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# taz.de -- Öffentliche Dazwischenräume: Lob des Zwischenzustands
> Der öffentliche Raum und seine Aneignung. Der „Atlas des
> Dazwischenwohnens“ sowie subjektive Kartographien im Historischen Museum
> Frankfurt.
Bild: Hayko Spittels Zeichnung des Offenbacher Kaiserlei (Ausschnitt)
„Man denkt nicht oft genug an die Treppen.“ So schrieb der französischen
Schriftsteller und Filmemacher George Perec in seinem 1974 veröffentlichten
Buch „Träume von Räumen“. Und weiter: „Nichts war schöner in den alten
Häusern als die Treppen. Nichts ist hässlicher, kälter, feindseliger,
kleinlicher in den Mietshäusern von heute. Man sollte lernen, mehr in den
Treppenhäusern zu leben. Aber wie?“
Tja. „[1][Wie leben in Räumen, die architektonisch, städtebaulich,
besitzständisch] nicht unmittelbar einem selbst bestimmt sind? Angelika
Juppien und Richard Zemp von der Hochschule Luzern plädieren für friedliche
Eroberung. „Landnahme und Zauber“ ist deshalb ein Kapitel in ihrem „Atlas
des Dazwischenwohnens“ (Park Books) untertitelt, dem Perecs Lob des alten
Treppenhauses vorangestellt wurde.
Die Aneignung öffentlichen (und in Mietshäusern halböffentlichen) Raumes
ist in vielen Regionen der Welt ein Thema – die Luzerner Stadtforscher
konzentrieren sich aber auf Beispiele aus deutschen und schweizerischen
Wohnanlagen, deren Bewohner:innen sie zu Wort kommen lassen.
Von dort also, wo Haus- oder Baurechtsordnung traditionell eher streng sind
wie – aus gutem Grund – die Brandschutzbestimmungen. Man liest von
jahreszeitlich wechselnden Außendekorationen, Fahrradabstellplätzen,
Freiräumen zum „Basteln oder irgendwie mit Pflanzen hantieren“, von
Hofgärten oder Mittagstischen, die aus beengten Räumen einfach ins Außen
verlagert werden.
## Steinhaufen mit Energie
Oder von einem Steinhaufen, der sich auf dem Weg zur Wohnung türmt. Und zu
dem eine Besitzerin eine „gewisse Energie“ verspürt. Denn „die sind hier
oben und nehmen den Raum und die Aufmerksamkeit ein. Und es hat für mich
einfach die Bedeutung der Besetzung des Raumes.“ Beispiele für
Wohnbedürfnisse jenseits der Türschwelle, mit denen Juppien und Zemp eigene
Beobachtungen und Eroberungsvorhaben [2][auf der Mikroebene anregen
wollen].
In ähnlichem Sinne lassen sich auch die subjektiven Kartografien begreifen,
die derzeit im Historischen Museum Frankfurt zu sehen sind. 80
Stadtlaborant:innen haben den notorisch im Wandel begriffenen
Stadtraum mit Bleistift, Wasserfarben, Bunt- und Filzstift, Tusche und Kuli
durchstreift und festgehalten, was ihnen bedeutsam erschien. Auch hier sind
es oft die Zwischenzustände, die begeistern.
Nachzusehen in den Baustellenbildern von Eleonore Poth mit satten
Farbakzenten aus Pastellkreide. Oder in Hayko Spittels Ansicht des
Offenbacher Kaiserlei, die 23 Jahre städtebauliche Veränderung in einer
Skizze vereint. Andere haben Straßenkarten nach ihren Prioritäten
angefertigt, belebte Orte zeichnerisch eingefangen.
## „Hier ist nur Dreck“
Wie Sibylle Lienhard in dem Bild „Hauptwache“, die Beobachtungen in
Zeichnung und Text („Hier ist nur Dreck und nix zu sehen“ / „Hier muss man
den Kinderwagen zu Fuß die Treppe hochtragen“ / „Wursteliges Geländer“)
zusammenbringt.
Fantastisch auch die detaillierten Tuschezeichnungen des
Atelier-Goldstein-Künstlers Dustin Eckhardt, die urbane Räume zu einem
überbordenden Zusammen der Einzelnen verdichten.
Fürs Erfassen des Vergehenden mit dem Zeichenstift entschied sich
seinerzeit auch Carl Theodor Reiffenstein (1820–1893), Chronist des alten
Frankfurt. Seine Bilder werden derzeit ebenfalls im Historischen Museum
ausgestellt.
Titel: „Alles verschwindet!“ Schon damals charakterisierte man die Stadt
als ewigen Zwischenzustand.
30 Nov 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
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Frankfurt am Main
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