Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- CCS-Technologie gegen den Klimawandel: Begraben in der Tiefe des Ge…
> In der Klimakrise will Island massenhaft CO2 einsammeln und als festes
> Material im Vulkanboden einlagern. Kann das gelingen? Ein Besuch.
Bild: Anlage der Firma Carbfix in Island, die dort unterirdisch Kohlendioxid sp…
Eisiger Wind bläst über die Gerölllandschaft, die sich bis ins Endlose
auszudehnen scheint. Nebelschwaden ziehen an drei kleinen stählernen
Kuppeln vorbei, die an Raumkapseln erinnern.
In einer von ihnen steht Edda Sif Aradóttir und deutet auf ein Rohr, das in
die Kuppel hineinragt, dort in einem 90-Grad-Winkel abknickt und im
Erdboden verschwindet. Was dort in Schwefelwasserstoff gelöst bis zu 800
Meter tief hinabrauscht, ist ein Molekül, das sich [1][zum Hauptproblem der
Menschheit entwickelt] hat: Kohlendioxid. „Wir müssen einen Weg finden,
einen Großteil des CO2 zu eliminieren, das wir derzeit ausstoßen“, sagt die
Chefin von Carbfix, einem isländischen Unternehmen, das genau das in großem
Stil vorhat. „Und zwar jetzt und nicht erst in ferner Zukunft.“
Wenn ab dem 31. Oktober [2][Diplomaten aus aller Welt den Weltklimagipfel
in Glasgow einläuten], geht es auch um eine Kurskorrektur: Die Länder der
Welt wollen sich ehrgeizigere Klimaschutzpläne geben, um die Ziele des
Pariser Klimaabkommens noch zu erreichen, also die Erderhitzung auf
möglichst 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
Das aber, so geht es aus dem ersten Teil des neuen Weltklimaberichts
hervor, sei eigentlich gar nicht mehr zu schaffen; schließlich stünden wir
schon bei 1,2 Grad und noch über Jahrzehnte wird die Welt massenhaft
Emissionen ausstoßen. Nur eine Möglichkeit gebe es noch, das Ziel zu
erreichen und bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu werden: Ein
beträchtlicher Anteil der Treibhausgase muss wieder raus aus der
Atmosphäre.
## Beutel in der Lavalandschaft
Ein paar Hundert Meter von der Stahlkuppel entfernt prangt in der
Lavalandschaft im Südwesten Islands ein weiteres futuristisches Bauwerk,
das wie ein übergroßer leerer Würfel aussieht. An dessen Seitenwänden
hängen Dutzende riesige Beutel. In regelmäßigen Abständen stellen sie sich
horizontal auf, um dann wieder zu erschlaffen.
Wie bei umgedrehten Ventilatoren saugt ein Gebläse die Umgebungsluft an und
presst sie durch Filter aus Zellulose. Diese sind beschichtet mit einer
Flüssigkeit, die CO2 in Form von Salzen bindet. Durch Erwärmung auf 100
Grad löst sich dieses vom Filter, wird abgesaugt und in Pipelines
abtransportiert. Das angrenzende Geothermiekraftwerk Hellisheiði liefert
dafür Strom und Wärme.
Ein junger Mann, mit Warnweste und Schutzhelm bekleidet, schreitet in die
Mitte der Anlage und ruft gegen das Dröhnen der Maschinen an. „Hier atmen
wir Luft wie zu vorindustriellen Zeiten“, sagt Kári Helgason, Leiter der
Forschungsabteilung von Carbfix.
Im September ging die CO2-Filteranlage der Schweizer Firma Climeworks in
Betrieb, es ist die weltweit größte ihrer Art. 4.000 Tonnen Kohlendioxid
soll sie pro Jahr der Luft entziehen, was im Vergleich zum weltweiten
Ausstoß nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Ab dem Jahr
2030 sollen es, wenn alles nach Plan läuft, schon mehrere Millionen Tonnen
CO2 sein, die Module lassen sich beliebig aufstocken. Schon heute zahlen
Audi und Microsoft dafür, ihre Emissionen auszugleichen, aber auch die
britische Band Coldplay – für eine klimaneutrale Tournee. „Wir müssen die
Emissionen herausfiltern, um für unsere Sünden zu bezahlen“, sagt Helgason.
## Umstrittene Technologie
Auch anderswo auf der Welt laufen Pläne, CO2 unter die Erde zu pressen. In
den meisten Fällen allerdings kilometertief unter den Meeresboden, um sie
in ehemaligen Öl- und Gasreservoirs zu speichern. [3][In Deutschland ist
diese Variante der Carbon Capture and Storage-Technologie (CCS)
hochumstritten] – nicht zuletzt aufgrund des Restrisikos, dass das Klimagas
irgendwann wieder an die Oberfläche entweichen könnte.
In Island stellt sich diese Frage nicht. Schon seit 2014 wird dort CO2 in
den Basaltboden eingelagert – am Anfang stammte es aus dem benachbarten
Geothermiekraftwerk, wo es als Nebenprodukt anfällt. Das nunmehr direkt aus
der Luft gefilterte und in Wasser gelöste Treibhausgas fließt durch eine
Pipeline ins Stahliglu von Edda Aradóttir und weiter in den Untergrund.
Was dort passiert, klingt fast zu gut, um wahr zu sein: In gerade mal zwei
Jahren mineralisiert sich das CO2, wie [4][eine Science-Studie im Jahr 2016
ergab].
Aradóttir greift sich aus einer Kiste einen durchlöcherten Gesteinsbrocken.
Kommt Kohlensäure in Kontakt mit Basaltgestein, das viel Magnesium, Calcium
und Eisen enthält, entstehen Karbonate. Die Ingenieurin mit den blonden
Haaren unter dem Schutzhelm greift nach einem weiteren Stein in der Kiste,
diesmal ist er ausgefüllt mit weißen Einsprengseln. „Die Basaltsteine sind
wie ein Schwamm“, erklärt sie. „100.000 Tonnen CO2 haben wir auf diese
Weise schon materialisiert.“
Bis 2030 sollen es mehrere Millionen Tonnen werden, aber selbst dann sei
das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft: Allein im Boden Islands, der
zu 90 Prozent aus Basaltgestein besteht, ließe sich 80- bis 200-mal so viel
CO2 einlagern, wie die Welt pro Jahr ausstößt, erklärt Helgason. Das
Potenzial sei auch in anderen Weltgegenden groß – darunter im Norden
Deutschlands, in Indien oder den USA. Im Südosten des Bundesstaats
Washington gibt es bereits ein ähnliches Projekt. Weil sich durch die
Versteinerung nach einer gewissen Zeit die Bohrlöcher wieder selbst
versiegeln, bräuchte es allerdings sehr viele davon.
## Machbarkeit belegt
Dem Geowissenschaftler Hao Wu von der Technischen Universität in Virginia
zufolge haben die beiden Pilotprojekte die Machbarkeit des Verfahrens
erfolgreich demonstriert. Bevor das Verfahren anderswo im industriellen
Maßstab angewendet werden kann, müsste allerdings der Zusammenhang zwischen
Mineralisierung und Strömungsverhalten der Flüssigkeiten besser untersucht
werden, schrieb er im Juli im Fachblatt International Journal of Greenhouse
Gas Control.
Anders als im Fall der umstrittenen Fracking-Technik zur Erdgasgewinnung
müsse das CO2 aber nicht mit Hochdruck kilometertief in die Erde gepresst
werden, was zumindest Risiken wie etwaige Erdbeben klein hält.
Nichtsdestotrotz bleiben es massive Eingriffe in die Landschaft. Island ist
aber gewillt, diesen Weg zu gehen, um nicht nur die eigenen Emissionen
auszugleichen, sondern auch die seiner Nachbarländer.
Am Industriehafen von Straumsvík im Südwesten des Landes könnte schon bald
emsiger Betrieb herrschen, wenn Bagger Land aufschütten und neue Docks
entstehen, für das geplante sogenannte Coda-Terminal. Im Jahr 2025 erwartet
Helgason das erste Schiff aus dem Ausland, beladen mit Stahltanks. Darin:
gekühltes und flüssiges CO2.
Bis 2030 soll die gesamte Infrastruktur stehen: Pipelines, Tanks, Schiffe –
sowie das 200-Millionen-Dollar-Terminal. Investoren würden schon Schlange
stehen, das sei nicht das Problem, sagt Helgason. Die eigentliche
Herausforderung sei: Das CO2 in anderen Ländern abzuscheiden und auf
wirtschaftliche Weise bis nach Island zu befördern. 20 bis 50 Dollar pro
Tonne erwartet Helgason für den Transport.
## Weniger als 20 Euro pro Tonne
Die Kosten für die Einlagerung selbst dürften hingegen in naher Zukunft
unter 20 Euro pro Tonne Kohlendioxid liegen – weniger als der aktuelle
Preis im EU-Zertifikatehandel. Ob die Rechnung aufgeht und die Vision von
Helgason, einen Beitrag zu einer neuen grünen Wirtschaft zu leisten, wird
also maßgeblich davon abhängen, wie schnell der CO2-Preis steigt.
Für Island könnte sich damit ein neues Geschäftsmodell eröffnen. Das Land,
dessen Wirtschaft praktisch nur auf Tourismus und Fischerei beruht, könnte
eine dritte Säule dringend gebrauchen.
Kritiker des Projekts argumentieren von zwei Seiten her: Den einen geht es
zu langsam, den anderen zu schnell. Die einen monieren, dass die Mengen an
CO2, die bislang egalisiert werden, noch verschwindend gering sind. Die
anderen fürchten, dass sich schon bald viele Firmen lieber freikaufen oder
ihren CO2-Abfall verschiffen, statt sich mit viel Geld klimaneutral
aufzustellen. Helgason will deshalb solche Kunden „bevorzugen“, die anders
nicht ihre Emissionen senken können. Stahl- oder Zementwerke zum Beispiel.
Edda Aradóttir drückt es in der Stahlkuppel inmitten der Vulkanlandschaft
so aus: „Island kann die Klimakrise nicht im Alleingang lösen.“
24 Oct 2021
## LINKS
[1] /Aktueller-Welthungerindex/!5808035
[2] /Globaler-Sueden-kann-nicht-kommen/!5799012
[3] /Speicherung-von-CO2-im-Boden/!5791270
[4] https://www.science.org/doi/10.1126/science.aad8132
## AUTOREN
Benjamin von Brackel
## TAGS
CCS
CO2-Emissionen
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Klimawandel
klimataz
Technologie
Island
Schwerpunkt Klimawandel
CCS
Island
Lesestück Recherche und Reportage
Heizkosten
Klimaneutralität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kehrtwende von Klimaminister Habeck: Grüne für CO2-Endlager
Wirtschafts- und Klimaminister Habeck denkt über die Verpressung von
Kohlendioxid unter der Erde nach. Die FDP applaudiert, Umweltverbände
protestieren.
Norwegens Endlager für Kohlendioxid: Der nächste Bodenschatz
Die CCS-Technik soll Europa helfen, klimaneutral zu werden – und der
norwegischen Öl- und Gasindustrie eine lukrative Zukunft sichern.
Neue und alte Regierungschefin in Island: Jakobsdóttir macht weiter
Die Vorsitzende der Links-Grünen wird zum zweiten Mal Regierungschefin in
Island. In der Koalition ist ihre die kleinste der drei Parteien.
Klimawandel in Indien: Land unter
Im indischen Ganges-Delta wütet die Klimakatastrophe. Der Meeresspiegel
steigt, Zyklone nehmen zu. Aber die Menschen wollen bleiben – und werden
aktiv.
Soziale Klimapolitik: Die Kosten der Klimawende
Die Dekarbonisierung Deutschlands droht, zulasten der Armen zu gehen. Um
die steigenden Preise abzufedern, muss die neue Koalition sie unterstützen.
Neue Szenarien zur Klimaneutralität: Mehr Tempo, mehr Geld
Der Weg zur Klimaneutralität 2045 ist weit, sagt die Wissenschaft. Heißt:
Das Ausbautempo beim Ökostrom muss sich bis 2030 verdreifachen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.