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# taz.de -- Ökonomie und Architektur in Berlin: Wirkliche Werte
> Geht gar nicht allein um das schnöde Geld: Das neue Heft des
> Architekturmagazins „Arch+“ untersucht Identität und Ökonomie am Beispi…
> von Berlin.
Bild: Townhäuser am Werderschen Markt in Berlin
Was ist die endlich fertiggestellte Schlossrekonstruktion an der Straße
Unter den Linden doch für ein banaler, langweiliger Kasten. Doch es gibt
Leute, die in den wie Meterware endlos sich hinziehenden
Barockfassadenmodulen historische Größe und preußisches Gloria erkennen.
Und so verstörend es noch immer ist, dass es zu diesem Wiederaufbau kam, so
musterhaft zeigt sich hier der politisch reaktionäre Prozess der
Inwertsetzung von Geschichte, der zuletzt in Berlin und anderswo zu
beobachten ist.
Die politische Ökonomie speziell des retrograden Bauens ist nun ein Thema
der aktuellen Ausgabe von Arch+ mit dem Titel „Berlin Theorie“. Das Heft
arbeitet [1][eine Ausstellung auf], die Arch+ zusammen mit dem Neuen
Berliner Kunstverein 2019 zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls
organisiert hatte. Eine Entwicklung, in der Atmosphären konsumierbares
Produkt des Tourismus und der Immobilienwirtschaft wurden, zeichnete sich
erstmals in den 1970er Jahren ab.
In dieser Zeit setzte die Ästhetisierung und Kommodifizierung bestimmter
historischer Schichten der Stadt ein, wie Arch+-Herausgeber Anh-Linh Ngo im
Editorial-Gespräch mit der polnischen Architektin und Autorin Ola Gordowy
sagt, es begann die „Kulturalisierung des Urbanen“, wie es der Soziologie
Andreas Reckwitz nennt. Fünfzig Jahre später müssen wir uns mit den – mit
Ausnahme der Investorengewinne – in jeder Hinsicht erbärmlichen Resultaten
herumschlagen.
Verena Hartbaum von der TU Stuttgart geht nun den entsprechenden
immobilienwirtschaftlichen Strategien auf den Grund und stößt dabei auf
keineswegs rein marktwirtschaftliche, sondern vor allem ideologische
Motive. Sie finden sich zum Beispiel im Begriff des „neuen Stadtbürgers“,
als den sich Senatsbaudirektor Hans Stimmann den Eigentümer jener
Stadthäuser imaginierte, für die er die kleinteilige Parzellierung des
Grund und Bodens am Friedrichswerder durchsetzte.
Ästhetisch sind diese im Immobilien-Sprech meist Townhouses genannten
Luxusbauten vorrangig durch die Zurschaustellung von Distinktionsmerkmalen
gekennzeichnet. Vornehm gibt sich die – in Daniel Pollers Fotoessay „Berlin
nach ’89“ brillant ins Bild gesetzte – historisierende Architektur
generell.
In den Verkaufsprospekten wird dann auch mit Vorliebe von den solcherart
verkörperten Werten gesprochen. Merkwürdigerweise meint der Begriff des
Werts trotzdem nicht das schnöde Geld. Stattdessen soll dem „Guten Wahren
Schönen“ zu Geltung verholfen werden, wenig überraschend in ideologischer,
gerne reaktionär-nationalistischer und/der christlich-identitärer Form,
wie es das Kreuz auf der Schlosskuppel darstellt.
## Inwertsetzung der Alternativen
Zu den Strategien der Immobilienwirtschaft gehört selbstverständlich und in
Berlin sogar vorrangig die Inwertsetzung seiner Alternativkulturen. Wie die
Kuratorin Annette Maechtel in ihrem Beitrag über die Ausstellung „Children
of Berlin: Cultural Developments 1989–1999“ feststellt, die im November
1999 in New Yorker MoMA PS1 eröffnete, fand hier das Bild des Kreativen
Berlins seinen beispielhaften Ausdruck. Handelte die Schau doch neben der
bildenden Kunst und deren Akteur*innen von den Neuen
Medienpionier*innen, Architekt*innen, Designer*innen, Modemacher*innen,
Theaterleuten, Musiker*innen und Clubbetreiber*innen der Stadt.
Unter dem Label der Kreativen Stadt vollzog Berlin eine radikale
Imageänderung. Die melancholische eingemauerte Frontstadt des Kalten Kriegs
imaginierte sich jetzt als internationale Kunstmetropole, sah sich schon
als feste Größe im Modebetrieb und war unbestritten globaler Hot Spot von
Techno und Clubkultur. Immerhin das. Denn die Idee, Berlin würde sich nach
dem Mauerfall quasi automatisch zu einer der führenden Metropolen Europas
entwickeln, hatte sich spätestens um die Jahrtausendwende als Irrtum
erwiesen. Also rettete sich Berlin in das Bild „arm, aber sexy“.
Wobei es der Regierende Bürgermeister Wowereit, der die Redewendung prägte,
und sein Senat waren, die sie erst wahr machten. Jedenfalls was deren
ersten Teil angeht. Sie wollten tatsächlich den Schaden, der der Stadt und
ihren Bürgern aus den unverantwortlichen Immobiliengeschäften der
landeseigenen Bank entstanden war, durch weitere unverantwortliche
Immobiliengeschäfte heilen.
## Die ausverkaufte Stadt
„Ausverkauft“ betitelt die Architektin und Stadtforscherin Florine
Schüschke ihre Recherche zur Privatisierung von landeseigenem Grundbesitz
in Berlin, die allein den Kauf des Heftes mit seinen auch sonst
überzeugenden Beiträgen lohnt. Schüschke gelang es dabei, 90 Prozent der
Geschäfte nachzuverfolgen und auszuwerten. Insgesamt 21 Millionen
Quadratmeter landeseigener Grund und Boden, eine Fläche von der Größe des
Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, verscherbelte die Stadt Berlin in der
Zeit von 1989 bis 2017 für lächerliche 5 Milliarden Euro an private
Investoren, inklusive eines beachtlichen kommunalen Wohnungsbestands. Es
war der Berliner Senat, vorneweg Finanzsenator Thilo Sarrazin, der die
Stadt der Deutschen Wohnen übereignet hat.
So dramatisch die Geschichte der ausverkauften Stadt ist, so präsent ist
sie im Gespräch und Alltag der Stadt, ungeschrieben ist dagegen das Drama
der kreativen Stadt, deren entscheidender Akt gerade von der
Coronapandemie auf die Bühne gebracht wird. Ausgerechnet deswegen, weil die
Kreativität etwa von Junggalerist*innen, Musiklabelbetreiber*innen, wie
Maechtel schreibt, „nicht mehr für gesellschaftliche Utopien und das
offene Experimentieren (steht), sondern für reale ökonomische
Inwertsetzung“, scheint es für die Zukunft der Szene düster auszuschauen.
Die Instrumentalisierung der Kreativität vor allem für die Interessen der
Immobilienwirtschaft rächt sich.
Man kann sich vorstellen, dass die von der öffentlichen Hand finanzierten –
weil als Zweck in sich selbst anerkannten – Museen, Theater-, Opern- und
Konzerthäuser nach Corona wieder wie gewohnt ihren Betrieb aufnehmen
werden. Was aber die Spielstätten der freien Szene, die Projekträume und
Clubs betrifft, dürfte das ganz anders ausschauen.
Insofern ist es wirklich ein Manko des Hefts, auch wenn es der
nachgereichte Katalog zur Ausstellung sein will, dass der Blick auf das
aktuelle Geschehen und seine möglichen Folgen fehlt.
19 Jan 2021
## LINKS
[1] /Deutschlands-verkaufte-Hauptstadt/!5624880
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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