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# taz.de -- Neuer Therapieansatz bei Angststörungen: „Schnell und effektiv b…
> Angststörungen lassen sich effektiver behandeln, wenn man die Therapie
> schnell beginnt und verdichtet, sagt Jan Richter von der Universität
> Hildesheim.
Bild: Erwischt etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung mindestens einmal im Leb…
taz: Herr Richter, sind Angststörungen ein gesellschaftliches Randphänomen?
Jan Richter: Nein, im Gegenteil. Wir wissen, dass [1][Angststörungen] zu
den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören. Nach wissenschaftlichen
Untersuchungen gehen wir davon aus, dass etwa ein Drittel der
Gesamtbevölkerung einmal im Leben eine Krankheitsepisode durch eine
Angststörung hat.
Werden psychische Krankheiten vererbt?
Wir versuchen die Entstehung einer Angststörung als teilweise durch
Veranlagung, teils durch äußere Faktoren bestimmt zu erklären, in einem
Diathese-Stress-Modell. Dieses Modell beschreibt das Zusammenwirken
verschiedener Faktoren bei der Entstehung psychischer Krankheiten. Dafür
gehen wir von Risikofaktoren aus. Das heißt, wir alle tragen Anteile in uns
und dadurch ein Risiko, irgendwann an einer psychischen Erkrankung zu
leiden. Dieses Risiko interagiert dann mit stressigen Lebensereignissen als
unmittelbare Auslöser. Das kann vom Schulwechsel bis zum Verlust der
Arbeitsstelle oder dem Verlust eines Verwandten reichen. Wir gehen davon
aus, dass etwa 50 Prozent des Risikos genetisch bedingt und die anderen 50
Prozent auf psychosozialen Lebenserfahrungen zurückzuführen sind.
Sind Angststörungen heilbar?
Ja, auf jeden Fall. Leider erreichen wir aber mit den Behandlungsmethoden,
die wir im Moment haben, noch nicht alle, aber der überwiegende Teil kann
geheilt werden oder erlebt eine substanzielle Reduktion der Beschwerden und
damit die Möglichkeit, am Leben wieder teilzunehmen.
Wie lange warten Betroffene derzeit auf einen Therapieplatz?
Erfahrungsgemäß kann es von mehreren Monaten bis zu einem Jahr dauern. Das
ist selbst bei den universitären Hochschulambulanzen so, die zusätzlich zur
Regelversorgung Angebote haben.
Jetzt haben Sie eine neue Therapiemethode mitentwickelt. Was ist anders?
Wir haben das bereits bekannte Vorgehen der Expositionstherapie weiter
optimiert. Grundsätzlich geht es bei der neuen Methode um den Abbau von
Vermeidung, aber auch um die Überprüfung von Erwartungen. Konkreter heißt
das, dass wir versuchen, Situationen zu kreieren, die Angst auslösen
können, ohne dass die von den Patient*innen erwarteten Konsequenzen
eintreten. Das nennt sich auch korrektives Lernen, sodass solche
Situationen wieder aufgesucht oder zumindest nicht aktiv gemieden werden.
Zusätzlich haben wir untersucht, ob eine zeitlich intensivierte
Vorgehensweise effektiver ist.
Sie sind auf eine Behandlungsdauer von sechs Wochen gekommen, warum?
Das war eine pragmatische Entscheidung. Wir haben überlegt: Wie kann man im
ambulanten Setting so effektiv arbeiten, dass Patienten schneller als
bisher nachhaltige Erfolge erzielen? Das heißt, wir arbeiten mit zwei
Therapiesitzungen am Stück und mit zwei Therapiesitzungen pro Woche. Diese
24 Sitzungen verteilen wir auf zwei Doppelsitzungen pro Woche und kommen
auf insgesamt sechs Wochen.
Wie war Ihre Studie aufgebaut?
Wir haben unsere Methode über mehrere Jahre untersucht und
weiterentwickelt. Das geschah in mehreren Projektphasen in zwei
deutschlandweiten und interdisziplinären Forschungsverbünden, die durch das
Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wurden. In diesem
Rahmen haben wir über 1.200 Patienten behandelt und wissenschaftlich
begleitet. In der letzten Studie waren es 729 Patienten.
Um welche Art Angststörungen ging es da?
Wir haben uns auf vier Angststörungen fokussiert: die spezifische Phobie,
die [2][Panikstörung], die Agoraphobie und die soziale Angststörung. Dabei
durften Patienten nicht akut suizidgefährdet sein, keine
Abhängigkeitserkrankung haben und nicht psychotisch sein. Psychotisch
heißt, dass sie weitere Störungsbilder haben, etwa aus dem Bereich der
Schizophrenie oder der [3][Bipolaren Störung], wo Objektivität in der
Wahrnehmung verloren geht, weil die Patienten Halluzinationen oder
Wahnzustände haben.
Und wie prüfen Sie den Behandlungserfolg?
In erster Linie messen wir den Erfolg anhand der Symptomreduktion.
Klassischerweise befragen wir die Patient*innen vor der Therapie,
nutzen aber auch klinische Interviewverfahren, wo wir als Expert*innen
die Symptome einschätzen und nach Häufigkeit und Intensität kategorisieren.
Dasselbe machen wir nach der Therapie nochmal. Die Forschung geht aber
mittlerweile einen Schritt weiter. Was wir zunehmend auch berücksichtigen,
sind die Prozesse und Wirkmechanismen, die relevant sind. Das heißt: Wie
stark wurden Erwartungen oder Befürchtungen, dass Angst eintritt, verletzt
und wie trägt dies zur Symptomreduktion bei.
Wie nachhaltig ist der Erfolg?
Tatsächlich hatten wir bisher viele Daten über kurzfristige Effekte, und es
blieb offen, wie nachhaltig diese Effekte sind. Deswegen war es uns in der
großen Therapiestudie ein Anliegen, eine sogenannte Langzeitkatamnese,
einen langfristigen Ergebnisbericht, zu erstellen. Wir haben also alle
Patienten angefragt, ob sie mehrere Jahre nach Therapieende nochmal
Auskunft über ihre psychische Gesundheit geben wollen. Und im Schnitt
zeigen sich sehr stabile Behandlungserfolge, auch nach fünf und mehr
Jahren.
Welchen Unterschied machen nun diese Ergebnisse?
Die Idee ist: Wenn wir Patient*innen schneller effektiv behandeln
können, werden nicht nur ihr Leid und ihre psychosoziale Beeinträchtigung
schneller reduziert, sondern zugleich viele indirekte Krankheitskosten –
zum Beispiel durch Arbeitsausfall oder, bei Chronifizierung, teure
Krankenhauskosten.
27 Jun 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Nur Maulawy
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