# taz.de -- Politik für Atom- und Agrarlobby: Macrons miserable Ökobilanz | |
> Frankreichs Präsident Emmanuel Macron glaubt, die EU habe genug | |
> Umweltnormen erlassen. Dabei stockt nicht nur seine Energiewende. | |
Bild: Nachhaltiger Verkehr vor überkommener Energieerzeugung: Radler vor dem A… | |
PARIS taz | Hat die EU im Vergleich zu den USA, China und anderen | |
Wirtschaftsmächten schon genug getan für die Umwelt und das Klima und kann | |
sich nun auf den Lorbeeren ausruhen? Das scheint die Ansicht des | |
französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu sein. Er meint, in | |
Europa hätten wir schon „viel reglementiert, mehr als alle Nachbarn“. Und | |
um im Wettbewerb nicht Terrain zu verlieren, wünscht er eine „Pause beim | |
Reglementieren in Europa“. [1][Er steht damit nicht alleine da: Ähnliche | |
Warnungen vor (angeblich) zu viel „Bürokratie“ auf Kosten der | |
Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und der Landwirtschaft kommen aus | |
Belgien.] Unterstützung bekommt Macron zudem von der konservativen | |
EVP-Fraktion im EU-Parlament. | |
Der Klimawandel aber macht keine Pause. Und die umweltpolitische Bilanz des | |
Präsidenten, der 2017 mit der Devise „Make our planet great again“ | |
angetreten war, ist alles andere als glorios. Darum sorgte diese Bemerkung | |
des französischen Staatschefs in Frankreich für Proteste. Die linke | |
Opposition im Parlament kritisiert diese Äußerung als „absolut | |
verantwortungslos“, so die Abgeordnete der Grünen, Sandrine Rousseau. Und | |
die Umweltorganisation „Les Amis de la Terre“ spricht von einem | |
„Eingeständnis des Misserfolgs“ in der ersten Amtszeit von Macron und | |
warnt: „Wenn von Umweltnormen die Rede ist, geht es um Richtlinien zum | |
Schutz der Gesundheit der Europäer vor den Folgen des Klimawandels.“ | |
Das französische Präsidentenamt möchte nach diesen Einwänden klarstellen, | |
dass Ma-cron nicht etwa von einem Aufschub bei der Umsetzung der bereits | |
beschlossenen europäischen Regeln gesprochen habe, sondern lediglich von | |
neuen. Doch seine Stoßrichtung ist klar: Frankreich möchte vermehrt | |
(ausländische) Investitionen für die Industrieproduktion anziehen, und der | |
Präsident hält allzu viele Auflagen, Normen und Verbote für nachteilig im | |
internationalen Wettbewerb. Lieber brüstet er sich – wie kürzlich bei einem | |
Treffen mit dem Tesla-Gründer Elon Musk – damit, dass Frankreich in Europa | |
in Sachen Attraktivität für internationale Investoren die „Nummer eins“ | |
sei. | |
Die „Pause“ hat längst begonnen. Wie Macrons Frankreich schon bisher aus | |
Wirtschaftsinteressen zu bremsen versucht, belegt der gewährte Aufschub | |
beim Verbot von Glyphosat und Neonicotinoiden. Als die EU den Einsatz von | |
Glyphosat bis Ende 2023 verlängerte, kam dies den Forderungen der | |
französischen Agrarlobby und der Regierung sehr entgegen. Auch wollte das | |
französische Landwirtschaftsministerium unter dem Druck der | |
Zuckerrübenproduzenten die Verwendung der „Bienenkiller“-Insektizide der | |
Gruppe der Neonicotinoide nach dem Verbot von 2020 mindestens zwei Jahre | |
weiter tolerieren. Diese Ausnahmeregelung wurde nun im Nachhinein vom | |
obersten Verwaltungsgericht des Landes für illegal erklärt. | |
Die Note ungenügend verdient Macron auch im Bereich der Energiewende. Zwar | |
ließ er, wie schon von seinem Vorgänger versprochen, das älteste AKW in | |
Fessenheim abstellen, [2][doch gleichzeitig leitet er ein massives | |
Investitionsprogramm ein]: Sechs Reaktoren mit der EPR-Technologie sind | |
bestellt, acht weitere als Option vorgesehen, und zudem soll Frankreich | |
„Minireaktoren“ entwickeln. Die „Ausstiegs“-Zielvorgabe, den Anteil der… | |
Atomenergie produzierten Elektrizität wenigstens schrittweise auf 50 | |
Prozent zu reduzieren, wurde aus Macrons Energiepolitik fast unbemerkt | |
gestrichen. | |
## Frankreich setzt auf fossile Energien | |
Dagegen gehört Frankreich nicht nur zu den Staaten, die weiterhin mehr in | |
fossile Energien investieren als in erneuerbare; zudem ist es der einzige | |
EU-Staat, der beim Ausbau der erneuerbaren Energien die Zielsetzungen nicht | |
erreicht hat. Da der derzeitige AKW-Park wegen Inspektionen und Defekten | |
teilweise außer Betrieb war, musste Frankreich auf ein altes mit Kohle | |
betriebenes Kraftwerk zurückgreifen und Strom importieren. | |
Diese Mängelliste nicht gehaltener Versprechen des Präsidenten, der für | |
sein Land eine Vorreiterrolle beanspruchen wollte, ließe sich verlängern. | |
Dessen ungeachtet hat seine Premierministerin Elisabeth Borne am letzten | |
Montag – ohne mit den Wimpern zu zucken – ein „beschleunigtes“ Programm… | |
Kampf gegen die Klimaerwärmung angekündigt. | |
Bis 2030 müsse Frankreich den Schadstoffausstoß im Vergleich zu 1990 um 55 | |
Prozent, das heißt doppelt so schnell wie bisher, vermindern. Für den | |
Verkehr, die Landwirtschaft, die Industrie oder den Bausektor sind die | |
Vorgaben mit schönen Diagrammen präzisiert. Und Borne kommentiert: „Wenn | |
wir diesen Aktionsplan verwirklichen, erreichen wir unsere Ziele für 2030.“ | |
Was die Zeitung Libération zu einer kritischen Anmerkung veranlasst: | |
„Einfach auf dem Papier, viel komplizierter in den bereits vom Klimawandel | |
betroffenen Bereichen.“ | |
1 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /EU-streitet-ueber-Umweltgesetze/!5934953 | |
[2] /Atomkraft-in-Frankreich/!5930241 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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