| # taz.de -- Prozess um Lina E. in Leipzig: Warten auf den Kronzeugen | |
| > Im Prozess will ein früherer Weggefährte auspacken. Vermutlich kann er | |
| > die Angeklagten weniger belasten als erwartet. | |
| Bild: Soli-Demo für Lina E. in Leipzig | |
| Berlin taz | Es dürfte ein kleines Spektakel werden, das den Auftritt von | |
| Johannes D. am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Dresden begleiten wird, | |
| [1][im Prozess gegen die linke Aktivistin Lina E]. Antifas kündigen eine | |
| Kundgebung vor dem Gericht an, die Polizei wird mit einem Extraaufgebot | |
| anrücken, die Sicherheitskontrollen werden verschärft. Denn die Befragung | |
| von Johannes D. ist keine wie jede andere: Er ist der neue Kronzeuge, der | |
| den Prozess derzeit durcheinanderwirbelt. | |
| Im Juni war publik geworden, dass der 30-jährige Ex-Autonome bei der | |
| Polizei ausgepackt hatte. Für die Bundesanwaltschaft scheint es wie ein | |
| Lottogewinn, für Lina E. und die Mitangeklagten wie ein Albtraum. An gleich | |
| sechs Prozesstagen soll er nun aussagen. Aber die Erwartungen der Ankläger | |
| könnten enttäuscht werden. | |
| ## Zeugenschutzprogramm für Johannes D. | |
| Seit September steht die Leipzigerin Lina E. vor Gericht. Der 27-Jährigen | |
| und drei Mitangeklagten werden die Bildung einer linksmilitanten Gruppe und | |
| sechs schwere Angriffe auf Neonazis vorgeworfen. Das Verfahren zog sich | |
| zuletzt: Zeugen konnten die vermummten Angreifer nicht erkennen, die | |
| Angeklagten schwiegen. [2][Dann packte Johannes D. aus]. | |
| Der Berliner, der zuletzt in Polen gelebt haben soll, steht nicht in | |
| Dresden mit vor Gericht – aber die Bundesanwaltschaft rechnet ihn dem | |
| erweiterten Kreis um Lina E. zu. Auch gegen ihn wird deshalb ermittelt. | |
| Seit dem 1. Mai sagte Johannes D. nun in ganzen sieben Vernehmungen über | |
| die Gruppe aus, auf Vermittlung des Bundesamts für Verfassungsschutz. Schon | |
| zuvor wurde er in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. | |
| Aus der linken Szene wurde Johannes D. schon vor Monaten verstoßen, weil | |
| ihm sexuelle Übergriffe und eine Vergewaltigung vorgeworfen werden. Nach | |
| seiner Kooperation mit der Polizei wird er nun auch als „Verräter“ | |
| geschmäht. Womöglich belasten seine Aussagen Lina E. aber weniger als | |
| erwartet. Denn Johannes D. soll nur bei einer der angeklagten Taten dabei | |
| gewesen sein: einem Überfall auf den Eisenacher Neonazi Leon Ringl im | |
| Dezember 2019. Zu den anderen fünf angeklagten Taten soll D. nach | |
| taz-Informationen kein eigenes Wissen gehabt und eher Mutmaßungen | |
| angestellt haben. Demnach soll er es zwar als wahrscheinlich erachtet | |
| haben, dass sich an den Taten auch Lina E. beteiligte – ohne dies aber | |
| genauer belegen zu können. | |
| Neben Lina E. soll Johannes D. jedoch auch ihren bis heute untergetauchten | |
| Verlobten Johann G. belastet haben, dem er offenbar ebenso eine | |
| Führungsrolle zuschrieb. Auch soll er Aussagen zu weiteren Personen aus | |
| beider Umfeld gemacht haben – was bereits zu zwei Durchsuchungen in Leipzig | |
| und Berlin führte. Für die Anklage füllte D. damit eine Leerstelle: Denn | |
| über die Struktur der v[3][ermeintlichen Gruppe um Lina E.] wusste die | |
| Bundesanwaltschaft wenig. Aber auch hier soll Johannes D. statt einer fixen | |
| Gruppe eher ein loses Netzwerk beschrieben haben, das sich je nach Tat | |
| immer neu zusammensetzte. | |
| ## Hitzige Diskussionen im Gericht erwartet | |
| Die Verteidiger von Lina E. und den anderen Angeklagten wollen sich bisher | |
| nicht zu den Aussagen von Johannes D. bei der Polizei äußern. Auch dessen | |
| Anwalt tut es nicht. Er aber beantragte bereits für die Zeugenbefragung von | |
| D. einen Ausschluss der Öffentlichkeit – aus Sicherheitsgründen. Die | |
| Verteidiger:innen halten dagegen. „Wir werden alles in Bewegung | |
| setzen, um den Grundsatz der Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten“, twitterte | |
| Erkan Zünbül, Anwalt von Lina E. Und auch die Richter:innen | |
| signalisierten nach taz-Informationen den Prozessbeteiligten, dass der | |
| Antrag nicht aussichtsreich sei. | |
| Die Verteidiger:innen kritisieren zudem, dass sie erst Wochen später | |
| und womöglich nicht vollständig über die Befragungen von Johannes D. | |
| informiert wurden. Die „Waffengleichheit“ mit der Bundesanwaltschaft sei so | |
| nicht gegeben, beklagten sie in einem Antrag. Auch werde damit erschwert, | |
| die Glaubwürdigkeit von D. einzuschätzen. | |
| Denn der habe auch zu anderen nichtangeklagten Straftaten ausgesagt, etwa | |
| in Dessau oder Dortmund, und womöglich auch beim Verfassungsschutz. Ob und | |
| wie er dabei die Gruppe um Lina E. belastete, bleibe unklar, monierten die | |
| Verteidiger:innen. Auch darüber dürfte am Donnerstag im Dresdner Gericht | |
| hitzig diskutiert werden. | |
| 27 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Konrad Litschko | |
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