# taz.de -- David Bowie und sein Nachlass: So distanziert, so sonderbar intim | |
> David Bowies Originalität ist pures Rock-’n’-Roll-Drama, eine | |
> Inszenierung von Pop als romantischer Vorstellungswelt. Er bleibt | |
> unsterblich. | |
Bild: Erst vor wenigen Tagen, an seinem 69. Geburtstag, erschien Bowies neues, … | |
BERLIN taz | Unter der Überschrift „Guide to the Cults“ verzeichnete eine | |
britische Zeitung in den siebziger Jahren sechs Jugendkulturen und ihre | |
Stilmerkmale. Darunter: Punks (“Wollen durch ihr Äußeres provozieren“) od… | |
Mods (“Sehen makellos aus, tragen Mohair-Anzüge“). Nur ein Kult klingt | |
heute bizarr und ausgedacht: „Bowies“ (“Imitieren David Bowie mit Klamott… | |
und Musikgeschmack“). Erscheint es doch als Ding der Unmöglichkeit, diesen | |
Bowie zu imitieren. | |
Es gibt ihn in so vielen verschiedenen Ausführungen, da könnte man auch | |
gleich ein Chamäleon nachahmen und würde ihm doch nicht annähernd gerecht: | |
Will man der modernistische Bowie aus der Ära des Swinging London der | |
mittleren Sechziger sein? Oder der archetypische Glamrocker aus den frühen | |
Siebzigern? Das angsteinflößende Geräuschgulasch aus dem Berlin der späten | |
Siebziger? Oder der discoide Soulboy aus den frühen Achtzigern? Das | |
windschiefe Drum-’n’-Bass-Ungetüm aus den Neunzigern? Oder doch eher die | |
museumsgerechte Ikone aus den Zehnerjahren? | |
Kein Popstar hat ähnlich viele Imagewechsel erfolgreich durchlaufen und ist | |
trotzdem sofort erkennbar immer er selbst geblieben wie der britische | |
Künstler David Bowie. Seine Songs sind behutsam und mit dem Sinn fürs | |
Detail arrangiert, [1][nehmen wir nur mal das fanfarenhafte „Let’s Dance“… | |
Oder sie rocken auf genial simple Weise wie „Rebel Rebel“. Sie sind | |
stilistisch so wandelbar wie Bowies Stimme, zu Herzen gehend, mitunter | |
spröde. Sie sind eingängig und theatralisch wie „Space Oddity“. Oft ist es | |
Bowies Stimme, die verletzlich klingt, die Schwäche suggeriert und gerade | |
deshalb so mächtig wirkt. | |
„Changes are taking the pace I’m going thru“, kündigt er in „Changes�… | |
dem äußerst eleganten, flügelschlagenden Auftaktsong seines Albums „Hunky | |
Dory“ von 1971, das ihn zum Star machte. | |
## Die Flamme der Jugend am Brennen halten | |
Unnachahmlich frech stotternd, aber auch mit [2][stolzgeschwellter Brust | |
feiert er im Refrain die „Ch Ch Ch Ch, Changes“], die Schönheit der Jugend, | |
aber singt gleichzeitig auch schon von der Schwierigkeit, diesen Moment | |
festzuhalten, die Flamme am Brennen zu halten. Ein Umstand, der ihn | |
zeitlebens beschäftigt hat, ihn immer wieder zu Höchstform antrieb. | |
Bowies Originalität ist pures Rock-’n’-Roll-Drama, eine glaubwürdige | |
Inszenierung von Pop als romantische Vorstellungswelt. Alles ist | |
vergänglich, bewahrt die Erinnerung irgendwie auf: Als einer der ersten | |
Künstler veröffentlicht Bowie mit „Pin Ups“ ein Album ausschließlich mit | |
Coverversionen von Songs der Helden seiner Jugend: Er setzte dem Beat von | |
Them, The Who, The Kinks damit ein frühes Denkmal. „ Love-on ya!“ schreibt | |
er auf der Rückseite des Covers. | |
Mit „Hunky Dory“ und dem 1972 veröffentlichten „Ziggy Stardust“ wird B… | |
dann selbst zum Weltstar. Kommerziell erfolgreich, aber auch künstlerisch | |
kompromisslos, setzt er nun seine flamboyante Vision bis in die | |
internationalen Charts durch. „Ist eine Zivilisation nicht dem Untergang | |
geweiht, wenn sie die Massen erreicht“, fragte der Altertumshistoriker | |
Michael Rostovzeff in seinem Grundlagenwerk „The Social and Economic | |
History of the Roman Empire“ mit Blick auf den Untergang des Alten Rom. In | |
der Welt des Pop hat das Vulgäre nicht zum Untergang geführt, das hat David | |
Bowie in vielen Momenten seiner Karriere sehr wirkmächtig vorgemacht. | |
„Sobald man bei einem Major Label unter Vertrag steht, wird man Teil der | |
Welt der Plattenmultis. Dieser Umstand hat weder meine Art des Songwritings | |
noch meine Art der Performance beeinträchtigt“, sagte er einmal. | |
## Geschlechtliche Ambivalenz | |
Bowie hielt sich auch deshalb so lange in der dünnen Luft des Pop, weil er | |
es in seinen Songs verstand, gleichzeitig distanziert zu sein und eine ganz | |
sonderbare Intimität herzustellen, mit seinen Songs im Wortsinn den Hörern | |
die Hand zu reichen: „Time takes a cigarette /Puts it in your mouth“, singt | |
er in „Rock ’n’ Roll Suicide“, dem glorreichen Finale von „Ziggy Star… | |
„You’re not alone / Gimme your Hands“, lautet der ad infitinitum | |
wiederholte Refrain. | |
Bowie war auch der erste Popstar, der für sich selbst Rollen ausdachte und | |
Maskeraden entwickelte, die seine Hörer nachhaltig prägten. Bowie trug gern | |
weißes Make-up. 1973 hatte er seine Haare in Alien-Karotten-Orange gefärbt, | |
oben mit Igelstacheln und unten standen die langen Spitzen als Fransen ab. | |
Auf dem Frontcover von „Hunky Dory“ imitiert er eine durch ein Foto von | |
Edward Steichen berühmt gewordene Pose von Greta Garbo, mit Rouge und | |
Lippenstift, eher Frau als Mann. Das unterstreicht Bowies geschlechtliche | |
Ambivalenz. Er war der erste Popstar, der von sich selbst sagt, er sei | |
bisexuell. Auf der Rückseite von „Hunky Dory“ ist er wiederum in einer | |
unscharfen Fotografie zu sehen, die Haare halblang, dazu ein weißes Hemd | |
und eine beige Leinenhose, in der rechten Hand eine Kippe, eher Maler als | |
Popstar. | |
[3][Für seinen ersten Hit „Space Oddity“ von 1969] schlüpfte er in einen | |
Raumanzug und verkörperte den „Major Tom“, der die Fortschrittsgläubigkeit | |
im Zeitalter der Mondlandung kritisch hinterfragt. Dieses Performancehafte | |
und Neugierige wurde stets auch als Einladung verstanden, von Fans auf der | |
ganzen Welt, ihm und seinen Richtungswechseln zu folgen. | |
Am vergangenen Freitag, dem Tag seines 69. Geburtstags, erschien Bowies | |
neues, 28. Album „Black Star“. Groß war die Freude über einen abermaligen | |
Richtungswandel hin zu einem scharf konturierten und experimentierfreudigen | |
Album mit Jazz-Anleihen. Nur wenige Tage danach ist er in Los Angeles einer | |
Krebserkrankung erlegen. Als Popstar bleibt er unsterblich. | |
11 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=N4d7Wp9kKjA | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=xMQ0Ryy01yE | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=cYMCLz5PQVw | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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