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# taz.de -- Prozess gegen Lina E.: Unerschütterliche Anklage
> Seit 2021 wurde gegen Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Angriffen auf
> Neonazis verhandelt. Die Bundesanwaltschaft fordert Haftstrafen.
Bild: Tausende solidarisieren sich mit Lina E. bei einer Demo in Leipzig im Sep…
Dresden taz | Lina E. lässt sich nichts anmerken. Die 28-jährige
Leipzigerin winkt am Morgen, wie immer, lächelnd ihren Bekannten im
Publikum zu, als sie im Strickpullover den Saal des Oberlandesgerichts
Dresden betritt. Als die Bundesanwaltschaft später Anklagevorwurf um
Anklagevorwurf gegen die Studentin zusammenfasst, bleibt sie regungslos,
macht nur aufmerksam Bleistiftnotizen.
Dabei ist für die Ankläger in ihrem Plädoyer klar: Der Prozess habe
erwiesen, dass Lina E. Rädelsführerin einer kriminellen Vereinigung gewesen
sei, die „massive Gewalt“ gegen Rechtsextreme verübt habe. Damit ist die
Schlussphase des größten Prozesses eingeläutet, der seit Langem gegen die
linksradikale Szene geführt wird. [1][Seit zweieinhalb Jahren sitzt Lina E.
bereits in Haft], seit September 2021 wird gegen sie und drei Mitangeklagte
aus Leipzig und Berlin in Dresden verhandelt, inzwischen 92 Prozesstage
lang.
Sechs Mal soll ihre Gruppe in Leipzig, Wurzen und Eisenach schwere Angriffe
auf Rechtsextreme verübt haben, von Oktober 2018 bis Februar 2020: darunter
auf den früheren NPDler Enrico B. oder den Eisenacher Kampfsportler und
Szenekneipenwirt [2][Leon R.], der zwei Mal angegriffen wurde.
## Der Prozess hatte über Monate um Indizien gerungen
Lina E. und ihr bis heute untergetauchter Partner Johann G. seien dabei
zentral gewesen, betont Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn auch am
Donnerstag. Sie hätten die Opfer mit ausgewählt, Fluchtfahrzeuge gestellt
oder die Angriffe koordiniert. Tatsächlich wurde Lina E. nach dem zweiten
Überfall in Eisenach auf Leon R., im Dezember 2019, in einem Fluchtauto
erstmals festgenommen, dem ihrer Mutter – so kamen ihr die Ermittler auf
die Spur.
Oberstaatsanwältin Geilhorn nutzt das Plädoyer ihrer Bundesanwaltschaft für
eine grundsätzliche Mahnung. „Um das hier und heute in aller Deutlichkeit
zu sagen, es gibt keine gute politische Gewalt“, betont sie. „Der Zweck
heiligt eben nicht die Mittel.“ Die Angeklagten hätten das Recht in die
eigene Hand genommen, aber letztlich nur eine Radikalisierung der
Gegenseite ausgelöst. Diese Gewaltspirale müsse der Staat verhindern.
Tatsächlich hatte der Prozess über Monate um Indizien gerungen, ob die
Angeklagten an den Taten beteiligt waren. Eine Tüte mit einer
DNA-Mischspur, die zu Lina E. passen könnte. Ein Video aus einer
Regionalbahn. Oder Fotos von einem Tatort auf einer Kamera, die bei Lina E.
gefunden wurde. Indizien, welche die Verteidigung bis heute in Zweifel
zieht. Ein Mitangeklagter, Philipp M., konnte für eine Tat gar ein Alibi
präsentieren: Er war damals in Berlin in einer Kneipe, wie seine Handydaten
belegten.
Dieses Alibi von Philipp M. lässt die Oberstaatsanwältin Geilhorn gelten –
sonst bleibt sie bei ihrer Anklage: „Es gibt nicht den einen Beweis. Es
gibt keine Smoking Gun.“ In der Zusammenschau aller Indizien sei Lina E.
bei allen Taten überführt.
## Der Kronzeuge wird als Vergewaltiger beschuldigt
Alle Angriffe [3][teilten ein Tatmuster]. Lina E.s Partner Johann G. sei
mehrmals vor Ort gewesen. E. selbst habe sich auch im Alltag konspirativ
verhalten, indem [4][sie etwa zu Hause gleich 11 Handys vorhielt]. Auch
hätten ZeugInnen immer wieder eine Frau am Tatort geschildert. Im Publikum
löst das immer wieder Unruhe und Kopfschütteln aus. „Bullshit“, zischt ei…
Frau.
Auch die Verteidigung kritisierte die Bundesanwaltschaft scharf. Dass diese
trotz „der vielen Zweifel“ in der Beweisaufnahme unbeirrt an der Anklage
festhalte, sei „abenteuerlich“, sagt Ulrich von Klinggräff, Anwalt von Lina
E., der taz. „Das offenbart eine ungeheure Einseitigkeit und erhebliche
Verdrängungsleistung.“ Sich auf eine Gesamtschau der Indizien zu berufen,
sei ein „Totschlagargument“. Die Bundesanwaltschaft könne nicht als
objektive Behörde gesehen werden.
Geilhorn beruft sich auch auf einen früheren Mitstreiter von Lina E., der
[5][im Prozess zum Kronzeugen avancierte]: den Berliner Johannes D. Anders
als Lina E. und die Mitangeklagten, die bis heute schweigen, packte dieser
plötzlich aus. Der 30-Jährige war zuvor in der Szene als Vergewaltiger
beschuldigt und geoutet worden.
## Ein Urteil wird Anfang Mai erwartet
Auf Vermittlung des Verfassungsschutzes kooperierte er darauf mit der
Polizei und beschuldigte Lina E. und Johann G. als zentrale Figuren der
Gruppe. Mit Trainings habe man sich auf die Überfälle vorbereitet. Bei den
angeklagten Angriffen selbst war Johannes D. indes nur bei einem einzigen
dabei, beim zweiten Überfall auf Leon R. in Eisenach.
Die Verteidigung zieht auch die Aussagen von Johannes D. in Zweifel. Er sei
kein neutraler Zeuge, könne Rachemotive haben. Auch habe er die Akten
gekannt und vieles nur gemutmaßt. Geilhorn dagegen verteidigt den
Kronzeugen, wenig überraschend: Dessen Aussagen seien glaubwürdig, konstant
und ohne wesentliche Widersprüche. Eine Lügengeschichte sei
„ausgeschlossen“.
Am frühen Donnerstagabend wurde das Plädoyer der Bundesanwaltschaft
schließlich nach mehreren Stunden unterbrochen. Ihre geforderte Strafhöhe
für die Angeklagten wird sie kommenden Mittwoch kundtun. Die Verteidigung
soll dann im April plädieren, ein Urteil wird Anfang Mai erwartet. Dass
auch das Gericht zumindest an Lina E.s zentrale Rolle glaubt, zeigt sich
daran, dass sie nach zweieinhalb Jahren in U-Haft belassen wird – und damit
eine noch weit längere Haftstrafe zu erwarten hat.
30 Mar 2023
## LINKS
[1] https://www.zeit.de/2021/13/lina-e-links-aktivismus-extremismus-terrorismus…
[2] /Anklage-gegen-Lina-E/!5771521
[3] /Mitangeklagter-im-Fall-Lina-E/!5837047
[4] /Prozess-gegen-Linke-Lina-E/!5827575
[5] /Autonome-Gruppe-um-Lina-E/!5918374
## AUTOREN
Konrad Litschko
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