# taz.de -- Konzert von Merzbow in Berlin: Zum Tag des Gehörschutzes | |
> Während anderswo an diesem Abend dem Gehörschutz gehuldigt wird, lärmen | |
> Merzbow, Keiji Haino und Balász Pándi lustvoll in der Elisabethkirche. | |
Bild: Merzbows Masami Akita, Keiji Haino, Balász Pándi | |
Mittwochabend, 20.30 Uhr: Draußen hinter den Fenstern war es noch lange | |
nicht dunkel, als die drei Musiker Merzbow, Haino und Pándi den ehemaligen | |
Altarraum der Elisabethkirche in Mitte durch die Tür betraten, die einst | |
der Pfarrer benutzt haben dürfte. Irgendwann, und dann sehr lange, sollte | |
ihre Musik von den Fußsohlen bis in die Haarspitzen zu fühlen sein, doch | |
begannen die drei zuerst recht sachte. | |
Keiji Haino, silbrige Mähne, schwarze Kluft und Sonnenbrille, spielte auf | |
seiner Gitarre ein noch zartes Motiv, es könnte von einem Strand | |
herübergeweht worden sein. Balázs Pándi, Schnurrbart und T-Shirt der | |
Noiseband Wolf Eyes, leitete auf seinem Schlagzeug fast unmerklich von | |
einem Beckenswing in ein Trommelgrollen über. Merzbow, bürgerlicher Name | |
Masami Akita, entlockte seinem elektronischen Instrumententisch einen | |
stetig anwachsenden Bohrton. Zeit, sich noch einmal umzusehen. | |
Die Elisabethkirche ist im Grunde eine behutsam sanierte Weltkriegsruine, | |
die Wände unverputzt, aus dem Backstein unter den Fenstern ragen | |
Stahlträger. Auch Merzbow trug Stahl. Nämlich ein selbst gebautes | |
Instrument, eine Art Gitarre aus einer alten metallenen Filmrolle, über die | |
Saiten gespannt sind. | |
Bei den Saiten handelt es sich um Metallfedern, und so klingen sie auch. | |
Längst spielte die Musik nicht mehr am Strand, sondern auf einer außer Rand | |
und Band geratenen Party in einer Schmiede. Passend dazu wurde es | |
allmählich dunkler. Die Bäume hinter den Fenstern konnten das Tempo nicht | |
halten, doch schaukelten sie einen beruhigenden Kontrapunkt. Das alles | |
passierte übrigens an dem Tag, der in den USA als „National Save Your | |
Hearing Day“ begangen wird. Der 31. Mai ist dort dem Gehörschutz gewidmet. | |
## Sicher klang das laut und schräg | |
Keiji Haino war mittlerweile von der Gitarre zu seinem Instrumententisch | |
gewechselt und entriss den Apparaten ein vielstimmiges Zischen. Später sang | |
er, in einem anfangs geradezu verhaltenen Ton, um dann doch spitze | |
Grindcore-Schreie auszustoßen. Sehr schön auch die Rollenverteilung: Haino | |
gab den Derwisch, Merzbow den Stoiker, Pándi den Berserker. | |
Die Musik geriet zur zuckenden Skulptur. Merzbow hat seinen Künstlernamen | |
dem Merzbau des Dada-Künstlers Kurt Schwitters entlehnt, den dieser in den | |
Zwanzigern in seiner Hannoveraner Wohnung zu errichten begann. Am Ende | |
wucherte das Gebilde in die benachbarten Räume und über das Stockwerk | |
hinaus. Die „Kathedrale des erotischen Elends“ nannte Schwitters sein Werk. | |
Von so einem Elend war nun an dem Abend wenig zu spüren: die Aufführung des | |
japanisch-ungarischen Trios hatte etwas hochgradig Sinnliches. Sicher klang | |
das laut und schräg, alle drei haben sich nicht umsonst ihren Ruf in der | |
Szene erspielt, die mit Begriffen wie Noise, Free Jazz und Industrial | |
umrissen wird. Zahlreiche eigene Platten und Zusammenarbeiten mit Künstlern | |
wie Peter Brötzmann, Zeitkratzer und Thurston Moore zeugen davon. | |
Vergangenes Jahr hat das Trio auf dem Londoner Label RareNoiseRecords sein | |
Album „An Untroublesome Defencelessness“ veröffentlicht. Aber die | |
spielerische Wucht der Musiker ist eben eine spielerische, sie überfährt | |
nicht. Ein Blick in das Publikum in der Elisabethkirche zeigte lächelnde, | |
versonnene und staunende Gesichter. Gut, einer führte die Hand an die | |
Magengegend. Doch auch das hatte nichts Gequältes an sich. | |
21.45 Uhr, nach einer Zugabe, hatte sich dann die Dunkelheit gesenkt. Es | |
war schön in ihr, und der Verkehr mit seinem Lärm draußen auf der | |
Invalidenstraße ein lausiger Popsong. | |
2 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Robert Mießner | |
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