Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Linksextremismus in Niedersachsen: Ab wann ist links extrem?
> Niedersachsens Justizministerium hat eine Fachtagung zum Linksextremismus
> gemacht. Schon bei der Definition des Phänomens haperte es.
Bild: Antifa: Im Blick des niedersächsischen Verfassungsschutzes
Hannover taz | Für die [1][niedersächsische CDU] ist es ein lang gehegtes
Herzensthema: Endlich nicht immer nur über Rechtsextremismus und radikale
Islamisten zu reden, sondern auch einmal über gefährliche Linksextreme. Das
CDU-geführte Justizministerium hat mit dem Landespräventionsrat
Niedersachsen zum Fachtag „Praxiskonzepte zur Prävention des
Linksextremismus“ eingeladen. Es kamen: Polizisten, Juristen und
pädagogische Fachberater, die an ganz verschieden Stellen mit dem Thema
befasst sind.
Auf so eine groß angelegte Befassung mit dem Thema haben die Konservativen
in der Regierungskoalition immer wieder gedrängt. Über den
Landespräventionsrat und das Landesprogramm für Demokratie und
Menschenrechte wurden deshalb Fördergelder ausgelobt: für eine
wissenschaftliche Analyse und die Entwicklung von Präventionsprojekten.
[2][Schon an der Ausschreibung gab es Kritik], viele zweifelten am akuten
Bedarf – immerhin zeigen selbst die offiziellen Zahlen der
Polizeistatistik, genauso wie die Berichte des Verfassungsschutzes, dass
die Gefahr von links eher rückläufig ist oder zumindest auf niedrigem
Niveau verharrt, während die Coronakrise den Sicherheitsbehörden reichlich
neue Kundschaft aus ganz anderen Richtungen beschert hat.
Folgerichtig bewarben sich kaum Institutionen und Personen auf die
Ausschreibung, wie Andreas Schwegel vom niedersächsischen Justizministerium
auf der Fachtagung noch einmal beklagte. Das Kriminologische
Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) erbarmte sich schließlich und setzte
eine Mitarbeiterin auf das Thema an.
## Begriffliche Schwierigkeiten
Laura Treskow erarbeitete die Analyse zusammen mit Dirk Baier, einem
Professor der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Außerdem
fanden sich zwei Stellen, die Präventionsprojekte entwickelten. Sie wurden
von Carolin Ullrich von der Beratungsstelle Phäno in Berlin und Monika
Oberle von der Uni Göttingen vorgestellt.
Die Schwierigkeiten, das betonten die drei Expertinnen unisono, beginnen
allerdings schon damit, dass man nicht einmal so richtig definieren kann,
was das denn nun eigentlich ist: [3][„linksextrem“]. Es gibt in der
Wissenschaft eine lange Debatte darüber, Polizei und Verfassungsschutz
verstehen darunter noch einmal etwas anderes. Wo hört die berechtigte
Kritik auf und wo fängt der Extremismus an?
Und, so stellt [4][die Studie von Treskow und Baier] fest, es hapert nicht
nur an den Grundlagen, sondern auch beim Bedarf. Sie haben sowohl bei
Experten als auch bei bestehenden Präventionsprojekten aus dem Bereich
nachgefragt: Ein dringendes Bedürfnis von Multiplikatoren wie Lehrern oder
Sozialarbeitern, sich im Bereich Linksextremismus fortbilden zu lassen, sei
nicht feststellbar.
Auch die Projekte, die nun auf diesem Fachtag dem Publikum vorgestellt
werden, haben sich also andere Stoßrichtungen gesucht. Wenn man das Thema
Linksextremismus nicht direkt bearbeiten kann – auch weil man schlicht
nicht genug über die Szene weiß, die sich dem Dialog mit Institutionen in
der Regel verweigert – dann muss man eben bei der Demokratiebildung
ansetzen. Wer verstanden hat, wie toll Demokratie ist, so die Logik, geht
nachher nicht zur Antifa.
## Kinder resilient gegen die Verlockungen machen
[5][Die Bildungs- und Beratungsstelle Phäno], die zur SPI-Stiftung in
Berlin gehört, hat sich dabei der Nachfrage angepasst: Mit Pädagogen
bearbeitet sie in Workshops vor allem Themen wie Radikalisierungsprozesse
bei Jugendlichen, Fake News und Propaganda in sozialen Medien sowie
Funktionsweisen von Verschwörungserzählungen – das sind Dinge, die
„phänomenübergreifend“ bei Extremisten aller politischen Richtungen und
Religionen ähnlich funktionieren.
Die Engführung auf das Thema Linksradikalismus leistet sich die
Beratungsstelle nur noch bei Workshops für niedersächsische Polizeibeamte.
Mit denen sollen linksextreme Werdegänge, Verhaltensweisen und Strategien
aus zivilgesellschaftlicher Perspektive analysiert werden, um dann
polizeilich damit besser umgehen zu können, sagt Ullrich.
Die [6][Göttinger Professorin Oberle] legt den Fokus dagegen auf
Politiklehrer. Die müssten zur Radikalisierungsprävention befähigt werden,
Kinder resilient machen gegen die Verlockungen des Extremismus.
Bei so viel Aufweichungen des Themas mit wissenschaftlich fundiertem Wenn
und Aber wirkt Udo Baron vom niedersächsischen Verfassungsschutz auf dem
Diskussionspodium am Schluss fast frustriert. „Der Linksextremismus wird
als Problem geleugnet und die Beschäftigung damit ist auch nicht gerade
karrierefördernd“, wettert er.
Dabei sei doch erkennbar, dass es einen Strategiewandel innerhalb der
linksextremen Szene gebe, hin zu konspirativ agierenden Kleingruppen, die
sich radikalisierten und gezielte Gewalttaten verübten. Das betreffe nicht
nur die medial groß aufbereiteten Fälle wie [7][die Gruppe um Lina E. in
Leipzig] oder den Übergriff auf Coronaleugner bei den [8][Cannstatter Wasen
in Stuttgart]. Auch in Hannover habe es kürzlich einen Fall gegeben, in dem
ein mutmaßlicher Rechtsextremist von Vermummten verprügelt wurde.
6 Jul 2022
## LINKS
[1] /Niedersachsens-Verkehrsminister-hat-Idee/!5859740
[2] /Projekte-gegen-Linksextremismus/!5678740
[3] /Linksextremismus/!t5019187
[4] https://kfn.de/wp-content/uploads/2020/11/Treskow_Baier_(2020)_Wissenschaft…
[5] https://www.stiftung-spi.de/service/projekte/detail/phaeno
[6] https://www.uni-goettingen.de/de/prof-dr-monika-oberle/265134.html
[7] /Mitangeklagter-im-Fall-Lina-E/!5837047
[8] /Angriff-vor-Querdenkerdemo-in-Stuttgart/!5807787
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Polizei Niedersachsen
CDU Niedersachsen
Niedersachsen
Extremismus
Lina E.
Kriminologie
Lina E.
Gerichtsprozess
Extremismus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Institut soll in Leibniz-Gemeinschaft: Kriminologische Fernsehstars
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kennen alle. Weil alle
Medien bei ihm nachfragen, wenn es um Verbrechen geht.
Neuer Podcast über den Fall Lina E.: Fragen bleiben offen
Lina E. wird die Bildung einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung
vorgeworfen. Ein neuer Podcast bereitet die Story auf.
Prozess um Lina E. in Leipzig: Warten auf den Kronzeugen
Im Prozess will ein früherer Weggefährte auspacken. Vermutlich kann er die
Angeklagten weniger belasten als erwartet.
Fachtagung zu Linksextremismus: Prävention an der falschen Stelle
Die Fachtagung zu Linksextremismus, organisiert vom Justizministerium
Niedersachsen, ist Aktionismus. Viel wichtiger sind Bildung und
Gerechtigkeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.