# taz.de -- Nachruf auf Fidel Castro: Kubas maximo Polarisierer | |
> „Die Geschichte wird mich freisprechen“, war einer der markigen Sätze von | |
> Fidel Castro. Mit seinem Tod ist es nun an den Kubanern, darüber zu | |
> urteilen. | |
Bild: Für die einen Hoffnungsträger, für die anderen Tyrann: Fidel Castro | |
Tot erklärt wurde Fidel Castro schon einige Dutzend Male. Zuletzt am 8. | |
Januar 2015, als vor allem durch die spanischsprachige US-Presse | |
Spekulationen geisterten, dass Kubas legendärer Comandante en Jefe, der | |
Oberbefehlshaber der Insel, längst tot sei. Schon ein Jahr lang habe er | |
sich nicht in der Öffentlichkeit gezeigt, hieß es da, und dazu wurden Fotos | |
abgedruckt, auf denen Fidel Castro wie ein Schatten seiner selbst aussah. | |
Doch anders als damals, als das internationale Pressezentrum in Havanna | |
sogleich dementierte, ist die Nachricht nun bestätigt: Fidel Castro, eine | |
Ikone der Linken, ist nicht mehr am Leben. [1][Er starb, gut drei Monate | |
nach seinem 90. Geburtstag, am Freitagabend in Havanna]. | |
Es war sein Bruder Raúl, der die Nachricht in der Nacht zum Samstag in | |
einer denkbar kurzen Nachricht im staatlichen Fernsehen verkündete. Am | |
Samstagmorgen, sagte Raúl Castro, der seinen Bruder vor zehn Jahren vom | |
Posten des Staatspräsidenten abgelöst hatte, würden die sterblichen | |
Überreste Fidels eingeäschert. Die Planungen für die Beerdigung würde im | |
Laufe des Tages bekannt gegeben. Mit leicht gebrochener Stimme schloss der | |
85-Jährige seine kurze Ansprache mit den Worten „Hasta la victoria | |
siempre!“ („Immer weiter bis zum Sieg!“). | |
Auch nach seinem Tod polarisiert der selbsternannte Berufsrevolutionär wie | |
zu Lebzeiten. Für Miguel Barnet, den Vorsitzenden | |
desSchriftstellerverbandes Kubas war es Fidel Castro, der die Kubaner die | |
eigene Würde hat entdecken lassen. „Er hat uns davor bewahrt zur Kolonie | |
der USA zu werden“, meint Barnet, der durch seine ethnologischen Romane | |
berühmt wurde. Doch der Preis für diesen eigenen, den kubanischen, Weg ist | |
hoch, kritisiert Guillermo Fariñas. Der Psychologe stammt aus | |
revolutionärem Haus und ist ein bekannter Dissident Kubas: „Fidel Castro | |
hat die Kubaner hintergangen, als er politische Gegner wie den General des | |
Angola Krieges Arnaldo Ochoa gewaltsam beseitigte“. | |
Solche Aussagen sind typisch für die nationale wie | |
internationaleWahrnehmung Fidel Castros. Die Meinungen über Kubas máximo | |
líder driften weit auseinander: Tyrann für die Einen, Hoffnungsträger für | |
die Anderen. | |
Das beginnt schon auf dem prächtigen Landgut des starrköpfigenVaters, eines | |
Einwanderers aus dem spanischen Galizien. Weit im Osten der Insel, rund | |
hundert Kilometer von Santiago de Cuba entfernt, liegt Birán und dort | |
wachsen die sieben Kinder von Ángel Castro y Argiza und Lina Ruz González | |
auf. Am 13. August 1926 (andere Quellen geben 1927 an) kommt Fidel Castro | |
dort zur Welt und es verwundert nicht, dass autoritärer Vater und | |
rebellischer Sohn schon früh aneinander geraten. | |
Mit gerade 13 Jahren solidarisiert sich Fidel mit den Arbeitern, stiftet | |
sie zum Streik an, beschimpft den durch Zuckerrohr reich gewordenen Vater | |
als Ausbeuter und legt obendrein noch Feuer in dem Anwesen. Das berichteten | |
ehemalige Angestellte nach der erfolgreichen kubanischen Revolution von | |
1959 und diese Aussagen passen zu denen von Lehrern, Mönchen und | |
Mitschülern der Jesuitenkollegs in Santiago de Cuba und Havanna. | |
## Faibel für Gerechtigkeit, Starrsinn dazu | |
Dort durchlief der intelligente und überaus konfliktfreudige Jugendliche | |
die Schule, und schon damals attestierten ihm seine Lehrer einen | |
ausgeprägten Sinn für soziale Gerechtigkeit – und eine gehörige Portion | |
Starrsinn. „Verlieren konnte mein Bruder schon damals nicht“, erinnert sich | |
Raúl Castro in einem Interview. Gabriel García Marquez, der 2014 | |
verstorbene kolumbianische Literaturnobelpreisträger brachte es | |
folgendermaßen auf den Punkt: „Fidel gibt die Niederlage nie zu und hat | |
keinen Augenblick Ruhe, bis es ihm gelingt, die Vorzeichen umzukehren und | |
die Niederlage in einen Sieg zu verwandeln“. | |
Belege dafür gibt es in der politischen Biografie Castros zuhauf. So war | |
der Putsch des späteren Diktators Fulgencio Batista vom 10. März 1952 eine | |
doppelte Herausforderung für den aufstrebenden Juristen: nicht nur die | |
sozialen Verhältnisse wurden mit dem Umsturz quasi festgeschrieben, auch | |
der Weg in die Politik wurde dem streitbaren Armenanwalt de facto | |
verstellt. Dagegen zog er erfolglos vor Gericht und erklärte dem Diktator | |
anschließend den Krieg: „Wenn Batista mit Gewalt die Macht an sich reißt, | |
muss sie ihm mit Gewalt wieder genommen werden“, lautete die Logik des | |
damals 27-jährigen Rebellen. | |
Er ließ Taten folgen: ein Jahr später, am 26. Juli 1953, griff Castro mit | |
130 Rebellen die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba an. Die Attacke | |
scheiterte blutig, und nur durch Glück und den Schutz der katholischen | |
Kirche wurden Fidel Castro und einige seiner Kameraden nicht ermordet, | |
sondern vor Gericht gestellt. Dort kam es zehn Wochen später zu seinem | |
spektakulären Plädoyer „die Geschichte wird mich freisprechen“. Die | |
flammende Rede verbreitete sich auf der Insel und brachte Zulauf für | |
Castros „Bewegung des 26. Juli“. Sechs Jahre später, am 1. Januar 1959, | |
hatte die „billigste Revolution der Welt“ gesiegt. | |
Gerade dreihunderttausend US-Dollar habe der Umsturz gekostet, rühmte Kubas | |
Staatschef einmal auf einer Konferenz der Blockfreien Staaten. Damals – | |
Mitte der 1960er Jahre – war Kubas Gesellschaftsmodell mit billigen | |
Grundnahrungsmitteln, die über die Libreta, die Rationierungskarte, | |
bereitgestellt wurden, die kostenlose Gesundheitsversorgung und das | |
unentgeltliche Bildungssystem ausgesprochen attraktiv. Das und der | |
begnadete Rhetoriker Fidel Castro kamen vor allem in den armen Ländern gut | |
an und sorgten für ein exzellentes Standing Kubas auf der internationalen | |
Bühne – ob bei Konferenzen der Vereinten Nationen oder der Blockfreien. | |
Castro punktete mit Wortwitz und Schlagfertigkeit, wurde zu einer Ikone der | |
Linken, zugleich aber auch zu einem Machtpolitiker mit wenig ökonomischer | |
Fortune. Aufgrund der schlechten ökonomischen Lage der Insel erfolgte 1972 | |
die Aufnahme Kubas in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), das | |
Wirtschaftsbündnis des sozialistischen Blocks. Obendrein bekam die | |
revolutionäre Führung unter Castro auch gleich noch einen Schnellkurs in | |
Institutionalisierung verordnet – auf Geheiß der sowjetischen Führung. Die | |
wollte den eigenwilligen Mann aus Havanna lenken, nicht zuletzt um | |
Transferrubel und Rohstofflieferungen zu sparen. | |
## Unzählige Attentate | |
Doch das scheiterte in der Realität genauso wie die Versuche des | |
Klassenfeinds im Norden, den ungeliebten Castro zu beseitigen und die Insel | |
zurück in die US-amerikanische Einflusssphäre zu führen. Unzählige | |
Attentate, das mehr als fünfzig Jahre währende US-Handelsembargo sowie | |
Abwerbungsprogramme für Mediziner und Fachleute und der Druck auf Kubas | |
Handelspartner haben das nicht bewerkstelligen können. Die aggressive | |
US-Politik hat die Insel in den permanenten Belagerungszustand geführt. | |
Auch ein Grund, weshalb Fidel Castro mit dem markigen Satz „Innerhalb der | |
Revolution: Alles! Gegen die Revolution nichts!“ reagierte. Das war 1961 | |
und damals gab es noch eine Konterguerilla und Terrorattacken aus Miami. | |
Später, in den 1980er Jahren und 1990er Jahren, nahm der gewaltfreie | |
politische Widerstand zu. Da bügelte der máximo líder die Versuche, ein | |
Referendum über die politische Zukunft der Insel aufzulegen genervt ab: | |
„Diese Papiere dienen höchstens als Klopapier“, entgegnete er zynisch auf | |
die Frage eines Reporters, als das „Proyecto Varela“ wieder einmal die laut | |
Verfassung nötige Unterschriftenzahl für die Durchführung eines Referendums | |
vorgelegt hatte. Für Wayne Smith, ehemaliger Leiter der | |
US-Interessensvertretung in Havanna und gern gesehener Gast in Kuba, eine | |
typische Reaktion. „Fidel glaubt, dass er als einziger den Weg ins Paradies | |
kennt. Alle die das anders sehen, hält er für Feinde“, urteilt der | |
Kubaexperte. | |
Starrsinn unterstellen seine Kritiker dem älter werdenden Staatschef. Der | |
muss zu Beginn der 1990er Jahre erleben wie Kubas socialismo tropical mit | |
dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers ins Rutschen kommt. | |
Angesprochen auf die hohe Zahl von Kubanerinnen, die sich in den Straßen | |
Havannas prostituieren, entgegnete Castro, dass es immerhin die am besten | |
ausgebildeten Huren der Welt seien. Ein Satz, der für ein gerüttelt Maß an | |
machismo steht, aber auch für eine große Portion Hilflosigkeit. | |
## Castro als Reformbremse? | |
Der Traum des Comandante, aus Kuba einen weltweit agierenden Wissens – und | |
Forschungsstandort zu formen, begann sich damals aufzulösen. Zu unflexibel, | |
zu starr, zu unproduktiv und zu abhängig von Hilfen aus Venezuela, Russland | |
oder China ist Kubas ökonomisches Modell, um derart große Visionen zu | |
tragen. | |
Daran hat auch Raúl Castro, der 2006 die Regierungsgeschäfte von seinem | |
schwerkranken Bruder übernahm und als ökonomischer Pragmatiker gilt, nur | |
partiell etwas ändern können. Seitdem hielt sich Fidel als Elder Statesman | |
im Hintergrund, schrieb Kolumnen zur Weltpolitik und war nahezu ganz aus | |
der Öffentlichkeit verschwunden. Die Tragweite der Reformen hat er | |
gleichwohl definiert. Dafür spricht das Festhalten an einer Agrarpolitik, | |
die sich weigert Staatsland in Privathand zu geben. Daran sei, so der | |
kubanische Sozialwissenschaftler Armando Nova, mit Fidel nicht zu denken. | |
So könnte Castro auf seine alten Tage zur Reformbremse geworden sein. | |
Die am 14. Dezember verkündete Annäherung Kubas an die USA, die inzwischen | |
zur Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen beider Länder und einer | |
ganzen Reihe von Abkommen geführt hat, wäre mit Fidel Castro an der Spitze | |
vermutlich nicht passiert, sind sich die meisten Beobachter einig. | |
[2][Als US-Präsident Barack Obama im Frühjahr die Insel besucht], hatte er | |
kein Gespräch mit dem greisen Revolutionsführer, der sonst gern im | |
Trainingsanzug ausländische Besucher in seinen Privaträumen empfing. | |
Stattdessen wetterte Fidel in einem Artikel in der Parteizeitung Granma | |
einige Tage nach dem Besuch gegen die Rede, die Obama während seines | |
Besuchs im Nationaltheater an die kubanische Gesellschaft gehalten hatte. | |
Er setzte damit einen Ton der politischen Auseinandersetzung – den Fortgang | |
der Annäherung aber konnte er nicht mehr aufhalten. | |
Fidel Castros Traum einer fairen Gesellschaft, wo jede und jeder nach ihrer | |
beziehungsweise seiner Qualifikationen in Würde lebt, ist ohnehin längst | |
ausgeträumt. Davon ist im Alltag der Insel kaum noch die Rede. Zu | |
beschäftigt mit dem täglichen Überlebenskampf sind die 11,2 Millionen | |
Kubaner, als dass sie über die Visionen des Mannes zu philosophieren, der | |
mehr als fünfzig Jahren zu ihrem Alltag gehörte, aber dabei scheiterte | |
seine Visionen auch umzusetzen. | |
26 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] /Kubas-Revolutionsfuehrer/!5360722/ | |
[2] /Kubas-Revolutionsfuehrer/!5360722/ | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## TAGS | |
Kuba | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Tod | |
Reiseland Kuba | |
Nachruf | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Kuba | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Kuba | |
Kuba | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Papst Franziskus | |
Reiseland Kuba | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kuba im Wandel: Endlich Shopping | |
Der Tod von Fidel Castro machte es besonders deutlich: Kuba wandelt sich. | |
Der Kapitalismus pirscht sich an. Zeit für eine Einkaufstour. | |
Prominachrufe von Promis: „Ich bin komplett im Arsch“ | |
Cohen, Lustig, Limbach, Castro, Berger: Nur einige bekannte | |
Persönlichkeiten, die 2016 gestorben sind. Wir haben Prominente um Nachrufe | |
gebeten. | |
Abschied von Fidel Castro: „Adiós Comandante“ | |
Zahlreiche Staats- und Regierungschefs erweisen Kubas Ex-Präsident die | |
letzte Ehre. Für seine Schattenseiten ist bei der Feier kein Platz. | |
Wirtschaftsbeziehungen USA und Kuba: Annäherung auf Abruf | |
Donald Trump droht die gerade erst begonnene Entspannung zwischen Kuba und | |
den Vereinigten Staaten zu beenden. | |
Kommentar Fidel Castros Tod: Fidel bleibt Kuba | |
Castro hat es geschafft, einen Machtapparat aufzubauen, der sich auch ohne | |
ihn selbst zu erhalten weiß. Das ist das Erbe, das jetzt auf Kuba lastet. | |
Exil-Kubaner in den USA: Freudenfest in Miami | |
Miamis Bürgermeister lässt für Feierlichkeiten anlässlich Castros Todes | |
Straßen sperren. Viele Exil-Kubaner feiern, andere sind nachdenklich. | |
Reaktionen auf Castros Tod: Gemischte Gefühle | |
Fidel Castro stürzte einen Diktator und baute ein sozialistisches Kuba auf. | |
Sein Tod scheidet die Geister. Die einen sind bestürzt, andere reagieren | |
erleichtert. | |
Kubas Revolutionsführer: Fidel Castro ist tot | |
Der frühere kubanische Staatschef Fidel Castro ist am Freitagabend im Alter | |
von 90 Jahren gestorben. Er regierte die sozialistische Karibikinsel 47 | |
Jahre lang. | |
Nach Appell von Papst Franziskus: Kuba begnadigt fast 800 Gefangene | |
Die kubanische Regierung reagiert auf den Aufruf von Papst Franziskus. | |
Dieser forderte im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit die Begnadigung von | |
Gefangenen. | |
Amerikaner auf Kuba-Reise: Raus aus der Kalter-Krieg-Logik | |
Gut 90.000 US-Amerikaner kamen im ersten Jahr nach dem Tauwetter mit den | |
USA nach Kuba. Sie sind nicht mehr als eine Vorhut. |