# taz.de -- Wissenschaftler lebt wie David Bowie: „Nur ohne das Koks“ | |
> Ein Jahr lang lebt der britische Kulturwissenschaftler Will Brooker das | |
> Leben von David Bowie nach – Ernährung, Klamotten und Singen inklusive. | |
Bild: Ließ sich für seine Forschung die Augenbrauen zupfen: Will Brooker. | |
taz: Herr Brooker, Sie tragen gerade ein grellblaues Hemd und eine offene | |
Fliege. Welchen David Bowie stellen Sie damit dar? | |
Will Brooker: Den aus den 1980ern. Vergangene Woche kam ich im Jahr 1983 | |
an, ein einschneidender Zeitpunkt für Bowie. | |
Da erschien sein Popmusik-Album „Let’s Dance“, für das er sich wieder mal | |
neu erfunden hatte. | |
Ja, und zu diesem Bowie zu werden, dauerte einen ganzen Nachmittag lang. | |
Ich musste mein Äußeres komplett verändern: Ich ließ mir die Haare blond | |
färben, die Augenbrauen zupfen, die Zähne bleichen und mir einen | |
Ganzkörperbräuner aufsprühen. | |
Das alles gehört zu Ihrem Forschungsprojekt: Ein Jahr lang verkörpern Sie | |
David Bowie, von 1965 bis heute. Sie sind Kulturwissenschaftler, lehren an | |
der Universität Kingston – wieso lesen Sie nicht einfach Bücher wie jeder | |
andere auch? | |
Eigentlich mache ich, was ich immer mache, wenn ich forsche: Ich versuche, | |
mich in andere hineinzuversetzen. Nur dass ich mich jetzt viel körperlicher | |
mit der Materie befasse. Es ist eine Art Auto-Ethnografie: Ich beobachte | |
mich selbst. Es war übrigens nicht als öffentliches Projekt geplant. Das | |
passierte, als die Story in die Medien geriet. Immerhin kann ich nun ein | |
wenig nachempfinden, wie es ist, eine öffentliche Person zu sein. Natürlich | |
auf viel kleinerer Skala als Bowie. | |
Sie ziehen sich also an wie er. Welchen Regeln haben Sie sich noch | |
unterworfen? | |
Erstens: Höre nur Musik, die es bis zu der Zeit gab, in der du dich gerade | |
befindest. Zweitens: Versuche, an die Orte zu gehen, an denen Bowie war, | |
stelle wichtige Auftritte in Performances nach, um diese Momente zu | |
würdigen. Ich lief etwa in Hastings am Strand herum, wo er das Musikvideo | |
für „Ashes to Ashes” drehte, war in Berlin in der Schwulenbar „Anderes | |
Ufer”, neben der Bowie in den 70ern mit Iggy Pop lebte, oder schlug | |
Lokalpolitikern hier in London vor, eine Gedenkpalette am Pub „The Toby | |
Jug” anzubringen, weil er dort seinen allerersten Auftritt als Ziggy | |
Stardust hatte – das ist übrigens nur zehn Minuten von meiner Wohnung | |
entfernt. Bald habe ich auch einen Auftritt als Bowie in einem Club mit | |
seinen Songs aus den 80ern, da werde ich seinen gelben „Let’s Dance“-Anzug | |
tragen. | |
Moment, Sie singen auch? | |
Ja, genau. Ich habe auch extra Gesangsstunden genommen, um Bowies Stimmlage | |
und Stimmumfang besser zu verstehen. Um sein Schaffen und sein Sein so | |
körperlich wie möglich nachzuempfinden, habe ich auch wie er | |
expressionistisch gemalt und wie er in den 70ern eine Zeitlang nur zwei | |
Stunden die Nacht geschlafen. | |
Und haben Sie sich dann auch nur von roter Paprika, Milch und Koks ernährt? | |
Ja – nur ohne das Koks, Drogen sind illegal, ich bin schließlich | |
Hochschuldozent, soweit kann ich nicht gehen. Ich bin trotzdem zu einem | |
dunklen Kern meines Selbst vorgestoßen. Auch weil ich all die Bücher über | |
den Nationalsozialismus und Nietzsche las, mit denen sich Bowie damals | |
befasste. Zum Glück lebte er in den 80ern, also meiner aktuellen | |
„Gegenwart“, gesünder, hat viel weniger getrunken. Mein Kühlschrank ist | |
jetzt voll mit Eiern und Steaks. Und die 70er-Jahre-Klamotten sind auch | |
wieder auf dem Speicher. | |
Gesündere Lebensweise, Anzüge im Schrank: Wie fühlt es sich denn aktuell | |
an, so als 80er-Jahre-Bowie? | |
Dank der großspurigen Klamotten mit den dicken Schulterpolstern fällt es | |
leicht, sehr selbstbewusst und von sich eingenommen zu sein. Mit diesem | |
Look verkörperte er auf einmal einen Geschäftsmann und versuchte, einen | |
„normalen Typen“ darzustellen, so zu tun, als wäre er einer von uns. Motto: | |
„Ich verdiene einfach mein Geld, wie ihr auch.“ Vorher wirkten seine | |
Verkleidungen eher wie: „Ich bin ein Alien und gekommen, um euch alle an | |
einen anderen Ort mitzunehmen.“ Aber letztlich erfüllt der Anzug die | |
gleiche Funktion wie die anderen Kostüme: Er ist ein Schutzschild. | |
Wieso haben Sie sich eigentlich David Bowie ausgesucht? | |
Ganz simpel: Für ein Buch zu forschen und es zu schreiben, brauche ich im | |
Schnitt drei Jahre. Und weil ich so viel Zeit investiere, suche ich mir | |
immer ein Thema, für das ich mich leidenschaftlich begeistern kann. 1983, | |
als „Let’s Dance“ erschien, war ich 13: Seit diesem Album habe ich Bowie | |
für mich entdeckt. Und nun versuchte ich, mich Bowies Schaffen | |
wissenschaftlich zu nähern, habe alle Bücher gelesen, alle Songtexte | |
studiert – und kapierte auf einmal: Du kannst ihn nie ganz verstehen, wenn | |
du nicht selbst weißt, wie es ist, all dieses Make-up und diese Kostüme zu | |
tragen. | |
Bowie ist berühmt dafür, dass er stets in neue Rollen schlüpft. Was immer | |
wir von ihm zu sehen und hören bekommen: Er stellt immer jemanden dar. Ist | |
also diese Verkörperung der einzige Weg, sich ihm zu nähern? | |
Es gibt mir zumindest eine bessere Ahnung von ihm. Wenn man sich wie ich | |
ein Jahr lang in das Leben eines Mannes vertieft, Hunderte Interviews | |
angeschaut hat, entdeckt man bestimmte Muster. | |
Zum Beispiel? | |
Das kann ich doch nicht verraten – das wird im Buch stehen! Nur so viel: | |
Man entdeckt Leitmotive, Veränderungen. | |
Ihre Doktorarbeit schrieben Sie über Batman. Noch so ein Typ, der sich | |
hinter Masken und seinem Alter Ego versteckt. | |
In der Tat sind er und Bowie sehr ähnliche Figuren. Auch Bowie ist | |
letztlich eine fiktionale Konstruktion: Wir kennen ihn ja nicht. Natürlich | |
lebt er und macht gerade vermutlich irgendwas Normales, trinkt Kaffee, | |
frühstückt. Aber er ist ein kulturelles Konstrukt, eine Ikone. Und ich | |
schaue mir an, wie sich solche Ikonen über eine gewisse Periode verändern. | |
Man muss es so sagen: Er hat sich selbst zum Kunstwerk gemacht. | |
Ein Blick auf die Social-Media-Kanäle reicht, um zu sehen: Alle erfinden | |
sich heute dauernd selbst. War Bowie uns allen voraus? | |
Er praktiziert es zumindest viel extremer als wir alle. Und er bringt uns | |
zum Nachdenken: über die Masken, die wir jeden Tag tragen, und über unsere | |
Performances, mit denen wir eine Version von uns darstellen. Anders als die | |
Ära, in der ich mich derzeit aufhalte, dokumentieren heute Popstars ihr | |
komplettes Leben auf allen Kanälen selbst, auf Facebook, auf Twitter. Es | |
ist total normal geworden, täglich zu sehen, was Taylor Swift so macht. | |
Indem Sie ihn verkörpern, weiten Sie den Kult um ihn aus. Keine Angst, dass | |
das zur Hagiografie wird? | |
Nein, definitiv nicht. Und ich feiere ihn mit dem Buch ja nicht: Er hat | |
meiner Einschätzung nach eine Menge schlechte Eigenschaften – das hätte ich | |
vor meinem Projekt nicht vermutet. | |
Was meinen Sie damit? | |
In den 70ern und 80ern hat er viele Leute für seine Alben eingespannt und | |
danach nie wieder kontaktiert. Sein Impuls zum Selbstschutz schlug um, er | |
war so auf der Hut, dass er manchmal paranoid, feindselig, kalt wurde. | |
Und? Sie auch? | |
Ja, einige der Menschen in meinem Umfeld haben meine Kälte zu spüren | |
bekommen. Genau darum habe ich das Thema so lange vor mir hergeschoben: Ich | |
wollte nicht herausfinden, dass Bowie ein Mistkerl ist. Aber mein Vergnügen | |
an ihm ist nun eben komplexer. Sorry, ich muss mich jetzt umziehen. Ich | |
habe nachher Vorlesung, dafür muss ich noch das grellrote Outfit aus dem | |
Video zu „Glass Spider“ anziehen. Meine Studenten werden sich freuen. | |
22 Nov 2015 | |
## AUTOREN | |
Anne Haeming | |
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