# taz.de -- Prozess gegen Lina E.: Urteil verzögert sich | |
> Im Prozess gegen vier Linksradikale entbrennt erneut Streit über die | |
> Glaubwürdigkeit des Kronzeugen. Das Gericht unterbricht deshalb die | |
> Plädoyers. | |
Bild: Solidarität mit Lina E. zum Prozessauftakt vor dem Oberlandesgericht in … | |
DRESDEN taz | Eigentlich war am Donnerstag im Prozess gegen die Leipziger | |
Linke Lina E. [1][das Ende der Plädoyers] vorgesehen – dann sollte das | |
Urteil folgen. Aber es kam anders. Nun tritt das Oberlandesgericht Dresden | |
noch einmal kurz in die Beweisaufnahme ein. Der Prozess könnte damit | |
womöglich erst im Juni zu Ende gehen. | |
In dem Verfahren wird Lina E. und drei Mitangeklagten – Lennart A., Philipp | |
M., Jannis R. – vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet und | |
zwischen 2018 und 2020 sechs schwere Angriffe auf Neonazis verübt zu haben. | |
[2][Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer] dafür acht Jahre Haft | |
für Lina E. gefordert und bis zu 3 Jahre und 9 Monate Haft für die | |
Mitbeschuldigten. Die Verteidigung von Lina E. fordert dagegen allenfalls | |
eine Verurteilung für eine versuchte Körperverletzung in Eisenach und für | |
einen Diebstahl. | |
Am Donnerstagmorgen hatte nun Rita Belter, Anwältin des Mitangeklagten | |
Lennart A., ihr Plädoyer begonnen. Sie kritisierte zunächst das Gericht, | |
das im Prozess immer wieder die Verteidigung gegängelt habe, insbesondere | |
sie selbst. Dann knöpfte sie sich den Anklagepunkt der kriminellen | |
Vereinigung vor. Eine solche habe es nicht gegeben, betonte Belter. Weder | |
habe es eine feste Gruppenstruktur gegeben noch konkrete Mitglieder oder | |
fixe Aufgabenverteilungen. | |
Auch sei nicht nachweisbar, dass die angeblichen Kampfsporttrainings als | |
Übungen für Angriffe gedient hätten. Alle Angeklagten seien deshalb für den | |
Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung freizusprechen, | |
so Belter. Die angebliche Gruppe um Lina E. sei „ein Papiertiger“. Belter | |
bezog sich dabei auch auf den Kronzeugen Johannes D., ein früherer | |
Szenebekannter von Lina E. Auch dieser habe nur von einem flexiblen | |
Personengeflecht gesprochen, aus dem heraus Angriffe auf Neonazis geschehen | |
seien, so die Verteidigerin. | |
## Beweisaufnahme wird neu aufgerollt | |
Zu einer vermeintlichen festen Gruppe um Lina E. [3][habe Johannes D. nur | |
Mutmaßungen geäußert]. Zudem habe er in dem Prozess, der gegen ihn im | |
Februar vor dem Landgericht Meiningen geführt wurde, die Trainings nochmal | |
relativiert. Anders als vor dem Dresdner Gericht habe er dort nun | |
behauptet, es sei dabei keineswegs um Angriffsübungen auf Neonazis | |
gegangen. Richter Hans Schlüter-Staats reagierte auf diesen Punkt umgehend | |
und verkündete, noch einmal in die Beweisaufnahme einzusteigen. | |
Er fragte Belter nach ihrer Quelle für die Aussagen von Johannes D. in | |
Meiningen. Belter verwies auf ihren Quellenschutz als Anwältin, benannte | |
aber einen Zeugen aus dem Publikum. Dieser war bei dem Prozess in Meiningen | |
vor Ort und hatte ein Protokoll verfasst, das anschließend auf dem Blog von | |
„Soli Antifa Ost“ veröffentlicht wurde, ein Unterstützerbündnis für Lin… | |
und die Mitangeklagten. | |
Prompt wurde der Mann in den Zeugenstand berufen. Dort wiederholte er, dass | |
Johannes D. in Meiningen behauptet habe, die Trainings der Gruppe um Lina | |
E. hätten nur „Sport, Spaß, sozialen Kontakten“ gedient. Schlüter-Staats | |
hakte immer wieder kritisch nach und bemerkte später, dass dies in der | |
Urteilsbegründung aus Meiningen anders stehe. Dennoch verkündete der | |
Richter, nun auch den Vorsitzenden Richter und Oberstaatsanwalt aus dem | |
Meininger Prozess gegen Johannes D. laden zu wollen. | |
Dies soll nun frühstens am 10. Mai passieren. Bis dahin pausiert der Lina | |
E.-Prozess. Und: Bis dahin sind auch die Plädoyers unterbrochen. Nach den | |
Zeugenaussagen müssen diese dann nochmal von vorne beginnen, wobei die | |
Prozessbeteiligten auch auf ihre bisherigen Schlussvorträge verweisen und | |
diese nur ergänzen können. Schlüter-Staats verkündete vorsorglich neue | |
Termine bis zum 22. Juni. | |
## Wie glaubwürdig ist der Kronzeuge? | |
Hinter dem Streit am Donnerstag steht einmal mehr die Frage, wie | |
glaubwürdig der Kronzeuge Johannes D. ist. Die Bundesanwaltschaft hat daran | |
keinen Zweifel und auf den Umfang und die angebliche Detailtiefe seiner | |
Aussagen verwiesen. Die Verteidigung dagegen hält den 30-Jährigen für | |
unglaubwürdig. Das Motiv seiner Aussagen sei klar gewesen, den Ermittlern | |
„etwas zu liefern“, um so ins Zeugenschutzprogramm zu kommen und einen | |
Strafrabatt zu erhalten. [4][Hinter dem Streit steht aber auch eine | |
fortgesetzte Auseinandersetzung zwischen der Verteidigung und dem | |
Strafsenat, in dem sich beide Seiten nichts schenken]. Immer wieder hatte | |
Schlüter-Staats im Prozess Befragungen der Verteidigung unterbrochen und | |
Anträge abgelehnt, immer wieder war es zu Wortgefechten gekommen. | |
Für Lennart A., dessen Plädoyer am Donnerstag eigentlich im Vordergrund | |
stehen sollte, hatte die Bundesanwaltschaft drei Jahre und drei Monate Haft | |
gefordert. Der Leipziger war nach einem Angriff auf den Eisenacher Neonazi | |
Leon R. zusammen mit Lina E. in einem Fluchtauto gefasst worden. Seine | |
Verteidigung fordert dagegen nur eine „bewährungsfähige Strafe“. | |
Belter verwies dabei auch auf diverse Prozesse gegen Rechtsextreme, bei | |
denen diese mit Bewährungsstrafen davon kamen. So etwa nach brutalen | |
Angriffen in Ballstädt, Fretterode, Dresden oder Connewitz. „Muss man | |
Rechtsextremer sein, um eine Bewährungsstrafe zu bekommen?“, schloss Belter | |
ihr Plädoyer. Im Publikum wurde das mit Applaus quittiert. | |
20 Apr 2023 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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