| # taz.de -- Neues Album von David Bowie: Experiment und Erlösung | |
| > Und siehe, das Enigmatische ist zurück: „Blackstar“ ist eines der | |
| > experimentellsten Alben seit Langem. Bowie klingt darauf wie ein Geist | |
| > aus dem Jenseits. | |
| Bild: Das neue Album: Rätselhaft wie seine Augen. | |
| Im Weltall hat sich David Bowie schon immer ganz wohl gefühlt. Man denke an | |
| den Raumfahrer Major Tom, der in Bowies Song „Space Oddity“ in seiner | |
| Blechbüchse durch den Kosmos schwebt und traurig auf die Welt niederblickt: | |
| „Planet earth is blue / And there’s nothing I can do.“ Einige Alben spät… | |
| taucht Major Tom übrigens wieder auf – als Junkie. | |
| Oder an Ziggy Stardust, den Bowie Anfang der siebziger Jahre schuf, einen | |
| menschlichen Avatar mit rötlich-oranger Vokuhila und Klamotten, die die | |
| Welt noch nicht gesehen hatte. Der schien mit seiner Erscheinung nicht nur | |
| die Grenzen von Raum und Zeit wegzufegen, sondern auch läppische Kategorien | |
| wie Geschlechtlichkeit, wie Norm und Normalität. | |
| Als der britische Popstar jüngst mit dem Video zum Song „Blackstar“ ein | |
| neues Album ankündigte, tauchten Motive aus genau dieser Zeit wieder auf. | |
| Ein toter Astronaut auf einem fernen Planeten liegend. Dann als Leiche | |
| durch das Universum gleitend. Mitten im Song hält Bowie inne und singt dann | |
| fast wie zu Zeiten von Ziggy Stardust. Mysteriös, nicht greifbar, | |
| retrofuturistisch wirkt der zehnminütige Clip. Wie Bowie zu seinen großen | |
| Zeiten. | |
| Nun ist das neue Album erschienen, pünktlich zu Bowies 69. Geburtstag. Es | |
| ist schlicht designt, mit einem schwarzen Stern auf dem Cover, und heißt | |
| ebenfalls „Blackstar“. Es hat sieben Stücke und läuft gute vierzig Minute… | |
| Die Eindrücke des Titeltracks trogen nicht: Musikalisch und textlich erlebt | |
| man die Londoner Popikone stark wie sehr lange nicht. | |
| ## Zwischen Pop und Jazz | |
| Auf „Blackstar“ zeigt sich Bowie mit rundum erneuertem Sound. Dafür hat er | |
| sich mit Schlagzeuger Mark Guiliana und Saxofonist Donny McCaslin eine neue | |
| Band zusammengestellt, produziert hat das Album Tony Visconti, der bereits | |
| für das 2013er Album „The Next Day“ verantwortlich war und auch schon in | |
| Bowies Berliner Zeit (1977 bis 1979) mit ihm zusammengearbeitet hat. | |
| Die personellen Wechsel waren wichtig. Guiliana, in Fachkreisen schon lange | |
| ein hoch gehandelter Drummer, spielt zuweilen unglaublich vertrackte, | |
| verstolperte, nervöse Rhythmen, manuell erzeugte Breakbeats. Immer wieder | |
| blitzen seine kleinen Kunstgriffe auf. Saxofonist McCaslin ist mit seinen | |
| Solos für den Jazz- und Chris-Isaak-Faktor zuständig. Bowie singt dazu oft | |
| in höheren Tonlagen, es klingt entrückt – wie ein Geist, der einem aus dem | |
| Jenseits etwas zuflüstert. | |
| Stilistisch gibt es Fusionstücke wie „Sue (Or in A Season Of Crime)“, | |
| minimalistische, vom Gesang getragene Rockkompositionen wie „Lazarus“ oder | |
| Nummern wie „Girls Love Me“, ein rhythmisches Stück mit gregorianisch | |
| anmutendem Gesang, das man so von Bowie noch nicht gehört hat. Aber auch | |
| Stücke, die auf einfachen Gitarrenharmonien basieren. | |
| „Blackstar“ ist das vielleicht experimentellste Album, das Bowie seit | |
| „Lodger“ (1979) gemacht hat. Es ist gut, dass er dafür konventionelle | |
| Songstrukturen hinter sich lässt und Einflüsse aus Free Jazz, Improvisation | |
| zulässt – und es dennoch Popsongs bleiben. Produzent Visconti sagte, | |
| Kendrick Lamars Album aus dem vergangenen Jahr habe als Inspiration | |
| gedient. Auch avantgardistische Alben wie etwa das freejazzige Flying | |
| Lotus-Werk von 2014 haben Spuren hinterlassen. Fans, die von Bowie | |
| eingängige Hits erwarten, sollten daher vielleicht besser die Finger davon | |
| lassen. Aber mal ehrlich: Braucht die Welt wirklich noch mehr von den | |
| Midtempo-Pop-Nummern, zu denen der „bestaussehende Mann der Welt“ | |
| (Einzelmeinungen aus der taz-Kulturredaktion) getragen und etwas pathetisch | |
| singt? | |
| ## Grenzenlos symbolisch | |
| Auf diesem Album gilt es Bowie wieder zu entschlüsseln. Mit dem | |
| „Blackstar“-Video fing das an. Bowie soll gesagt haben, es beziehe sich auf | |
| den IS. Nun ja, möglich. In jedem Fall ist es symbolisch aufgeladen. | |
| Epiphanie, Babylon, Sklaverei, Wahnsinn, Terror, Ritualismus, Erlösung – | |
| nur einige der Sujets, mit denen Bowie da spielt. Bowie hat mal etwas | |
| Bezeichnendes über Werke von William S. Burroughs gesagt, die ihn in den | |
| Siebzigern beeinflussten: „Ich interpretierte alles in sie hinein. Einfach | |
| alles musste grenzenlos symbolisch sein.“ Bei ihm selbst muss es das auch. | |
| Bowie hat das Enigmatische wiedergefunden, das lange seine Faszination | |
| ausmachte. Denn als er 1969 mit „Space Oddity“ reüssierte, als er sich die | |
| siebziger Jahre über stets neu erfand, war er weit mehr als nur ein | |
| Musiker. Wichtige Einflüsse für ihn waren die Ideen Andy Warhols und Lou | |
| Reeds, die Stones, Vaudeville und Kurt Weill, der Pantomimekünstler Lindsay | |
| Kemp sowie das Kabarett der Weimarer Zeit. Aus all diesen Bezügen erwuchs | |
| mit dem überzeichneten, theatralischen Genre Glamrock etwas Neues. | |
| Wenn Victoria Broackes, Kokuratorin der großen Bowie-Ausstellung in London | |
| 2013 ihn als „kulturell wohl wichtigsten und visuell interessantesten | |
| Popmusiker des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, ist da schon etwas dran. Bowie | |
| nahm Stile in Mode und Kunst vorweg. Postgender und Punk schwangen schon in | |
| den frühen Siebzigern bei ihm mit, später weist er auf Postpunk und New | |
| Romantic voraus. Die ab Mitte der Achtziger folgenden Alben waren dann oft | |
| nicht schlecht, aber nicht mehr so dringlich. Erst mit „The Next Day“ klang | |
| er wieder frischer. | |
| Nun, mit Studioalbum Nummer 28, scheint Bowie zu neuen Planeten | |
| aufzubrechen – und die alten Inkarnationsformen seiner selbst auf dem Weg | |
| dorthin zu treffen. | |
| 8 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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