# taz.de -- Plädoyer im Prozess gegen Lina E.: Anklage gegen die Anklage | |
> Im Prozess gegen die Linke Lina E. wegen Angriffen auf Neonazis plädiert | |
> die Verteidigung – und übt scharfe Kritik an Bundesanwaltschaft und | |
> Richtern. | |
Bild: Solidarität mit Lina E. aus Berlin | |
DRESDEN taz | Ulrich von Klinggräff spart nicht an deftiger Kritik. Der | |
Prozess habe eine „politische Justiz“ offenbart, die seine Mandantin Lina | |
E. von Beginn an vorverurteilt habe, klagt der Verteidiger im | |
Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch. Von „feindstrafrechtlichen Bezügen“ | |
spricht er, von einem „unbedingten Verfolgungseifer“ und | |
„Geschichtsblindheit“ der Bundesanwaltschaft. Die Angesprochenen, und auch | |
Lina E., verfolgen das weitgehend ungerührt. Die Abreibung kommt nicht | |
unerwartet. | |
Über die ganze Verhandlung hatte die Verteidigung harte Kritik an der | |
Anklage geübt – und sie wiederholt sie nun am Mittwoch bei ihren Plädoyers | |
[1][im größten Prozess gegen militante Linksradikale] seit Jahren. Die | |
Bildung einer kriminellen Vereinigung und sechs schwere Angriffe auf | |
Rechtsextreme von Oktober 2018 bis Februar 2020 in Leipzig, Eisenach und | |
Wurzen wirft die Bundesanwaltschaft Lina E. und drei Mitangeklagten – | |
Jannis R., Lennart A., Philipp M. – vor. Die 28-jährige Leipzigerin sei | |
dabei Anführerin gewesen. | |
Seit anderthalb Jahren wird darüber in Dresden verhandelt, noch ein knappes | |
Jahr länger sitzt Lina E. in U-Haft. [2][Und die Bundesanwaltschaft betonte | |
in ihrem Plädoyer], dass sie alle Anklagepunkte zumindest gegen die | |
28-Jährige für bestätigt erachtet. Sie forderten für sie acht Jahre Haft | |
und für die Mitangeklagten bis zu drei Jahre und 9 Monate Haft. | |
Verteidiger von Klinggräff hält das für völlig überzogen. Er verweist auf | |
den NSU-Prozess, wo der Mitangeklagte Ralf Wohlleben zehn Jahre Haft | |
erhielt, für die Lieferung der Tatwaffe, mit der neun Menschen ermordet | |
wurden. Und der Anwalt kritisiert nochmal die „absurden“ | |
Sicherheitsvorkehrungen im Saal, den „polizeilichen Popanz“, die auch | |
mediale „Verleumdung“ von Lina E. und ihre lange U-Haft. Der Prozess sei | |
viel zu hoch gehängt und hätte genauso gut vor einem Landgericht verhandelt | |
werden können, findet von Klinggräff. | |
## Naziterror auf der Straße? | |
Dann wird der Verteidiger grundsätzlich. Die Bundesanwaltschaft sei | |
offensichtlich eine Anhängerin der Hufeisentheorie, die links und rechts | |
gleichsetze, was nach den Attentaten des NSU, Halle oder Hanau von | |
„atemberaubender Ignoranz“ zeuge. Sie negiere völlig „die tägliche | |
faschistische Gewalt in Deutschland“, die seit der Wende zu mehr als 200 | |
Todesopfern führte, und das „enorme Versagen“ des Staates im Kampf dagegen, | |
kritisiert von Klinggräff. | |
Gerade in Eisenach, wo zwei der Angriffe stattfanden, habe kein friedlicher | |
Meinungskampf geherrscht, sondern „Naziterror auf der Straße“. Ein | |
antifaschistisches Tatmotiv könnte damit ja auch strafmildernd gesehen | |
werden, so der Anwalt. Die Bundesanwaltschaft aber sehe es | |
strafverschärfend. | |
Und auch das Gericht kritisiert der Verteidiger. Auch dieses habe sich | |
stets vor die Ermittler und vor die Bundesanwaltschaft gestellt. Und keine | |
kritische Beweiswürdigung erkennen lassen. Kritik im Prozess sei immer nur | |
an der Verteidigung geübt worden – selbst noch, als der Bundesanwaltschaft | |
mit zwei Alibis nachgewiesen werden konnte, dass sie bei zwei | |
Mitangeklagten zwei falsche Tatvorwürfe erhoben hatte. | |
Dann geht von Klinggräff auf die konkreten Taten ein und kritisiert eine | |
„unfassbare Einseitigkeit der Beweiswürdigung“ und eine Beweislastumkehr. | |
„Im Zweifel gegen die Angeklagten“, habe im Prozess gegolten. [3][Obwohl | |
alle Anklagepunkt auf Indizien oder „Mutmaßungen“ beruhten], verwende die | |
Bundesanwaltschaft diese allesamt gegen die Angeklagten oder betreibe | |
„Rosinenpickerei“. Immer wenn eine Frau am Tatort gewesen sein soll, soll | |
es Lina E. gewesen sein. Immer wenn ihr bis heute untergetauchter Partner | |
Johann G. dabei gewesen sei, sei es auch die 28-Jährige gewesen. Von einer | |
„Bonnie&Clyde-Logik“ spricht von Klinggräff, die mit keinen Beweisen | |
unterlegt sei. | |
## Verteidigung fordert Freispruch | |
Auch die Aussagen einiger der angegriffenen Neonazis, die Lina E. | |
belasteten, seien „schamlos gelogen“ gewesen, erinnert von Klinggräff. | |
[4][Ein früherer Szenekumpel von Lina E., der zum erweiterten Feld der | |
Beschuldigten gehört und im Prozess plötzlich als Kronzeuge aussagte], habe | |
nur Mutmaßungen geliefert. Noch dazu habe er unter Druck gestanden, „etwas | |
liefern zu müssen“, um einen Strafrabatt zu bekommen. Mitverteidiger Erkan | |
Zünbül verwirft die Indizien der Bundesanwaltschaft gleich in Gänze: „Ihre | |
Anklage sind keine Asse. Und das Gericht darf sich auf solche Spiele nicht | |
einlassen.“ | |
Die Verteidigung von Lina E. fordert Freisprüche für fünf der sechs | |
angeklagten Angriffe. Einzig die zweite Attacke in Eisenach, nach der Lina | |
E. mit dem Mitangeklagten Lennart A. in einem Fluchtauto gefasst wurde, | |
sieht Zünbül als Körperverletzung, aber nur als versuchte, weil der Angriff | |
abgebrochen wurde, nachdem der Neonazi Leon R. ein Messer zog. Bei dem | |
folgenden Angriff auf R.s Begleiter sei Lina E. dann nicht mehr beteiligt | |
gewesen. Die Verteidiger beantragen dann auch noch die Haftentlassung von | |
Lina E. Eine Fluchtgefahr, wie von der Bundesanwaltschaft behauptet, sei | |
„absurd“. | |
Die Plädoyers sollen am Donnerstag fortgesetzt werden, ein Urteil wird für | |
Mitte Mai erwartet. | |
19 Apr 2023 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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