| # taz.de -- Neue Chefdirigentin in Berlin: Hurra, die Maestra ist da | |
| > Joana Mallwitz gab ihr Antrittskonzert als Chefdirigentin des Berliner | |
| > Konzerthauses. Das Publikum hieß sie begeistert willkommen. | |
| Bild: Mit großer Geste: Joana Mallwitz bei der Saisoneröffnung des Berliner K… | |
| Seit Monaten schon prangte ihr Gesicht überlebensgroß auf Plakaten an allen | |
| möglichen Orten in Berlin. Das Konzerthaus am Gendarmenmarkt hatte mit der | |
| Verpflichtung von Joana Mallwitz als neuer Chefdirigentin ab Saison 2023/24 | |
| einen echten Coup gelandet und daher guten Grund, es stolz und laut | |
| hinauszuposaunen. | |
| Mallwitz ist über die letzten Jahre, die sie in Nürnberg als | |
| Generalmusikdirektorin wirkte, allmählich zum Star in der immer noch extrem | |
| männerdominierten Dirigierszene geworden. Ihre Karriere ist beeindruckend: | |
| Mit gerade einmal 19 Jahren trat sie, die als Teenager die neugegründete | |
| Hochbegabtenklasse an der Musikhochschule Hannover besucht hatte, eine | |
| Stelle als Korrepetitorin (also als Person, die Opernproben auf dem Klavier | |
| begleitet und auch den Dirigenten vertritt) in Heidelberg an. | |
| Mit 27 wurde sie jüngste Generalmusikdirektorin Europas in Erfurt und | |
| sorgte anschließend, in den letzten fünf Jahren, dafür, dass die Staatsoper | |
| Nürnberg immer öfter in die Reisepläne der MusikkritikerInnen einbezogen | |
| wurde. [1][2020 war Joana Mallwitz die erste Frau, die bei den | |
| traditionsverliebten Salzburger Festspielen eine Opernpremiere dirigieren | |
| durfte]. | |
| Die Erwartungen an die inzwischen knapp 37-Jährige könnten kaum größer | |
| sein. Bei ihrem live in Fernsehen und Radio übertragenen Berliner | |
| Antrittskonzert am vergangenen Donnerstag lässt [2][Kultursenator Joe | |
| Chialo] es sich nicht nehmen, vor Konzertbeginn persönlich vor das Publikum | |
| zu treten und seiner Freude über die angeworbene „großartige Dirigentin“ | |
| Ausdruck zu geben. Als diese Dirigentin danach selbst das Podium betritt, | |
| reagiert das Publikum so begeistert, als wäre das Konzert bereits vorbei. | |
| Wie kann eine da noch entspannt den Taktstock heben? | |
| Aber Mallwitz kann. Sie hat für ihren Berliner Einstandsabend drei | |
| Erstlings-Symphonien aufs Programm gesetzt, mehr Anfang geht nicht. Den | |
| allerersten Anfang darf Prokofjev machen, dessen charmante Erste etwas ist, | |
| das man „dankbar“ nennen kann: ein schwung- und humorvolles, spritziges | |
| Werk, das Spaß macht, übersichtlich zu dirigieren ist und aus dem die | |
| MusikerInnen des Konzerthausorchesters mit hörbarer Lust die parodistischen | |
| Pointen herauskitzeln. | |
| ## All das Adrenalin | |
| Mallwitz legt das Stück mit einem Quentchen musikalisch-gestischer | |
| Übertreibung an, das die humoristischen Absichten des Komponisten noch ein | |
| klein wenig überspitzt. Vor allem im letzten Satz platziert sie das Tempo | |
| so haarscharf an der Grenze zur Unspielbarkeit, dass besonders die Bläser | |
| extrem tapfer sein müssen. Die schwungvolle Rasanz und all das Adrenalin | |
| teilen sich so unmittelbar mit, dass ein Teil des Publikums schlicht | |
| mitgerissen wird und zwischen den Sätzen klatschen muss. Schon jetzt, lässt | |
| sich daraus schließen, hat die neue Chefin für das Konzerthaus jedenfalls | |
| etliche neue ZuhörerInnen gewonnen. | |
| Beim zweiten Erstlingswerk des Abends, der eher unbekannten, einsätzigen | |
| ersten Symphonie von Kurt Weill (die erst Jahre nach dem Tod des | |
| Komponisten uraufgeführt wurde), einem wesentlich ernsteren und, obwohl nur | |
| wenige Jahre nach Prokofjevs Erster entstanden, auch viel innovativeren | |
| Werk, das mit raueren Gesten, schärferen Kontrasten und experimenteller | |
| Tonalität arbeitet, zeigt Mallwitz, wie unmittelbar sie und das | |
| Konzerthausorchester die Tonsprache zu wechseln imstande sind. | |
| Nach der Pause hingegen glückt dieser Wechsel zunächst nicht vollends | |
| überzeugend. [3][Gustav Mahlers] Erste, ein Brocken von (normalerweise) | |
| annähernd einer Stunde Dauer, steht für die zweite Konzerthälfte auf dem | |
| Programm. Die Anfangspassage, während derer ein merkwürdig verstimmter | |
| Kuckuck ruft und verschiedene Instrumente in die schwebenden | |
| Flageolett-Töne der Streicher hinein ultrakurze Impulse werfen, bis | |
| urplötzlich in dieses musikalische Bühnenbild hinein eine Melodie die Szene | |
| betritt und „übers Feld“ geht (Mahler recycelt hier ein Motiv aus seinen | |
| „Liedern eines fahrenden Gesellen“), ist musikalisch irre heikel. | |
| Wie sehr oft im Konzertsaal ist auch an diesem Abend anfänglich weniger das | |
| zeitlose Flirren des sommerlichen Feldes als das stumme Ticken des | |
| Taktmaßes spürbar. Aber was danach allmählich aufgebaut wird, ist | |
| musikalisch mitreißend und von fulminanter Präzision. Auch Mallwitz’ | |
| Mahler-Tempi sind gewagt, werden vom Orchester aber virtuos mitgetragen und | |
| wecken im vielgestaltigen Mahlerschen Klangkosmos ein hellwaches | |
| karnevalekes Element, das die fiebrige Energie, die in dieser Musik steckt, | |
| gleichsam verdinglicht und auf die Spitze treibt. | |
| ## Der hingebungsvolle Schwung | |
| Fast könnte man Angst bekommen, dass der hingebungsvolle Schwung, der | |
| diesen Abend denkwürdig macht, sich bald verbrauchen könnte. Aber Joana | |
| Mallwitz hat bei der Programmgestaltung jedenfalls für so viel Vielfalt | |
| gesorgt, dass es weder für sie selbst noch für das Publikum schnell | |
| langweilig wird. Unter anderem hat sie ihre „Expeditionskonzerte“ | |
| mitgebracht, ein Erklärkonzert-Format, mit dem sie schon seit Erfurter | |
| Tagen immens erfolgreich ist. | |
| Außerdem lässt sie es sich vor großen Symphoniekonzerten nicht nehmen, die | |
| Werkeinführung selbst zu halten, statt diese Aufgabe an DramaturgInnen zu | |
| delegieren. Und immer wieder wird übrigens Kurt Weill auf dem Spielplan | |
| stehen. Das werden interessante Zeiten am Gendarmenmarkt. | |
| 3 Sep 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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