angekündigt, für | |
zwei Wochen an einem Seminar der Kampfkunst ‚Bujinkan‘ teilzunehmen. | |
Gesucht hat die Polizei nach einem russischen Staatsbürger mit dem Namen | |
‚Marco‘. Im Polizeiautor auf einem Parkplatz des Flughafens für zunächst | |
acht Stunden festgehalten wird jedoch der Schwede Ola Bini. Danach, es ist | |
schon Nacht, fahren die Polizisten ihn zu seiner Wohnung in Stadtviertel | |
Iñaquito, im Norden der Hauptstadt. | |
## Rechtswidrige Festnahme | |
Dort durchsuchen sie, noch ohne richterlichen Beschluss, die Wohnung und | |
beschlagnahmen zahlreiche USB-Sticks, Bücher und Computer. In der Nacht des | |
12. April, einunddreißig Stunden nach der Festnahme, wird Bini dem | |
Haftrichter vorgeführt. Erst dort hat er die Möglichkeit, mit Anwälten zu | |
sprechen. | |
Die ecuadorianische Verfassung schreibt vor, dass „in flagranti“ | |
Festgenommene unverzüglich, spätestens jedoch binnen vierundzwanzig Stunden | |
dem Richter vorzuführen sind. Das Warten im Auto und die Fahrt zur Wohnung | |
Binis waren demnach verfassungswidrig. | |
In der zwischen zehn Uhr nachts und den frühen Morgenstunden stattfindenden | |
Verhandlung erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Delikts | |
„Angriff auf die Integrität von Informationssystemen“. Dafür drohen laut | |
ecuadorianischem Strafgesetzbuch drei bis fünf Jahre Haft. | |
Als Begründung führt Staatsanwalt Fabián Chávez eine anonyme, telefonische | |
Anzeige und die Erklärung des Innenministeriums an. Ein unbekannter Anrufer | |
habe behauptet, ein Alias „Marco“, der von der Ministerin genannte | |
russische Hacker, befinde sich auf dem Weg zum Flughafen. | |
## Kein konkreter Vorwurf, keine Beweis | |
Im Übrigen wiederholt der Staatsanwalt die Presseerklärung des | |
Innenministeriums: man könne nicht zulassen, dass sich Ecuador in ein | |
Zentrum der Cyberkriminalität verwandle. Beweismittel gegen Bini: Fotos der | |
sichergestellten Computer, Bücher zu Programmiersprachen, USB-Sticks, | |
zahlreiche Kabel und die Behauptung, Bini unterhalte Kontakte zu Julian | |
Assange. Eine konkrete Tathandlung benennt die Anklagebehörde nicht und so | |
ist bis heute unklar, was Bini eigentlich vorgeworfen wird. | |
Ohne auf die umfassenden Einwände des Verteidigers Carlos Soria einzugehen, | |
erklärt Richter Rodolfo Navarrete Vélez in den frühen Morgenstunden im | |
Verfahren die Festnahme für legal und gibt ohne Begründung dem Antrag auf | |
Untersuchungshaft statt. | |
Die Verteidigung hat inzwischen Berufung gegen die Anordnung der | |
Untersuchungshaft eingelegt, aber geringe Hoffnung, dass das Rechtsmittel | |
zum Erfolg führt. | |
Unterdessen befindet sich Ola Bini im Gefängnis „El Inca“ im Norden Quitos. | |
Wie alle Haftanstalten in Ecuador ist auch „El Inca“ überfüllt und vom | |
Sicherheitspersonal kaum kontrollierbar, wenn die Wärter nicht selbst eine | |
Gefahr für die Inhaftierten darstellen. Der Experte für Programmiersprachen | |
(JRuby, Ioke, Seph) und Verschlüsselung schläft auf einem Karton und teilt | |
sich die kleine Zelle mit fünf weiteren Männern. Wasser gibt es wenige | |
Stunden täglich. | |
## Richter riskieren ihre Stelle | |
Wohl nicht allein wegen der Unregelmäßigkeiten des Verfahrens spricht der | |
ehemalige ecuadorianische Außenminister Guillaume Long von Ola Bini als | |
einem politischen Gefangenen, während der ecuadorianische Präsident Lenín | |
Moreno behauptet, Bini sei von Assange instruiert worden, in Ecuador | |
Regierungskonten und Smartphones zu hacken. | |
Diese nicht belegte Aussage ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Einmal | |
scheint der Präsident davon auszugehen, Hackerangriffe setzten die | |
Anwesenheit im Land der angegriffenen Computer voraus. Zweitens offenbart | |
er ein mögliches Motiv für den Verfolgungseifer. In den sozialen Netzen | |
zirkuliert ein un[4][vorteilhaftes Foto] des Staatschefs des armen Landes: | |
dieser liegt in einem Luxushotel in einem Bett und schaut verwegen in die | |
Handykamera, während neben ihm ein üppig mit Hummerschwänzen gedeckter | |
Tisch steht. Moreno wirft Wikileaks vor, dieses Bild aus dem Urlaub des | |
Präsidenten geleakt zu haben. Wikileaks hat das zurückgewiesen. | |
Beobachter gehen davon aus, dass in der wohl nächste Woche stattfindenden | |
Berufungsverhandlung die Untersuchungshaft aufrecht erhalten wird. Alles | |
andere wäre eine Überraschung, denn: Jeder Richter, der anders entscheiden | |
würde, verlöre seine Stelle. | |
Technisch-juristisches Mittel der Richterabsetzung ist eine Norm im | |
ecuadorianischen Richtergesetz, die die Justizverwaltung ermächtigt, | |
Richter bei Begehung eines „unentschuldbaren Fehlers“ abzusetzen. Unter der | |
Regierung Correa wurde diese Figur missbraucht, um den Justizapparat zu | |
kontrollieren. | |
## In der Mühle der Justiz | |
Die Regierung Moreno benutzt das Instrument weiterhin: etwa im Falle einer | |
Richterin, die gegen einen Funktionär der Regierung Correa nicht | |
Untersuchungshaft, sondern nur die Überwachung durch elektronische | |
Fussfessel und Meldeauflagen anordnete. Auch dieser wurde, obschon ihre | |
Entscheidung im Einklang mit der Rechtslage erging, ein „unentschuldbarer | |
Fehler“ zum Vorwurf gemacht – sie musste gehen. | |
Auch deshalb ist eine Verurteilung Binis aufgrund welcher Vorwürfe auch | |
immer nicht unwahrscheinlich. Schon beim ersten Gerichtstermin hat der | |
Hinweis des Staatsanwalts auf den Widerruf des Asyls von Assange und die | |
Presseerklärung des Innenministeriums genügt, um für 90 Tage | |
Untersuchungshaft auszusprechen. | |
Da ist es nicht ausgeschlossen, dass Ola Bini auch verurteilt wird, mit dem | |
einzigen Beweis, dass er Julian Assange mehrmals in der Botschaft besucht | |
hat und zahlreiche Computer in seiner Wohnung gefunden wurden. | |
Zahlreiche internationale IT-Vereinigungen, daruner der Chaos Computer | |
Club, das Tor-Projekt und viele andere, fordern in einem | |
[5][Solidaritätsschreiben] die Freilassung Ola Binis. „Wir halten diese | |
fordauernde präventive Verhaftung für willkürlich an und sehen darin einen | |
direkten Angriff auf uns alle,“ heißt es darin. | |
Die Freiheit wird Ola Bini wohl vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte erstreiten müssen. Ein achtköpfiges Anwaltsteam bereitet die | |
Klage vor. | |
20 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Auslieferungsantrag-der-USA-liegt-vor/!5587295 | |
[2] https://twitter.com/olabini | |
[3] https://www.eluniverso.com/noticias/2019/04/11/nota/7279946/jackers-rusos-m… | |
[4] https://www.newshub.co.nz/home/world/2019/04/lobster-buffet-photo-leak-behi… | |
[5] https://freeolabini.org/en/statement/ | |
## AUTOREN | |
Cayetano Rivadaneira | |
## TAGS | |
Ola Bini | |
Julian Assange | |
Wikileaks | |
Ecuador | |
Lenín Moreno | |
Hacker | |
Whistleblower | |
Julian Assange | |
Julian Assange | |
Julian Assange | |
Julian Assange | |
Whistleblower | |
Julian Assange | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess gegen Julian Assange: Schweden stellt Ermittlungen ein | |
Die schwedische Justiz lässt die Vorwürfe der Vergewaltigung gegen | |
Wikileaks-Gründer Julian Assange fallen. Der Fall liege zu weit zurück. | |
Prozess um Wikileaks–Gründer: Knapp ein Jahr Haft für Assange | |
50 Wochen Gefängnis lautet das Urteil einer Richterin gegen Assange – | |
offiziell wegen Verstoßes gegen seine Kautionsauflagen. | |
Linken-Abgeordnete über Julian Assange: „Deutschland könnte Asyl anbieten“ | |
Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete der Linken, unterstützt den | |
Wikileaks-Gründer Julian Assange bei seinem Kampf gegen eine Auslieferung | |
in die USA. | |
Julian Assange und Ecuadors Machtkampf: Millionen Hacks, Millionen Kredite | |
Weil sie Julian Assange das Asyl entzog, steht Ecuadors Regierung unter | |
Kritik. Und erhält frisches Geld von der Weltbank. | |
Politologin über Whistleblower: „Große Angst vor Denunziantentum“ | |
Nicht alle Whistleblower werden zum Staatsfeind Nummer eins wie Julian | |
Assange, sagt Annegret Falter. Dennoch müssen sie negative Konsequenzen | |
fürchten. | |
Whistleblower Ellsberg zu Julian Assange: „Für journalistische Arbeit angekl… | |
Whistleblower Daniel Ellsberg glaubt, dass der Fall Assange in Verbindung | |
steht mit den Eskalationen des US-Präsidenten gegen die Presse. |