# taz.de -- Nach der Festnahme Julian Assanges: Von einer Zelle in die andere | |
> Wie es es zu Assanges Festnahme kam, wie es weitergeht und was eine Katze | |
> damit zu tun hat. | |
Bild: Nach sieben Jahren Asyl in der ecuadorianischen Botschaft wurde Assange n… | |
## Warum jetzt? | |
Für die ecuadorianischen Behörden war der Wikileaks-Gründer wohl nicht mehr | |
tragbar. Präsident Lenin Moreno jedenfalls scheint erleichtert, Assange | |
endlich los zu sein. „Die Geduld Ecuadors mit Herrn Assange hat ihre Grenze | |
erreicht“, sagte er und entzog Assange sein Asyl. Dieser sei „unhöflich und | |
aggressiv“ gewesen. Außerdem habe er unerlaubte technische Ausrüstung | |
installiert, Überwachungskameras blockiert, Wachleute angegriffen, sich | |
unerlaubt Zugang zu Sicherheitsdaten der Botschaft verschafft und sich in | |
innere Angelegenheiten anderer Staaten eingemischt. Er bezeichnete Assange | |
außerdem als einen „miserablen Hacker“ und wiederholte Vorwürfe, dass | |
Assange Wände mit seinen Fäkalien beschmiert habe. | |
## Warum saß Assange in der Botschaft in London? | |
Assange gründete 2006 die Enthüllungsplattform Wikileaks. 2010 wurden dort | |
über 200.000 sensible Daten publik gemacht, die die Öffentlichkeit unter | |
anderem über amerikanische Tätigkeiten im Irak und in Afghanistan | |
informierten. Einer Verfolgung durch die USA entging Assange in Europa. Ab | |
2010 warf die schwedische Justiz ihm Belästigung und Vergewaltigung zweier | |
Frauen vor, weshalb er sich abermals absetzte; im Juni 2012 fand er | |
Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London. Dort beantragte er | |
Asyl. | |
## Was wird Assange überhaupt vorgeworfen? | |
Mit seiner Flucht in die Botschaft habe er gegen seine Kautionsauflage | |
verstoßen, [1][so die britische Justiz]. Deshalb drohen ihm jetzt 12 Monate | |
Haft. Die US-Justiz wirft Assange zudem eine Verschwörung mit der früheren | |
Mitarbeiterin Chelsea Manning vor. Assange wird beschuldigt, Manning dabei | |
geholfen zu haben, das Passwort eines Computernetzwerks der Regierung zu | |
knacken. Dem 47 Jahre alten Australier drohen bei einem Prozess in den USA | |
nach Angaben des Justizministeriums bis zu fünf Jahre Haft. | |
Assange wird außerdem vorgeworfen, im russischen Interesse in den | |
US-Wahlkampf eingegriffen zu haben. Wikileaks hatte Tausende Mails von | |
Servern der demokratischen Partei veröffentlicht, die vermutlich von | |
russischen Hackern entwendet wurden. | |
## Wie tickt Assange sonst so? | |
Er gilt als eigensinnig mit einem Hang zu Selbstdarstellung und Arroganz. | |
Seit seiner Odyssee durch den internationalen Raum wird der Sohn einer | |
Zirkusfamilie aber auch als popkulturelles Phänomen und Promi gefeiert. | |
Die Schauspielerin Pamela Anderson besuchte Assange mehrfach in seinem | |
Unterschlupf in London, die Simpsons ließen ihn in Springfield auftreten. | |
Für das amerikanische Time Magazine war Assange einer der Kandidaten für | |
den Titel „Person of the Year 2010“, musste sich aber letztlich dem | |
anderen großen Datenexperten, Mark Zuckerberg, geschlagen geben. | |
## Was bedeutet die Festnahme für Assanges Kolleg*innen? | |
„Der Tag der Festnahme war ein erschreckender Tag für alle, denen etwas an | |
der Informationsfreiheit liegt“, sagt Eugene Jarecki. Der amerikanische | |
Filmemacher hat zuletzt 2014 mit Assange gesprochen. Für ihn ist Assange | |
eine Symbolfigur der Meinungsfreiheit. „Er steht für eine globale Bewegung | |
von Menschen, die sich Sorgen über die Asymmetrie von Wissen machen“, sagt | |
Jarecki. | |
Die Festnahme habe gar nicht so viel mit Assange selbst zu tun, meint er – | |
vielmehr wollten die USA ein Zeichen setzen. „Was wir gesehen haben“, so | |
Jarecki, „ist ein Angriff auf den Asylanspruch.“ Dass mit diesem | |
demokratischen Grundrecht gespielt werde, sei sehr bedrohlich für | |
Whistleblower auf der ganzen Welt. Staaten wie China oder Russland könnten | |
sich das zum Vorbild nehmen. | |
## Was sagt „Reporter ohne Grenzen“ dazu? | |
„Das ist ein Präzedenzfall, den schauen sich autoritäre Regime ganz genau | |
an“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Da die | |
Organisation für die Rechte von Bürgerreporter*innen und unprofessionellen | |
Journalist*innen eintritt, hat man eine Pressemitteilung lanciert. | |
Darin fordert Reporter ohne Grenzen die britischen Behörden auf, Assange | |
nicht an die USA auszuliefern. Denn was dort mit dem Australier passieren | |
würde, sei ungewiss. „Bislang wird Assange die Verschwörung mit Chelsea | |
Manning [2][vorgeworfen]. Die Betonung liegt allerdings auf ‚bislang‘.“ | |
Unklar sei, ob durch weitere Anschuldigungen das mögliche Strafmaß noch | |
anwachsen könne. | |
Da man Assange als „Journalismusermöglicher“ sehe, gar als „Wegbereiter … | |
Datenjournalismus“, betreffe die Festnahme die Prinzipien der Meinungs- und | |
Pressefreiheit. Gleichwohl seien seine Aktivitäten „journalismusähnlich“, | |
wie es in der Mitteilung heißt: Wikileaks ordnet nicht ein, | |
kontextualisiert nicht, stellt lediglich Informationen ungefiltert zu | |
Verfügung. „Er mäandert zwischen Journalismus und Aktivismus“, sagt Mihr. | |
Symbolkraft für die investigative Zunft dürfte sein Schicksal [3][in jedem | |
Fall haben]. | |
## Wie geht’s weiter? | |
Von US-amerikanischer Seite besteht ein Auslieferungsersuchen. | |
Großbritannien hat mit den USA einen Auslieferungsvertrag, der Bedingungen | |
für die Überstellung einer per Haftbefehl gesuchten Person festlegt sowie | |
die Auslieferungshindernisse: Für den Fall Assange muss etwa verhandelt | |
werden, inwiefern der Upload geheimer Kriegsdokumente überhaupt eine | |
politische oder militärische Straftat darstellt. Denn diese dürfen keine | |
Auslieferung nach sich ziehen. Über diese Frage wurde bereits 2016 | |
debattiert: Es stand im Raum, Whistleblower Edward Snowden einzuladen, um | |
vor dem NSA-Untersuchungsausschuss auszusagen. | |
Gleichzeitig war unklar, ob sich Snowden auf deutschem Boden bewegen | |
durfte, ohne ein Auslieferungsverfahren der USA fürchten zu müssen. | |
Letztendlich sind Auslieferungen jedoch eine politische Frage: Auch wenn | |
die Bedingungen für eine Auslieferung ohne Hinderungsgründe erfüllt sind, | |
folgen Staaten dem Auslieferungsersuchen nicht zwangsläufig. In | |
Großbritannien schob 2012 ausgerechnet die damalige Innenministerin Theresa | |
May einer Auslieferung den Riegel vor: Die USA forderten die Überstellung | |
des Hackers Gary McKinnon. Dieser war zuvor in die Systeme der | |
US-Streitkräfte und der Nasa eingedrungen. | |
Laut Rechtsexperten könnte der Fall Assange über Jahre vor britischen | |
Gerichten verhandelt werden und letztlich vor den Europäischen Gerichtshof | |
gehen. | |
## Kann Deutschland Assange aufnehmen? | |
Nein. Zwar haben PolitikerInnen der Linken [4][das gefordert], aber Asyl | |
kann nur gewährt werden, wenn sich die gesuchte Person bereits auf dem | |
Herrschaftsgebiet des Asyl gewährenden Staates befindet. | |
## Und die Katze? | |
Das Haustier, auch bekannt unter „Embassy Cat“, trug täglich wechselnde | |
Krawatten, mal gepunktet, mal gestreift, mal in Regenbogenfarben, und hat | |
einen eigenen Twitter-Account. Angeblich hat sich Assange nicht genug um | |
das Tier gekümmert, Hygiene und Fütterung vernachlässigt. Entsprechend hat | |
die Katze schon seit Monaten nichts mehr über das Leben im | |
Botschaftsgebäude gepostet. Ihre Zukunft ist ähnlich ungewiss wie die von | |
Herrchen Julian. | |
12 Apr 2019 | |
## LINKS | |
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[4] /Nach-Festnahme-von-Wikileaks-Gruender/!5587431 | |
## AUTOREN | |
Finn Holitzka | |
Hannah Bernstein | |
Anima Müller | |
Zora Schiffer | |
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