# taz.de -- Oscarverleihung 2021: Selbstverständlich politisch | |
> Zum ersten Mal bildeten die Oscars tatsächlich die Vielfalt der | |
> Gesellschaft ab. Als bester Film wurde „Nomadland“ von Chloé Zhao | |
> ausgezeichnet. | |
Bild: Oscars für „Nomadland“: Peter Spears, Frances McDormand, Chloé Zhao… | |
„Ich hab' einfach nur ein bisschen mehr Glück als ihr“, kokettierte Yoon | |
Yeo-jeong gegenüber ihren Konkurrentinnen in der Kategorie „Beste | |
Nebendarstellerin“, den Oscar hielt sie frisch in der Hand. Aber natürlich | |
war es nicht nur Glück: Die Schauspielerin ist ein Knaller in „Minari“. Im | |
Film von Lee Isaac Chung spielt sie die aus Korea eingeflogene Oma des | |
kindlichen Protagonisten, die ihm nicht nur Fluchen und Kartenkloppen | |
beibringt. Sondern auch irgendwie, vielleicht durch Zauberei, vielleicht | |
durch Liebe, sein schwaches Herz heilt. | |
Überhaupt wirkte die diesjährige 93. Oscarverleihung (trotz Pandemie) | |
„heiler“ als in den Jahren vorher – obwohl die USA „united by loss“ i… | |
wie es Laudatorin Angela Bassett ausdrückte. Und obwohl sämtliche, | |
herausgeputzte Filmemacher:innen am Sonntagabend wegen der | |
covidbedingten Einschränkungen in einen medioker großen Raum passen | |
mussten. Man hatte sich seine einzige erlaubte Begleitung also gut | |
ausgesucht, saß auf Abstand und knutschte im Freudenfall nur den eigenen | |
Haushalt oder das Team. | |
Die größte Veränderung: Diese 93. Oscarverleihung bildete, zumindest in den | |
Reihen der Nominierten und Laudator:innen, zum ersten Mal tatsächlich die | |
Vielfalt der Gesellschaft ab. „The blackest Oscars that have ever been“, | |
hieß es zwischendurch beim „Popquiz with Questlove“, bei dem das | |
Musikwissen des Publikums getestet wurde: War ein bestimmter, alter Song | |
oscarnominiert? Glenn Close entpuppte sich als woker als die Polizei | |
erlaubt, sozusagen. Sie erkannte „Da Butt“, 1988 geschrieben für den Spike | |
Lee-Film „School Daze“, und schwang sogar amtlich ihren eigenen „Butt“ … | |
– deutlicher kann die Anerkennung von und die Verneigung vor schwarzer | |
Kultur durch weißes Establishment kaum ausfallen. | |
Aber nicht nur Blackness wurden mit dem Roots-Schlagzeuger und DJ (anstatt | |
eines aersosolauspustenden Orchesters) gefeiert. Zur Branche, die wie | |
überall auf der Welt mit einer katastrophalen Bilanz für 2020 leben muss, | |
gehören – man muss es eigentlich nicht mehr sagen – alle Hautfarben und | |
Gender, alle Handicaps (repräsentiert auf mehreren Ebenen durch den | |
großartigen „The Sound of Metal“ über einen gehörlosen Schlagzeuger) und | |
Kulturen, nicht nur jene, die die Preise jahrzehntelang dominierten und | |
ihre Regeln vorschrieben. | |
Genderdiskurs mit Knalleffekt | |
Dass ein außergewöhnlicher Rape-Revenge-Film wie „Promising Young Woman“, | |
der den Genderdiskurs mit Knalleffekt unterstreicht, für das beste Drehbuch | |
ausgezeichnet wurde, ist darum erfreulich und folgerichtig. Der „Beste | |
Film“ dieses Jahres dagegen heißt, wenn es nach den sukzessiv verjüngten, | |
diverseren Mitgliedern der Academy geht, [1][„Nomadland“- den Roadtrip über | |
eine 60jährige Witwe], die als Arbeitsnomadin am Rande der US-Gesellschaft | |
lebt, inszenierte [2][die aus Peking stammende US-Regisseurin Chloé Zhao]. | |
Sie gewann – als zweite Frau überhaupt – auch den Oscar für die „Beste | |
Regie“, ihre Hauptdarstellerin Frances McDormand nahm gewohnt gnatzig die | |
Trophäe für die „Beste Schauspielerin“ entgegen. (Dass die Info über den | |
Sieg der glücklichen Chloé Zhao in China angeblich zensiert wurde, ging am | |
nächsten Tag durch die Medien.) Anthony Hopkins wurde jedenfalls bester | |
Darsteller in „The Father“ – und gewann damit gegen den posthum nominiert… | |
Chadwick Boseman, der [3][in der großartig dynamischen Kinoadaption des | |
Bühnenstücks „Ma Raineys Black Bottom“] einen Jazztrompeter spielt. | |
Die bereits bei Netflix laufende Produktion bekam zwar zwei Oscars in den | |
Gewerken Maske und Kostüme, doch die Hauptpreise landeten – bis auf Daniel | |
Kaluuyas Trophäe für den „Besten Nebendarsteller“ – somit wieder | |
größtenteils in weißen Wohnungen. Dennoch sind die Oscars nicht mehr | |
#sowhite, vielleicht nur noch #quitewhite – es dauert eben länger als ein | |
paar Jahre gemeinsame Anstrengung, um Jahrhunderte der strukturellen | |
Ungerechtigkeit zu glätten. | |
Die neue formale Bescheidenheit, die mit den Auflagen einherging, stand der | |
Branche jedenfalls gut: Flott, moderationslos und dennoch ohne | |
Zeitbeschränkung bei den Dankesreden wirkte die Veranstaltung am Sonntag | |
persönlicher als sonst. Steven Soderbergh, der sie inszenierte, hatte sich | |
gegen Trailergewitter und – dem Bahnhofsgebäude „Union Station“ in Los | |
Angeles angemessen – gegen wilde Kamerafahrten entschlossen. | |
Stattdessen erzählte man Geschichten über die erste Filmliebe, über | |
Kartenabreißjobs und Fellini. Und war dabei selbstverständlich politisch: | |
Schon die [4][erste Laudatorin Regina King] kündigte an, bei einem anderen | |
Urteil im George Floyd-Fall die High Heels mit den „Marching Boots“ | |
austauschen und den Abend demonstrierend auf der Straße verbringen zu | |
wollen. | |
Von „gesundgeschrumpft“ kann dennoch nicht die Rede sein. Denn nach wie vor | |
muss um Film, vor allem um Kinofilm gezittert werden. „Nehmt alle Menschen | |
mit und schaut Euch Nomadland auf der größten Leinwand an, die es gibt“, | |
bat McDormand. Das wird hoffentlich als Befehl verstanden. | |
26 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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