# taz.de -- Plagiate an deutschen Hochschulen: Jagd auf Fälscher | |
> Mit der Doktorarbeit von Ex-Minister zu Guttenberg ging 2011 ein Beben | |
> durch die Unis. Wie haben Plagiatsjäger die Wissenschaft verändert? | |
Bild: Hunderte demonstrierten im Februar 2011 auf dem Potsdamer Platz für den … | |
BERLIN taz | Debora Weber-Wulff war wütend auf ihre Studierenden. Kurz nach | |
ihrem Wechsel an die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft | |
bestanden die eingereichten Arbeiten zu einem Drittel aus Plagiaten, wie | |
sie der Plattform Netzpolitik.org berichtet. Das war im Jahr 2001. „Ich | |
habe meine Wut auf die Studierenden dadurch rausgelassen, dass ich anderen | |
Dozenten beibringen wollte, wie man mit Google Plagiate findet“, sagt die | |
Informatikprofessorin. Weber-Wulff machte sich an die Arbeit. „Bis heute | |
bin ich dabei, Leuten zu zeigen, wie einfach das ist!“ | |
Fast genau zehn Jahre ist es her, dass die gefälschte Doktorarbeit des | |
damaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg bekannt | |
wurde und zu einem Beben in der Politik und im Wissenschaftssystem führte. | |
Zugleich war es die Geburtsstunde der Plagiatsplattformen im Internet. Wie | |
hat sich die Suchtechnik der digitalen Betrugsfahnder seitdem entwickelt? | |
Und hat an den Hochschulen mittlerweile eine Kultur der Vorsorge und | |
Plagiatsprävention Einzug gehalten? Eine Spurensuche. | |
Rückblick: Am 16. Februar 2011 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung | |
erste Hinweise eines Bremer Rechtswissenschaftlers, wonach in der | |
juristischen Dissertation, für die der aufstrebende CSU-Politiker zu | |
Guttenberg von der Universität Bayreuth den Doktortitel erhalten hatte, | |
etliche Passagen aus anderen Texten ohne Quellenangabe übernommen worden | |
waren. | |
Tags darauf gründete sich die Online-Plattform GuttenPlag Wiki, die die | |
Textpassagen der öffentlich zugänglichen Dissertation per Internetsuche mit | |
anderen Texten verglich. Wenig später entstand die Plattform VroniPlag Wiki | |
mit dem Ziel, Plagiate in Hochschulschriften zu dokumentieren. Weber-Wulff | |
kam im April 2011 dazu. | |
## Plagiate auf 94 Prozent der Seiten | |
Das Ergebnis von [1][GuttenPlag Wiki]: auf 94 Prozent aller Seiten der | |
Guttenberg-Arbeit waren Plagiate enthalten. Am 21. Februar stellte sich | |
Bundeskanzlerin Merkel noch vor ihren Minister, der bis dahin jede Schuld | |
abstritt. Aber der öffentliche Druck wurde zu groß, vor allem nachdem die | |
Uni Bayreuth Guttenberg in einer schnellen Entscheidung den Doktorgrad | |
aberkannte. Am 1. März trat der Politiker von allen Ämtern zurück. Andere | |
deutsche Politiker sollten später folgen, darunter Deutschlands oberste | |
Wissenschaftsministerin, Annette Schavan. | |
Die Missetäter standen am Pranger. Aber auch das Wissenschaftssystem, deren | |
Hochschulen die inkriminierten Arbeiten zunächst gebilligt hatten, häufig | |
mit zugedrücktem Auge, zog Kritik auf sich. „Eine breite Welle | |
grundsätzlicher Kritik am deutschen Promotionsverfahren“ setzte ein, wie | |
die Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Studie zusammenfasste. | |
Und es wurden Forderungen erhoben, um gegen den befürchteten | |
„Qualitätsverfall“ vorzugehen, etwa durch eine bundesweite | |
Stichprobenkontrolle von Dissertationen durch Bundesbildungsministerium und | |
Deutsche Forschungsgemeinschaft. Debora Weber-Wulff schlug eine nationale | |
„Beratungsstelle Plagiat“ vor, die präventiv wirken und Verstöße ahnden | |
sollte. Noch im Jahr 2011 beschloss der Wissenschaftsrat ein | |
Positionspapier zu „Anforderungen an die Qualitätssicherung der Promotion“. | |
Konkret sprach er sich unter anderem dafür aus, „Doktorandinnen und | |
Doktoranden einen einheitlichen Status zu geben und zusätzlich zu den | |
Betreuerinnen und Betreuern durch ein fachnahes Promotionskomitee zu | |
begleiten“. Auch „die Unabhängigkeit von Begutachtung von Dissertationen“ | |
müsse verbessert werden, so das Beratungsgremium. | |
## „Einige Male befasst“ | |
Auch die Hochschulrektorenkonferenz als oberste Interessenvertretung der | |
deutschen Universitäten und Fachhochschulen war gefordert. „Wir haben uns | |
in den vergangenen Jahren einige Male mit der Qualitätssicherung von | |
Promotionen befasst“, berichtet Monika Gross, die dem Leitungsgremium der | |
Hochschulrektorenkonferenz als Präsidentin der Berliner Beuth-Hochschule | |
für einige Jahre angehörte, der taz. | |
Im Jahr 2016 habe man den Beschluss zur Qualitätssicherung der Promotionen | |
in der Medizin verabschiedet, 2017 Stellung zu Promotionen mit externen | |
Arbeitsverträgen bezogen, 2018 gemeinsame Grundsätze bei der Kooperation | |
von Hochschulen und Wirtschaft bei Promotionen entwickelt. „Natürlich | |
müssen die qualitätssichernden Maßnahmen von den Universitäten auch | |
umgesetzt werden!“ | |
Wie weit das flächendeckend in den letzten zehn Jahren geschehen ist, | |
darüber gehen die Ansichten auseinander. An Guttenbergs Heimathochschule, | |
der Uni Bayreuth, wurde ein eigenes Graduiertenzentrum eingerichtet, das | |
die Promovenden bei der Forschung und dem Verfassen ihrer Dissertation | |
begleitet, und eine „Plagiats-Findungs-Software“ eingeführt. Andere | |
Hochschulen unternahmen ähnliche Schritte. | |
„Halbherzig“ findet Debora Weber-Wulff die Antworten des | |
Wissenschaftssystems. „Es ist kaum etwas passiert.“ Deswegen haben die | |
Plagiatsfahnder von VroniPlag Wiki ihre Arbeit fortgesetzt. Die | |
Internetplattform ist nach der Tochter des früheren bayerischen | |
Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, Veronica Saß, benannt, einem der ersten | |
Prüfungsfälle der ehrenamtlich Tätigen. | |
## Eingangsbestätigung nach 30 Minuten | |
Nur wenige Mitglieder des Teams sind mit Namen bekannt. Neben Weber-Wulff | |
gehört dazu auch Gerhard Dannemann, Jurist und Professor an der | |
Humboldt-Universität, der sich mit der Arbeit Franziska Giffeys | |
beschäftigte und dazu auch in einer Anhörung des Wissenschaftsausschusses | |
im Berliner Abgeordnetenhaus Stellung bezog. | |
Inzwischen sind auf VroniPlag Wiki 211 Fälschungsarbeiten aus den letzten | |
zehn Jahren dokumentiert. Seine Funde schickt die Plattform dem Präsidium | |
der betroffenen Hochschule, dem Dekanat und der Ombudsperson für gute | |
wissenschaftliche Praxis. „Manche haben sehr schnell reagiert, der Rekord | |
ist eine Eingangsbestätigung nach 30 Minuten“, berichtet Weber-Wulff. | |
Meist aber dauert es. „Ich kann von außen nicht unterscheiden zwischen | |
einem Fall, der sich hinschleppt oder vergessen worden ist, oder der | |
bewusst verzögert wird.“ So gebe es am Klinikum Charité oder an der | |
Humboldt-Universität viele Fälle, die bereits 2014 gemeldet wurden. „Mir | |
ist aber bis heute nicht mitgeteilt worden, wie die Fälle entschieden | |
worden sind“, so die Plagiatsfahnderin. | |
Besonders die Charité, wo die Plagiatsjäger 33 Fälle identifiziert haben, | |
weigere sich, die Namen der Plagiierenden zu nennen und die Kataloge zu | |
kennzeichnen. Sie sagte nur, wie viele Fälle noch offen sind und wie viele | |
entschieden. | |
## Stunde der Einzellösungen | |
In etwa einem Drittel der gemeldeten Fälle seien die Doktorgrade entzogen | |
worden, erklärt die Informatikprofessorin. Doch offensiv gehen die | |
Universitäten damit nicht um: Nur bei etwa einem Drittel erfahre man durch | |
die Deutsche Nationalbibliothek und den Universitätskatalog, dass es sich | |
um ein Plagiat handelt. „Bei etwa einem Drittel weiß man nicht, ob der | |
Doktorgrad entzogen wurde“, so Weber-Wulff. Über das letzte Drittel seien | |
es die Informationen vage. | |
Um Plagiate aufzudecken, müsse in der deutschen Wissenschaftslandschaft | |
noch einiges geschehen, so die Einschätzung der Plagiatsspezialistin. In | |
den letzten Jahren wurde laut Weber-Wulff ein umfangreiches | |
Akkreditierungssystem für Hochschulen mit eigenständigen | |
Bewertungsagenturen aufgebaut, die kontinuierlich die Einhaltung | |
wissenschaftlicher Standards überprüfen. | |
Sie könnten laut Weber-Wulff noch stärker in den Kontrollprozess einbezogen | |
werden – was auch zu einer besseren statistischen Grundlage der | |
Plagiatsproblematik führen würde: Derzeit weiß niemand, wie viele | |
Täuschungsfälle es gibt, weil keine Meldepflicht besteht. „Die | |
Akkreditierungsbehörden sollten anfangen, die Hochschulen nach ihren Zahlen | |
zu fragen: Wie viele Fälle gab es und wie lange dauerte es, sie zu | |
bearbeiten?“, schlägt die HTW-Professorin als Erhebungskriterien vor. | |
Noch ist allerdings die Stunde der Einzellösungen – so auch an der Freien | |
Universität Berlin, wo deren Präsident Günter Ziegler im Akademischen Senat | |
in der vorigen Woche weitere strukturelle Konsequenzen aus dem [2][Fall | |
Giffey] vorschlug. So sollten etwa die Kompetenzen der Ombudsleute für | |
wissenschaftliches Fehlverhalten, die bisher häufig nur Kummerbriefkästen | |
sind, gestärkt werden. | |
Auch sollte Plagiatssoftware breiter genutzt und die gewonnenen | |
Erkenntnisse sollten besser vernetzt und weitergeleitet werden. Der Fall | |
Giffey habe der Freien Universität „zu einer noch stärkeren | |
Sensibilisierung verholfen“, sagte Ziegler in der Gremiensitzung der FU. | |
7 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /GuttenPlag-und-VroniPlag-Wiki/!5122284 | |
[2] /Nach-Giffeys-Ruecktritt-als-Ministerin/!5767985 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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