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# taz.de -- Nato-Gipfel in Washington: Die letzte große Party?
> Die Nato feiert in Washington ihren 75. Geburtstag. Überschattet wird der
> Gipfel von Fragen zur Fitness von Joe Biden.
Bild: Sieht so Zuversicht aus? Joe Biden ballt auf der Bühne die Faust
Washington taz | Das ist im Protokoll so nicht vorgesehen: Als sich die 32
Staatschef:innen zum Auftakt des Nato-Gipfels am Mittwoch in einem Saal
in Washington in Dreierreihen zum Familienfoto versammeln und zu
Marschmusik die Bühne wieder geordnet verlassen wollen, ruft eine
Journalistin: „Präsident Biden, Sir, unterstützt Sie Nancy Pelosi
eigentlich noch?“
Die Regierungschef:innen reagieren amüsiert bis schockiert. Joe Biden
sagt nichts, ballt nur die rechte Hand zur Faust und schüttelt sie. Eine
kämpferische Geste. Der deutsche Bundeskanzler, der hinter Biden steht,
schmunzelt.
Anlässlich ihres 75. Geburtstags wollte sich die Nordatlantische Allianz,
die zwischenzeitlich schon für hirntot erklärt worden war, nach Russlands
Angriff auf die Ukraine aber flugs wiederbelebt wurde, eigentlich so
richtig feiern. Die 32 Nato-Mitglieder hatten Partnerländer aus dem
Pazifikraum und Influencer aus den sozialen Medien eingeladen. Sie wollten
sich ihrer Einigkeit und Stärke versichern, zeigen, dass sie gewillt sind,
den Eroberungsfeldzug des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu stoppen
und der zündelnden Großmacht China Grenzen aufzuzeigen.
## Ist er fit genug?
Der Gipfel sollte aber auch Gastgeber Joe Biden dazu dienen, sich, seinem
Land und der Welt zu beweisen, dass er es noch draufhat. Doch die
Inszenierung wird getrübt. [1][Zum einen durch unabgesprochene
„Friedensreisen“ des ungarischen Präsidenten Viktor Orbán nach Russland u…
China im Vorfeld]. „Der Herr Orbán“, wie Scholz ihn nennt, steht dann auf
dem Gipfeltreffen zuweilen recht einsam im Raum herum.
Zum anderen durch Szenen wie eingangs beschrieben, die zeigen, wie
angeschlagen der 81-jährige Biden ist. Die Frage, ob er auf seine
Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl im November verzichtet,
überwölbt den Gipfel. Selbst loyale Demokrat:innen [2][wie die einstige
Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi gehen im Laufe der Woche
auf Distanz zu ihm].
Kaum ein ausländischer Politiker, eine Politikerin, der oder die auf den
Pressekonferenzen nicht gefragt wird, wie Biden auf sie gewirkt habe. Ist
er fit genug? Bundeskanzler Olaf Scholz versichert zum Abschluss des
Gipfels zwar, Biden habe Leadership gezeigt. Doch keine halbe Stunde zuvor
hatte Biden den ukrainischen Präsidenten Selenskyj als „Präsident Putin“
begrüßt. Videos zeigen, wie Scholz dabei erstarrt. Geistesgegenwärtig
korrigierte sich Biden, aber der Schaden war angerichtet.
Und so hat dieser Nato-Gipfel auch etwas vom letzten Jubiläumsfest der DDR.
Eine teils schwülstige Inszenierung in einem bombastischen Betonbau. Ein
greiser Führer, der sich für unverzichtbar hält und dem die meisten der
Eingeladenen dennoch die Treue schwören, weil sie die Alternative fürchten:
eine Zeit der Wirren. Die Aussicht auf ein Militärbündnis, angeführt von
einem erratischen Präsidenten Donald Trump, der eine Schwäche für
autoritäre Staatschefs hat, den Krieg in der Ukraine binnen zwei Wochen
beenden will und Putin bereits dazu einlud, mit alle jenen Staaten, die in
seinen Augen nicht genug für Verteidigung ausgeben, zu machen, was „zur
Hölle“ er wolle.
Wenn Trump die Wahl im November gewinnt, könnte es die letzte große Party
des Bündnisses für die nächsten Jahre gewesen sein.
## Die Nato „Trump-fest“ machen
Die USA, militärische und wirtschaftliche Weltmacht, Gründungsmitglied der
Nato, sind für das Bündnis unverzichtbar. „Die Amerikaner halten den Laden
zusammen, stellen die meisten kritischen Fähigkeiten – sprich Waffen und
Ausrüstung – und sorgen mit ihrem Atomwaffenarsenal für die nukleare
Abschreckung“, sagt Claudia Major, Sicherheitspolitikexpertin von der
Stiftung Wissenschaft und Politik. „Diese uneingeschränkte Führungsrolle
kann keiner ersetzen.“
Major glaubt zwar nicht, dass die USA mit einem möglichen Amtsantritt
Trumps der Nato den Rücken kehren. „Aber Trump könnte die Nato auch
schwächen, ohne auszutreten.“ Europa müsse sich daher wappnen. „Es geht
darum, die Nato Trump-fest zu machen.“ Also die europäische Verteidigung so
zu organisieren, dass sie auch mit weniger USA auskommt.
Biden mag alt sein, naiv ist er nicht. Auf dem von ihm ausgerichteten
Gipfel leitet die Nato einiges in die Wege, um sich gegen Trump zu
imprägnieren. Die 32 Staaten einigen sich darauf, die Unterstützung für die
Ukraine langfristig sicherzustellen. [3][40 Milliarden Dollar Militärhilfe
soll das Land im nächsten und möglichst auch in den Jahren darauf
erhalten.] Koordiniert werden sollen diese Hilfen sowie die Ausbildung für
die ukrainischen Soldaten nicht mehr aus Washington, sondern künftig aus
Wiesbaden.
Zudem will man der Ukraine eine Brücke in Richtung Nato-Mitgliedschaft
bauen. Der Weg ins Bündnis sei „unumkehrbar“, heißt es im
Abschlussdokument. Wie lang der Weg ist, steht da freilich nicht.
## US-Tomahawks für Deutschland
Doch die fundamentalste Änderung wird eher beiläufig lanciert: In
Deutschland werden 2026 wieder amerikanische Langstreckenraketen
stationiert, 36 Jahre nach Ende des Kalten Kriegs: bunkerbrechende Waffen,
die bis Moskau fliegen können. Jener Bundeskanzler Scholz, den seine Partei
im Europawahlkampf gerade noch als „Friedenskanzler“ plakatiert hatte,
nimmt in Washington bei jeder Gelegenheit das Wort „Abschreckung“ in den
Mund.
„Es gibt den nuklearen Schutzschirm, aber es geht ja darum, dass wir
daneben einen eigenen Schutz haben – mit Abschreckung, die möglich ist“,
sagt Scholz am Mittwochmorgen in Washington. Hinter ihm leuchtet die Kuppel
des Kapitols im Morgenlicht.
Die Tomahawks der Amerikaner sollen aber nur eine Übergangslösung sein, bis
Deutschland und die Nachbarländer eigene Langstreckenwaffen entwickelt
haben, was wohl noch fast 15 Jahre dauern dürfte. Der deutsche
Verteidigungsminister unterzeichnete eine entsprechende Absichtserklärung
mit den Kollegen aus Frankreich, Polen und Italien.
„Mit wehenden Fahnen in einen neuen kalten Krieg, damit macht die Nato
einen großen Fehler“, glaubt Jan van Aken, Referent für Krisen und
Konflikte bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Ja, die Bedrohung durch Russland
müsse ernst genommen werden. „Aber Langstreckenraketen und
Überschallraketen sind Angriffswaffen und werden in Russland als Bedrohung
wahrgenommen.“ Abschreckung biete auf Dauer keine Sicherheit, ist van Aken
überzeugt.
## „All in“ gehen
Die Kritik in den Reihen der Regierungsfraktionen hält sich dagegen bislang
in Grenzen. Und aus seiner eigenen Partei muss Scholz kaum Widerstand
befürchten.
Überhaupt läuft es in Washington für den deutschen Kanzler recht gut. Ist
ja auch alles relativ. Gemessen an den verunsicherten US-Demokraten und den
politischen Verwerfungen in Frankreich, ist die Ampelregierung eine
grundsolide Dreierkoalition. Und Scholz ein Regierungschef, der fest im
Sattel sitzt.
Den Haushalt hat seine Regierung in letzter Minute erst mal unter Dach und
Fach gebracht. Die Verteidigungsausgaben entsprechen inklusive des
Sondervermögens dem 2-Prozent-Ziel der Nato. Auch wenn der
Verteidigungsminister grummelt, Scholz wird nicht müde zu betonen, dass man
nun dauerhaft 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgebe,
was im Jahr 2028 der stolzen Summe von 80 Milliarden Euro entspräche.
Zudem stellt Deutschland 35.000 Soldat:innen für die Nato ab und eine
Brigade zum Schutz der Ostflanke in Litauen. Man gehe „all in“, wie es aus
Regierungskreisen heißt.
Wird aus der Mittelmacht Deutschland eine Führungskraft im
transatlantischen Bündnis? „Wir sollten uns davor fürchten, dass in
Deutschland Leute Verantwortung haben, die den Größenwahnsinn besitzen, zu
glauben, sie seien etwas anderes als eine Mittelmacht“, wiegelt Scholz, der
als Juso in den 80ern gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstrierte, am Ende
des Gipfels ab. Aber natürlich werde man sich der Aufgabe als größtes Land
in Europa stellen. „Wir werden, ich werde dieser Verantwortung gerecht
werden.“
„Deutschland wird künftig eine zentrale Rolle zukommen“, glaubt auch
Sicherheitsexpertin Major. „Viele andere Länder orientieren sich an uns.“
Die Abschlusspressekonferenz von Biden, die erste seit dem TV-Duell gegen
Trump, endet im Tumult, weil Biden sich wieder verhaspelt und von
„Vizepräsident Trump“ spricht. Da ist Scholz aber schon auf dem Weg zum
Flughafen. Wer weiß, wem er beim nächsten Gipfel die Hand schüttelt. Und ob
er dann schmunzelt.
12 Jul 2024
## LINKS
[1] /Zu-Besuch-in-Peking/!6019346
[2] /Druck-auf-US-Praesident/!6023065
[3] /US-Bekenntnis-zur-Nato/!6023062
## AUTOREN
Anna Lehmann
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Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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