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# taz.de -- Neues Album von Mutter: Und niemand hört zu
> Die Berliner Band Mutter überzeugt auf ihrem neuen Album „Der Traum vom
> Anderssein“ mal wieder. Nur ist die Welt noch nicht bereit für sie.
Bild: Immer anders: die Band Mutter
Die Berliner Band Mutter bleibt ein Mysterium deutscher Rockgeschichte.
Seit mehr als 30 Jahren gibt es die Gruppe um Sänger Max Müller;
spätestens, seit sie Mitte der Neunziger den wunderbar zeitlosen Szene-Hit
[1][„Die Erde wird der schönste Platz im All“] schrieben und das
Pop-Konsensalbum „Hauptsache Musik“ (1994) aufnahmen, wartete man darauf,
dass die Welt endlich, endlich Notiz von Mutter nehmen würde.
Nur geschah das dann nie. Mutter veröffentlichen in steter Regelmäßigkeit
und mit beeindruckender Konstanz großartige Alben zwischen Punk, Noise,
Indie, Songwriter und Metal – „Der Traum vom Anderssein“, das kürzlich
erschienene neue Werk, reiht sich da nahtlos ein.
Dabei beginnt dieses Mutter-Album mit einer Zumutung. Das Auftaktstück ist
eine 5:45 Minuten dauernde Krautrock-Eskapade mit monotonem Beat, vor sich
hingiedelnden Gitarren und Feedback-Gesirre. „Schönheit , die fremd ist/
Schönheit, die stirbt“, krächzt Max Müller mit seiner charakteristischen,
immer etwas heiser klingenden Stimme dazu und hat es schwer, sich gegen die
wummernden Gitarren durchzusetzen. Es folgen im zweiten Stück 8 Minuten und
37 Sekunden Drone-Rock: „Menschen werden alt und dann sterben sie“ basiert
auf (Bass-)Gitarrendröhnen und wenigen, zäh wie Kaugummi anmutenden Riffs.
Zwischendurch sind schwer verständliche Wortfetzen zu vernehmen.
Auf Albumlänge bleibt es dann nicht ganz so sperrig, die acht Stücke zeigen
eigentlich die gesamte Bandbreite, die Mutter draufhat: Vom
melancholisch-plätscherndem Indietrack ([2][„So bist Du“]) über
Noiserockstücke mit eingängiger Hookline („Der Traum vom Anderssein“) bis
hin zu Space-Doom-Rock mit durch Autotune verfremdeten Gesang („Kravmann“).
Dazwischen verstecken sich Perlen wie „Fremd“, das in seiner Sanftheit an
die US-Indie-Helden von Yo La Tengo erinnert.
Dass dieser Sound in Deutschland solitär ist, liegt auch an den Texten von
Max Müller, der kleine, oft traurige Alltagsgeschichten erzählt und dabei
weder zu Moralismus noch zu Zynismus neigt. Er ist einfach ein guter, ein
genauer Beobachter. „Fremd“ zum Beispiel handelt von einem Leiden an der
Welt, dem Müller aber schon in der ersten Strophe in wenigen Versen die
Schwere nimmt („Hoffnung scheint für dich gemacht/ leg dich hinein wie in
dein Bett“).
Im Titelstück setzt Müller sich sich damit auseinander, was „Anderssein“
heute eigentlich bedeutet, wenn es als Behauptung ständig durch die Welt
getragen wird, wenn es eigentlich in dem Moment nivelliert wird, in dem es
ausgesprochen wird. „So bist Du“ lässt jede Menge aktuelle Bezüge von Fake
News bis zur Neigung zu Verschwörungstheorien zu: „Jede kleine Gewissheit /
es könnte so gewesen sein / macht dich froh“, singt Müller da.
Und das das Musikalische? Toll scheppernd ist hier wie auf so vielen
Mutter-Alben das Schlagzeug von Florian Koerner von Gustorf (Snare!
Becken!); auch die Gitarrenwände und der knarzende Bass überzeugen – keine
unwesentlichen Elemente auf einem Werk, das am ehesten als Noiserock-Album
durchgeht. Das Keyboard (Julie Miess) kommt eher bei den ruhigeren Stücken
zur Geltung, hat aber auch seine auffällig starken Solopassagen („Glorie“).
Mutter-Album Numero 13 muss man sich Stück für Stück erarbeiten, dann aber
ergibt jede einzelne Zumutung in den 52 Minuten Sinn. Und alles wird ganz
leicht und warm und anders.
27 Apr 2017
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=5wdrMtKEyZo
[2] https://www.youtube.com/watch?v=gysFuVKkgLg
## AUTOREN
Jens Uthoff
## TAGS
Mutter
Max Müller
Noise
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