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# taz.de -- Bowie-Musical in London: Tja, die Musik hält bei Stange
> Unterhaltsame Momente, musikalisch okay. Aber ohne großes Vorwissen zu
> Bowies zentralen Themen bleibt das Musical „Lazarus“ unverständlich.
Bild: Schräge Mixtur aus Avantgardetheater und Jukebox-Musical
London taz | Es war der dritte Song des letzten Albums von David Bowie, der
im Nachhinein schon sehr nach Abschied klang. „Lazarus“, so der Titel,
schien sich dem Hörer augenblicklich zu erschließen, als Bowie zwei Tage
nach Veröffentlichung des Albums („Blackstar“) am 10. Januar dieses Jahres
starb. Darin dichtet der Popstar: „Look up here, I’m in heaven / I’ve got
scars that can’t be seen / I’ve got drama, can’t be stolen / Everybody
knows me now.“
Doch es war kein Requiem für sich selbst, das Bowie da geschrieben hatte.
Zumindest vordergründig legte er die Worte einer Figur in den Mund, in die
er schon Jahre zuvor geschlüpft war: Thomas Jerome Newton, jenem humanoiden
Alien, den er 1976 in dem Film „Der Mann, der vom Himmel fiel“ gespielt
hatte. Bowie erzählte später oft, dieser Newton sei eine Art
Seelenverwandter. Noch Jahrzehnte später verfolgte ihn die Idee, Newtons
Geschichte weiterzuerzählen – als Musical.
Dies hat er auch getan – und das Bühnenstück mit „Lazarus“ ebenfalls na…
der biblischen Figur benannt, die vom Tode erweckt wurde. Die Premiere in
New York vergangenen Winter erlebte Bowie noch, derzeit ist das Stück, eine
schräge Mixtur aus Avantgardetheater und Jukebox-Musical, in London zu
sehen – in einem Pop-up-Theater hinter dem Bahnhof Kings Cross.
Die Rechte an der Bühnenfassung von Walter Tevis’ Science-Fiction-Erzählung
„The Man Who Fell to Earth“ hatte Bowie bereits 2005 erworben. Mit dem
irischen Dramatiker Enda Walsh schrieb er das Script, der belgische
Regisseur Ivo Van Hove choreografierte das Stück.
Im Londoner Theater kann man nun einen kaum gealterten Newton erleben, der
in einem beigefarbenen Zimmer zwischen Bett und mit Gin gefülltem
Kühlschrank vor sich hin vegetiert. Mehrere Figuren zerren an ihm herum:
Ein Mädchen zwischen Tod und Leben verspricht ihm Erlösung (die er am Ende
auch findet), ein sinistrer Charakter namens Valentine will die Liebe
torpedieren. Und dann ist da noch Newtons Assistentin Elly. Seltsamerweise
verknallt sie sich in den desolaten Newton und nimmt langsam die Gestalt
von Mary-Lou an – der Frau, die ihm einst das Herz gebrochen hat.
## Weder intellektuell noch emotional packend
Das ist nicht das Einzige, was an diesem Stück unverständlich ist. Vieles
wirkt un- bis übermotiviert. Jedenfalls hat man weitaus mehr Spaß, wenn man
es unterlässt, Sinnzusammenhänge herstellen zu wollen. Wenn man also das
Bühnenbild nicht als Newtons Zimmer begreift, sondern als geistigen Raum,
in dem alles möglich ist.
Immerhin gibt es unterhaltsame Momente und auch ein gelegentliches
Augenzwinkern der Hauptfigur – anders als bei dem stark selbstmitleidigen
Newton in der damaligen Filmfassung des Regisseurs Nicolas Roeg. Das
Grundproblem wird dadurch jedoch nicht gelöst: dass „Lazarus“ die Zuschauer
weder intellektuell noch emotional packen will. Alles bleibt irgendwie
hinter Milchglas – zumindest wenn man kein allzu großes Vorwissen über
Bowies zentrale Themen Entfremdung, Isolation, gestohlene Identitäten und
Weltraum mitbringt.
Wenigstens hält einen die Musik bei der Stange – was nach dem Hören des
jüngst erschienenen Soundtracks nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre.
Darin ist kaum eine Neuinterpretation zu finden, die man ein zweites Mal
hören muss.
## Der theatralischste aller Rockstars
Auf der Bühne wirken die Songs lebendiger. Neuere Stücke wie „Where Are We
Now“? oder das titelgebende „Lazarus“ funktionieren gut, überhaupt ist es
deren Interpret, Hauptdarsteller Michael C. Hall, der überzeugt. Sogar
seine stimmlichen Qualitäten ähneln denen Bowies. Das ändert nichts daran,
dass etwa „Life On Mars“ wie ein aufdringlicher Torch Song daherkommt.
Erstaunlich ist, wie lange Bowie gebraucht hat, um ein Musical
fertigzustellen – erste Anläufe hatte es bereits Anfang der siebziger Jahre
gegeben. Das Theater in seinen unterschiedlichsten Facetten – vom
japanischen Kabuki über die britische Music-Hall-Tradition bis zu Brecht,
den Bowie verehrte – hatte schließlich großen Einfluss auf den
theatralischsten aller Rockstars.
Offenbar ging es Bowie am Ende generell darum, rote Fäden seines Schaffens
noch einmal aufzunehmen. Die Frage, was er von dem Musical hielt, ist wohl
durch seine intensive Mitarbeit beantwortet. Selbst als er schwer krank
war, nahm er angeblich noch per Webcam an den Proben teil. Gemessen an dem,
was Bowie in seinen letzten Jahren noch produzierte, ist dieses Musical
kein allzu großer Wurf – eher ein fast lakonisches Postscript zu seinem
durchorchestrierten Abschied von der Welt. Ausgerechnet mit der
Weitererzählung seines Alien-Alter-Egos erinnert Bowie daran, dass er doch
nur ein Mensch war.
20 Nov 2016
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
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