# taz.de -- Waffenlieferung an die Ukraine: Wer will für den Donbass sterben? | |
> Blick in die Geschichte: 1939 wollte niemand für Danzig sterben. | |
> Bekanntlich führte das erst recht ins Unglück. Und wie sieht es heute | |
> aus? | |
Bild: Ein ukrainischer Soldat im Donbass kämpft gegen die Russen | |
Die Erklärung des französischen Präsidenten über die mögliche Entsendung | |
von Truppen in die Ukraine hat im Westen einen größeren Sturm ausgelöst als | |
in Polen. Ein bekannter Geopolitikexperte aus Paris erklärte, dass er | |
„[1][keine Lust hat, für den Donbass zu sterben]“. | |
Die Tatsache, dass dieser Experte nicht im wehrpflichtigen Alter ist, ist | |
eher unwichtig. Nur wenige haben übrigens verstanden, worauf er | |
hinauswollte: auf den berüchtigten Zeitungsartikel vom Mai 1939, in dem ein | |
anderer Franzose die defätistische Frage „Warum für Danzig sterben“ | |
gestellt hatte. Es sei daran erinnert, dass dieser andere Franzose, | |
[2][Marcel Déat], nach der Niederlage 1940 Mitglied von Vichy war und bis | |
1945 aktiv mit den Besatzungsmächten kollaborierte. | |
In Mittel- und Osteuropa werden solche Erklärungen mit einem gewissen | |
Misstrauen aufgenommen. Es ist natürlich schön, dass Emmanuel Macron | |
weitreichende Solidarität mit Kyjiw erklärt. Allerdings scheint die Politik | |
der westeuropäischen Staaten angesichts eines auswachsenden Kriegs noch | |
etwas labil. | |
Der französische Präsident hat in zwei Jahren einen weiten Weg | |
zurückgelegt. Er hat sich von 2017 bis 2022 – trotz der Annexion der Krim | |
und des Kriegs im Donbass – dafür eingesetzt, mit Moskau auszukommen, und | |
sich im Mai 2023 in Bratislava auf die Schulter geklopft, dass die Nachbarn | |
Russlands mit der Bedrohung aus dem Osten recht hätten. Die deutsche | |
Politik war auch nicht die konsequenteste. Trotz der nachdrücklichen | |
Erklärungen von Bundeskanzler Olaf Scholz ist die Zurückhaltung bis heute | |
auffällig, wenn es darum geht, die notwendigen Waffen zu schicken, um die | |
Russen zu besiegen. | |
## Helme für die Ukraine | |
Unterdessen spielt Russland auf Zeit. Es wartet geduldig auf den Ausgang | |
der Wahlen zum Europäischen Parlament, auf die Ergebnisse der Wahlen im | |
November in Übersee. Und über die nationalen Grenzen hinweg sät es der | |
Zwietracht in die westeuropäischen Gesellschaften. Die enthüllten Gespräche | |
von Bundeswehroffizieren über den Einsatz von Taurus-Raketen in der Ukraine | |
haben die deutsche Elite buchstäblich gelähmt. Es war, als ob der Krieg | |
nicht schon seit zwei Jahren andauern würde, als ob die Phase der | |
„[3][Entsendung von Helmen]“ noch nicht vorbei wäre, als ob Wladimir Putin | |
nicht deutlich gemacht hätte, dass er einen Krieg gegen den Westen führt, | |
und als ob Alexej Nawalny nicht gerade getötet worden wäre. | |
Wie bei den Franzosen ist es unwahrscheinlich, dass die öffentliche Meinung | |
für ein „Sterben für den Donbass“ brennt. In den Umfragen gewinnt | |
ausschließlich die prorussische Partei AfD an Unterstützung. Wie in den | |
ersten Tagen des Kriegs sind Aufrufe zur Verhinderung einer Eskalation zu | |
hören, so als hätten Paris und Berlin den Krieg verursacht. Hinter diesen | |
trickreichen Erklärungen steckt durchaus eine ziemliche Hybris. | |
Und doch kann man zumindest bei den Mächtigen einen gewissen Wandel | |
feststellen: Immer mehr Politiker sind bereit, Tallinn, Kyjiw oder Warschau | |
in der Russlandfrage Zugeständnisse zu machen. Es fällt jedoch schwer, sich | |
die bittere Bemerkung zu verkneifen, dass dies um den Preis einer | |
zunehmenden Entfremdung zwischen den Eliten und ihrem eigenen Souverän, dem | |
Volk, geschieht. | |
Die meisten Menschen im Jahr 1939 wollten nicht „für Danzig sterben“, | |
ebenso will im Jahr 2024 kaum jemand in der Europäischen Union „für den | |
Donbass sterben“. | |
Auch nach zwei Jahren Krieg teilen viele Polinnen und Polen diese Ansicht. | |
Niemand möchte ein Risiko eingehen. So gesehen ist im 21. Jahrhundert | |
endlich der Traum von Generationen in Erfüllung gegangen: Und wir Polen | |
sind endlich zu 100 Prozent westlich geworden. | |
7 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Westliche-Bodentruppen-in-der-Ukraine/!5992179 | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Marcel_D%C3%A9at | |
[3] /Putins-Ueberfall-auf-die-Ukraine/!5991728 | |
## AUTOREN | |
Karolina Wigura | |
Jaroslaw Kuisz | |
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