| # taz.de -- Neue Szenarien zur Klimaneutralität: Mehr Tempo, mehr Geld | |
| > Der Weg zur Klimaneutralität 2045 ist weit, sagt die Wissenschaft. Heißt: | |
| > Das Ausbautempo beim Ökostrom muss sich bis 2030 verdreifachen. | |
| Bild: Braucht es künftig sehr viel mehr: Windräder in Deutschland | |
| Berlin taz | Wann und wie SPD, Grüne und FDP bei ihren Sondierungen für | |
| eine neue Regierung über die Klimaziele reden, ist derzeit ein gut | |
| gehütetes Geheimnis. Was sie allerdings an Maßnahmen beschließen müssen, um | |
| das gesetzlich fixierte Ziel von Klimaneutralität 2045 anzupeilen, das hat | |
| ihnen am Montag eine Gruppe von Forschungsinstituten und Thinktanks | |
| indirekt auf den Verhandlungstisch gelegt. | |
| Es zeigt sich: die Aufgabe ist gewaltig: Die Öko-Energien müssen viel | |
| schneller viel größer ausgebaut werden als bisher geplant; die CO2-Preise | |
| für Verkehr und Gebäude müssen rasant steigen; und trotzdem werden in den | |
| nächsten Jahren die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes (KSG) kaum erfüllt | |
| werden. „In der Politik wird oft noch unterschätzt, wie tiefgreifend der | |
| notwendige Umbau zur Klimaneutralität 2045 ist“, sagte Gunnar Luderer, | |
| Vize-Leiter der Abteilung Transformationspfade am Potsdam Institut für | |
| Klimaforschung (PIK) und einer der Hauptautoren der [1][Studie „Deutschland | |
| auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045“]. | |
| In diesem „Ariadne“-Projekt, finanziert vom Bundesforschungsministerium, | |
| haben etwa ein Dutzend Forschungsinstitute und über 50 AutorInnen | |
| gearbeitet. Sie haben zum ersten Mal zehn Modelle und sechs Szenarien | |
| verglichen, wie Deutschland sein selbst gestecktes Ziel der „grünen Null“ | |
| erreichen kann. Denn bislang beschreibt etwa das KSG nur das Ziel, nicht | |
| den Weg: Wo soll der grüne Strom herkommen? Was ist der günstigste Weg zur | |
| Klimaneutralität? | |
| Die Botschaft an die nächste Regierung ist trotz mancher Unsicherheiten und | |
| Unterschiede klar: Es muss sehr schnell sehr viel passieren. Einige | |
| Beispiele: Das Ausbautempo von Wind- und Sonnenstrom muss sich bis 2030 | |
| verdreifachen, und 35 Prozent der bisher genutzten Energie müssen über | |
| bessere Effizienz und Elektrifizierung eingespart werden. CO2-Speicher im | |
| Wald, aber auch in der technischen Lagerung wie beim umstrittenen CCS | |
| müssen eine Rolle spielen. | |
| Schon bis 2030 müssen nicht nur etwa 10, sondern etwa 14 Millionen E-Autos | |
| auf den Straßen rollen und die Sanierungsrate bei Gebäuden auf 1,5 bis 2 | |
| Prozent im Jahr praktisch verdoppelt werden. Flächendeckend müssen 5 | |
| Millionen Wärmepumpen als Heizung dienen und 1,6 Millionen Gebäude an die | |
| Fernwärme angeschlossen werden. Die Industrie braucht schnell grünen | |
| Wasserstoff und Preise, die Strom gegenüber Erdgas bevorzugen. Alle diese | |
| Ziele seien „extrem herausfordernd“ und nur mit „massiven Investitionen u… | |
| zusätzlichen politischen Maßnahmen“ in praktisch allen Sektoren zu | |
| schaffen, heißt es. | |
| Klar wird aber auch: Der Verkehr und die Gebäude werden die Sorgenkinder | |
| bleiben, die ihre Vorgaben im KSG kaum erfüllen – umso mehr müsse dann die | |
| Stromwirtschaft erbringen. Höhere Preise im EU-Emissionshandel würden dazu | |
| führen, dass der Kohleausstieg bereits etwa 2030 komme, worauf sich die | |
| Politik vorbereiten müsse. Und bei Verkehr und Gebäuden zeigen die | |
| Modellrechnungen, dass neben anderen Instrumenten die CO2-Preise massiv | |
| steigen müssen, wenn die Klimaziele in Reichweite bleiben sollen: für 2025 | |
| auf 100 Euro pro Tonne statt wie bisher geplant 55 Euro; 2030 bereits auf | |
| 300 Euro und 2045 auf 500 Euro. Das müsse die Politik „sozialverträglich | |
| gestalten“. | |
| ## Rückzahlung über Strompreissenkung | |
| Wie das aussehen könnte, zeigte am Montag unabhängig von den | |
| „Ariadne“-Ergebnissen eine [2][Studie des Leibnitz Instituts für | |
| Wirtschaftsforschung RWI und des PIK] Demnach sollte zuerst der Strompreis | |
| deutlich gesenkt werden, um ärmere Haushalte stärker zu entlasten. Bei | |
| weiter steigenden Preisen sollte eine Rückzahlung an alle BürgerInnen den | |
| „sozialen Sprengstoff“ daraus entschärfen. Mit dem Geld wie bisher die | |
| Pendlerpauschale oder Subventionen für E-Autos zu finanzieren, sei | |
| „insgesamt ungeeignet“, hieß es. RWI-Präsident Christopf M. Schmidt sagte: | |
| „Ob die Bevölkerung höhere CO2-Preise mitträgt, wird entscheidend davon | |
| abhängen, wie die Einnahmen aus der Bepreisung verwendet werden.“ | |
| 69 große Unternehmen jedenfalls haben [3][am Montag ebenfalls Druck | |
| gemacht] Von einer neuen Regierung bräuchten sie „unbedingt politische | |
| Rahmenbedingungen, die klimafreundliche Technologien wirtschaftlich | |
| machen“, erklärten Konzerne wie Adidas, Eon, Heidelberg Cement, Rewe, Puma, | |
| die Otto Group oder die Salzgitter AG. Nötig seien eine | |
| „Umsetzungsinitiative“ für die ersten 100 Tage, eine Reform der Steuern und | |
| Abgaben, mehr Ökostrom, schnellere Genehmigungen und eine Vorbildfunktion | |
| der öffentlichen Hand. | |
| 11 Oct 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://ariadneprojekt.de/publikation/deutschland-auf-dem-weg-zur-klimaneut… | |
| [2] https://www.rwi-essen.de/presse/mitteilung/452/ | |
| [3] https://www.stiftung2grad.de/umsetzungsoffensive-klimaneutralitaet-7176 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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