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# taz.de -- PiS-Chef Jarosław Kaczynski: Auf Zeit-Flucht vor Verantwortung
> Polens Ex-Premier gräbt alte Anschuldigungen gegen Russland aus. Da ist
> eine Finte, um der Verantwortung für die verlorene Wahl zu entkommen.
Bild: Ex-Premierminister Kaczynski bei einer Demonstration am 9. Januar in Wars…
Vor ein paar Wochen unterhielten wir uns in einem Bostoner Café mit einem
Mann, den wir zufällig trafen. Als er hörte, dass wir aus Polen kommen,
reagierte er begeistert: „Aus Polen? Bravo! Die Polen haben ihren nächsten
historischen Sieg errungen – dieses Mal habt ihr gegen den Populismus
gewonnen!“ Es war sehr schön, diese Worte zu hören. In der Tat ist Polen
seit den Parlamentswahlen im Oktober [1][ein Quell der Hoffnung für Freunde
der Demokratie] auf der ganzen Welt.
Das Land ist aber nicht nur ein Laboratorium für die Wiederherstellung von
Rechtsstaatlichkeit. Es ist auch ein Laboratorium für die Koexistenz von
demokratischen und populistischen Parteien. Die populistische PiS – ob man
sie nun mag oder nicht – ist ein struktureller Bestandteil der polnischen
Politik und wird uns noch lange erhalten bleiben. Genauso wie die AfD wohl
für lange Zeit in Deutschland bleiben wird.
Polen stehen 2024 zwei wichtige Wahlen bevor – Kommunal- und Europawahlen
–, und die PiS ruht sich deswegen keineswegs aus. Die Aktivitäten ihres
Präsidenten Jarosław Kaczyński sind gar besonders bemerkenswert.
Kürzlich beschloss Kaczyński, seinen Zuhörern eine kurze Lektion in
Rechtsgeschichte zu geben, und stellte in einer einzigen Aussage Donald
Tusk und Adolf Hitler gleich. Er sagte genau das: „Tusks Wille ist das
Gesetz. Nun, es gab schon andere, deren Wille Gesetz war. Der Wille des
Führers war das Gesetz.“
Inhaltlich ist das natürlich unappetitlicher Unsinn. Überhaupt ist es
schwierig, auf solche Vergleiche mit einem der schlimmsten Verbrecher der
Welt, der auch [2][für den Massenmord an den Polen verantwortlich] ist,
vernünftig zu reagieren.
Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Als ob er noch nicht genug
hätte, beschloss Kaczyński, den Vorwurf vom angeblichen „Smolensk-Attentat�…
zu wiederholen, und bezog sich dabei auf den Absturz des
Präsidentenflugzeugs im Jahr 2010. In barocker Manier erklärte er: „Lech
Kaczyński starb bei dem Absturz, aber dieser Absturz war das Ergebnis eines
Attentats. Und so war das Attentat von Smolensk sicherlich das Ergebnis
seiner immer effektiver werdenden Politik gegenüber Russland.“ Bedeutet
das, dass Kaczyński den Bezug zur Realität verloren hat, wie manche ihm
unterstellen?
Eigentlich ist das überhaupt nicht von Bedeutung. Zunächst einmal
[3][kämpft Kaczyński nach seiner Niederlage] mit zentrifugalen Tendenzen
innerhalb seines Lagers. Der Rückgriff auf den Radikalismus ermöglicht es
ihm, geschickt von der Verantwortung für die verlorene Wahl abzulenken.
Das Säen von „semantischem Chaos“, das Umkehren der Bedeutung grundlegender
Wörter war das Markenzeichen der letzten acht Jahre – heute haben wir eben
die Premiumversion.
Den Bezug zur Realität verlieren, kann für die Politiker auch bedeuten,
dass sie in der Realität von „damals“ bleiben wollen, in der nach
wiederholten Verstößen gegen die Verfassung von 1997 plötzlich schnelle
Karrierewege für die Willigen eröffnet wurden und eine starke
Parteiloyalität aufgebaut.
Angesichts des täglichen Kampfes, [4][der heute in den polnischen
Institutionen um die Rechtsstaatlichkeit geführt wird], und der Tatsache,
dass die Umfragewerte der PiS keineswegs dramatisch sinken, müssen die
polnischen Verteidiger der Demokratie dasselbe lernen wie [5][ihre
Verbündeten in ganz Europa]: Um langfristig gegen die Populisten zu
gewinnen, muss man besser, interessanter, engagierter und effizienter sein
als die populistische Konkurrenz.
4 Feb 2024
## LINKS
[1] /Erste-Massnahmen-der-Tusk-Regierung/!5978005
[2] /Deportationen-im-Nationalsozialismus/!5985402
[3] /Oppositionsdemo-in-Polen/!5985180
[4] /Polens-neue-Regierung/!5979224
[5] /Proteste-gegen-rechts/!5985924
## AUTOREN
Karolina Wigura
## TAGS
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