# taz.de -- Aussage im Prozess gegen Lina E.: Der Mann, der gerne Kronzeuge wä… | |
> Im Prozess gegen die Leipziger Linke Lina E. sagt ein früherer | |
> Weggefährte gegen sie aus. Doch viele seiner Behauptungen bleiben | |
> Spekulation. | |
Bild: Vier Personen sind im Fall Lina E. seit Sept. 2021 vor dem Oberlandesgeri… | |
DRESDEN taz | Und dann ist er da. Am Donnerstagmorgen betritt Johannes D. | |
den Saal des Oberlandesgerichts Dresden. Kurz geschorene Haare, blaues | |
Hemd, Faltenhose – und keine Maskerade, wie einige erwarteten. Dafür aber | |
mit Anwalt und gleich sechs Personenschützern der Polizei. Im Saal herrscht | |
angespannte Stille, eine Zuhörerin beginnt zu weinen. | |
Denn Johannes D. könnte nicht nur den Angeklagten hier schaden. Der | |
30-Jährige ist [1][zum überraschenden Belastungszeugen] im Prozess gegen | |
Lina E. geworden, bereits im Mai packte er bei der Polizei aus, ganze | |
sieben Tage lang. Und das auch gegen etliche weitere Szeneangehörige. | |
Bereits seit November 2020 sitzt Lina E. in Haft, seit September wird in | |
Dresden gegen die Leipzigerin und drei Mitangeklagte verhandelt. Die | |
Bundesanwaltschaft wirft ihnen die Bildung einer linkskriminellen Gruppe | |
und sechs schwere Angriffe auf Neonazis in Leipzig, Wurzen und Eisenach | |
vor. Doch der Prozess zieht sich. Zeugen [2][konnten die vermummten | |
Angreifer nicht identifizieren], die Angeklagten schweigen. Nun aber packt | |
Johannes D. aus. | |
Wie nervös seine Aussage erwartet wurde, lässt sich am frühen Morgen | |
erkennen. Schon da ist die Polizei überall um das Gericht postiert, am | |
Himmel kreist ein Helikopter. Auf einer linken Kundgebung schimpft eine | |
Rednerin über das „widerwärtige Verhalten“ von Johannes D. Aus der Szene | |
wurde er schon vor Monaten verstoßen und mit Foto und vollem Namen geoutet, | |
ihm wird Vergewaltigung vorgeworfen. Nun gilt er auch als „Verräter“. Aber | |
es bleibt ruhig, auch im Gericht. | |
## Antifa-Video mit versteckter Drohung? | |
Johannes D. sitzt dort nicht auf der Anklagebank, aber er gehört zu den | |
mindestens fünf weiteren Linken, welche die Bundesanwaltschaft der Gruppe | |
zurechnet. So soll er bei einem ihrer Angriffe dabei gewesen sein, im | |
Dezember 2019 auf den Eisenacher Neonazi Leon Ringl, ein Kampfsportler und | |
Kneipenwirt. | |
Im Saal nun wirkt Johannes D. angespannt, er fingert an einem | |
Kugelschreiber herum, blickt nicht zu den Angeklagten, seinen früheren | |
Bekannten. Die lassen keine Rührung erkennen. Johannes D. sagt zunächst | |
nur, dass er 30 Jahre alt sei und gelernter Erzieher – dann beantragt er | |
den Ausschluss der Öffentlichkeit, weil er bedroht werde. | |
Zuvor war etwa ein Antifa-Video in Solidarität mit Lina E. publik geworden, | |
in dem ein Graffiti auftauchte, „9mm für 31er“. Die 31 steht für Verräte… | |
die 9mm für eine Pistolenpatrone. D. versteht dies offenbar als | |
Morddrohung. Nach längerer Diskussion hinter verschlossenen Türen zieht der | |
Berliner aber seinen Antrag zurück – und legt los. | |
Wie sein Kontakt zur Polizei zustande kam, lässt Johannes D. zunächst | |
offen. Klar ist: Das Bundesamt für Verfassungsschutz vermittelte und der | |
Ex-Autonome wurde in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. | |
## Taugt D. wirklich als Kronzeuge? | |
Johannes D. erklärt nur, dass das Outing der Grund gewesen sei, warum er | |
heute hier sitze. Er sei bereits im Sommer 2021 nach Warschau verzogen, | |
habe dort als Kindergärtner gearbeitet. Nach dem Outing aber hätten ihn | |
einmal polnische Rechtsextreme bedroht, dann sei er gekündigt worden und | |
Szenefreunde hätten ihm „verboten“, in Berlin, Leipzig oder seiner Heimat | |
Nürnberg aufzutauchen. Die Vorwürfe gegen ihn würden so nicht stimmen, | |
behauptet D. Es sei aber klar gewesen, dass sie ihn immer wieder einholen | |
würden. „Deshalb musste ich eine Entscheidung treffen.“ | |
Johannes D. räumt ein, dass er als militanter Autonomer aktiv und auch bei | |
dem Angriff auf Ringl dabei gewesen sei, hier aber nur als „Scout“, weil er | |
damals unter Bewährung stand. Johann G., der bis heute abgetauchte Verlobte | |
von Lina E., habe ihn dafür über den verschlüsselten Messenger Jabber | |
rekrutiert. Ziel sei es gewesen, Ringl „nachhaltig“ zu verletzen, auch mit | |
Hämmern, weil dieser eine „national befreite Zone“ anstrebte. | |
Mit einem weiteren Berliner Autonomen sei er dann, nach einer | |
Kita-Weihnachtsfeier, nach Leipzig gefahren, mit dem Auto von Philipp M., | |
der in Dresden mitangeklagt ist. Dort habe er auch Lina E. getroffen, sei | |
mit ihr und Johann G. sowie weiteren Leipzigern und Weimarern nach Eisenach | |
gefahren. Er selbst habe dort das Bulls Eye, die Szenekneipe von Ringl, | |
ausgespäht und dessen Abfahrt per Handy an Johann G. gemeldet. | |
Bei dem Überfall selbst – bei dem Ringl unversehrt blieb, aber drei | |
Begleiter von ihm verletzt wurden – sei er dann nicht dabei gewesen, so | |
Johannes D. Er habe nur gemerkt, dass etwas schief gelaufen sei, weil er | |
später keinen Kontakt mehr zu Johann G. hatte. | |
Das hatte einen Grund: Nach dem Überfall hatte die Polizei zwei Fluchtautos | |
gestoppt, in einem saß Lina E. Es war die Tat, welche die Polizei auf ihre | |
Spur brachte. Zu ihrer Rolle kann Johannes D. aber zumindest am Donnerstag | |
nicht viel sagen. In Eisenach habe er einmal auch mit ihr telefoniert, | |
ergänzt er noch. Als Anführer schildert er aber ihren Verlobten Johann G., | |
der auch schon bei einem früheren Angriff auf Ringl dabei gewesen sei und | |
dort verletzt Blut am Tatort zurückgelassen habe. Zwei weitere beteiligte | |
Autonome benennt er noch konkret, sonst bleiben ihm nur Vermutungen oder er | |
kann sich nicht erinnern. | |
Mehrmals ermahnen ihn die Verteidiger:innen, nicht zu spekulieren. Schon | |
bei seinen Aussagen bei der Polizei habe D. dies „zuhauf“ getan, | |
kritisieren sie. Seine Aussage sei daher „mit äußerster Vorsicht“ zu | |
genießen. Und tatsächlich will Johannes D. bei keiner anderen angeklagten | |
Tat dabei gewesen sein. Ob er damit wirklich als Kronzeuge taugt, bleibt an | |
diesem Tag fraglich. | |
Das Urteil gegen Lina E. aber rückt damit einmal mehr in weite Ferne. | |
Allein für D.s Aussagen sind fünf weitere Tage freigeräumt, insgesamt | |
wurden Prozesstermine bis November angesetzt. Und auch Johannes D. droht | |
noch ein Prozess – für den er sich mit seinen Aussagen einen Strafrabatt | |
erhoffen dürfte. | |
28 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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